Lotus Eletre R: So fährt sich der E-Hyper-SUV

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Wolfgang Plank

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Man weiß nicht so genau, ob es in jüngerer Zeit ein wenig rumort hat nahe dem englischen Norwich. Genauer: Auf dem Friedhof von St. Mary, wo seit 1982 Colin Chapman begraben liegt, der geniale Konstrukteur und Begründer der Rennsportmarke Lotus. Ein Mann, der sein ganzes Berufsleben lang auf Leichtbau und Purismus bedacht war. Und wenn er erführe, dass quasi unter seinem Namen ein mehr als 2,6 Tonnen schweres SUV auf die Straße gebracht wird, stünde womöglich die ein oder andere unterirdische Rotation zu befürchten.

Andererseits: An den beeindruckenden Fahrleistungen und der ausgefeilten Aerodynamik des elektrischen Lotus Eletre R hätte der große Tüftler Chapman dann womöglich doch seine Freude. Bestimmt hätte auch er gerne ein Allrad-Auto mit 675 kW gebaut, das in 2,95 Sekunden auf Tempo 100 beschleunigt, 265 Sachen fährt und fast 1000 Nm Drehmoment freisetzt. Man muss sich das vorstellen, als sitze man in einem Katapult – und hinten haut jemand das Halteseil durch.

Gewaltige Verbrenner mussten zu Chapmans Zeiten und noch lange danach für vergleichbare Werte installiert werden – heutzutage reichen für derlei Grenzerfahrung ein ordentlicher Akku im Unterboden und zwei Elektromotoren. Der hintere verfügt – wie beim Porsche Taycansogar über ein Zwei-Gang-Getriebe. Kurzer erster Gang für maximale Beschleunigung, langer zweiter für Höchsttempo und Effizienz. Manchmal sind es kleine Dinge, die einen großen Unterschied machen.

So wie die 800-Volt-Technik. Die ist aufwändig, dafür sind die Kabel dünner, besser zu verlegen und bis zu 30 Kilo leichter. Und weil Tradition verpflichtet, haben sie sich bei Lotus für permanenterregte Maschinen entschieden, in denen teure Magneten verbaut sind. Natürlich hätte es preiswerte Varianten gegeben – bei denen Strom das Feld erzeugt, und die mehr Platz brauchen und heißer werden. Aber das wäre halt gekleckert gewesen.

Bei Lotus aber wollten sie klotzen. Und so sind selbst die teuren Motoren keine normalen. Statt rundem Draht verwendeten die Ingenieure rechteckige Kupferstäbe in Haarnadel-Wicklung. Weil man so deutlich mehr Metall auf gleichem Raum unterbringt. Für höheres Drehmoment, bessere Kühlung, einfachere Isolation. Und selbstverständlich darf man fragen, ob ein solches Auto tatsächlich die Idee von Nachhaltigkeit des E-Antriebs verkörpert – mindestens aber kann erfahren werden, was technologisch möglich ist.

Fahrwerk, Allradantrieb und Lenkung sind in Echtzeit vernetzt, mit Sensoren allüberall. Die Luftfederung dämpft über zwei Kammern pro Rad, die Hinterachse dreht mit, und eher lässt der Grip nach, als dass der Lotus nennenswert aus dem Lot gerät. Der Eletre R kommt daher bei jeder Art von Fahrmanöver sehr viel später an Grenzen als die allermeisten, die ihn bewegen. Allein das hätte Colin Chapman ganz gewiss gefallen. Und bestimmt auch, dass sich Menschen mit nervösem Magen einen Kickdown reiflich überlegen sollten.

Beruhigend auch für andere: Das elektronische Sperrdifferenzial leitet die Kraft automatisch an die Räder mit der besten Haftung. Und: Hinter den 23-Zöllern greifen gewaltige Bremszangen um belüftete Keramikscheiben im Format einer Familienpizza. Irgendwie muss man ja auch mal wieder runterkommen. Dass die Testfahrten für die Beschleunigung auf einer Landebahn stattfanden, entbehrt da nicht einer gewissen Symbolik.

Bedeckt wird die feine Technik von schicker Hülle. Mit schneidiger Front, dicken Backen, wuchtigem Heck. Und wie im Rennsport wird die Luft klug durch Haube und Kotflügel geführt und zwecks minimaler Verwirbelungen an den Rädern vorbei. Sogar das Dach trägt der besseren Aerodynamik wegen teufelsgleiche Hörnchen – und bei hohem Tempo fährt unterhalb der Heckscheibe ein zusätzlicher Spoiler aus. Das alles sieht nicht bloß gut aus, es kaschiert auch ein wenig, dass da eben doch ein 5,10 Meter langes Geschoss mit drei Metern Radstand daherkommt.

Kollateralnutzen der üppigen Abmessungen ist der Innenraum. Man thront in gut konturierten Sitzen, umgeben von schickem Interieur, vor sich lediglich ein schmales Band mit den nötigsten Informationen. Größer und bequemer wirft es das Head-up-Display vor Augen. Rundherum hat’s Umschäumtes und Gestepptes, und zum Glück finden sich unterhalb des Touchscreens auch noch ein paar traditionelle Schalter.

Leider nicht fürs Gebläse, dessen Luftführung man mühsam aufs Display malen muss und das einen trotz kleinster Stellung immer viel zu kalt, viel zu stark und viel zu direkt anströmt. Nur gut gemeint sind auch die elektronischen Rückspiegel, die zum Glück nicht serienmäßig sind. Das Kamerabild erscheint nämlich unterhalb der A-Säulen – man schaut aber aus purer Gewohnheit dahin, wo jahrzehntelang Spiegel saßen und damit Richtung Linse. Dass dies die Zukunft des Rückblicks sein soll, hätte Chapman vermutlich nicht gewollt.

Erfreulich geräumig hingegen ist der Platz in zweiter Reihe. Wer lieber Last als Leute transportiert – an Laderaum herrscht kein Mangel. Bei voller Bestuhlung stehen im Eletre R bis zu 688 Liter zur Verfügung, mit umgeklappten Rücksitzen gut 1,5 Kubikmeter. Zusätzlichen Platz bietet ein 46-Liter-Frunk unter der Fronthaube. Und wenn das alles immer noch nicht reicht: Am Heck dürfen beeindruckende 2,25 Tonnen an den Haken. Das ist für ein E-Auto eine echte Ansage. Selbstverständlich gilt Buch eins der Batterie-Bibel, wonach nicht bloß Dynamik Distanz kostet, sondern Gewicht eben auch.

Nicht mal mehr lenken und bremsen müsste man, weil der Eletere R rundum Obacht gibt, automatisch in der Spur bleibt, das richtige Tempo hält, gebührend Abstand wahrt, in tote Winkel späht und – wenn sonst nichts mehr hilft – den Anker wirft. Um sich aber dauerhaft der Autonom-Assistenz zu ergeben, macht der Lotus einfach zu viel Spaß. Also hält man es besser mit dem Grundsatz: Hier fährt der Chef noch selbst.

Allerdings ist nach offiziellen 490 Kilometern (WLTP) sogar der mächtige 112-kWh-Akku leer. Bei beherzter Fahrweise selbstverständlich deutlich früher. Doch auch dann haben sie es bei Lotus höchst eilig: Presst ein Supercharger 350 kW in die Zellen, vergehen von zehn auf 80 Prozent Kapazität gerade mal 20 Minuten, eine Vollladung an einer 22-kW-Wallbox dauert knapp sechs Stunden. Die meiste Energie indes holt der Eletre R aus Rekuperation, wobei die höchste der vier Stufen durchaus noch spürbarer verzögern dürfte. Wäre doch schade um jedes Watt, das die Bremsen in Wärme verwandeln.

Eine schlechte Nachricht gibt es dann doch: Unter 151.000 Euro tut sich nix mit Eletre R. Zum Glück gibt auch zwei zivilere Derivate. Mit identischem Akku, aber nicht ganz so viel Wumms. Wobei „nur“ 450 kW (603 PS) und ein Spurt auf 100 in 4,5 Sekunden Jammern auf höchstem Niveau bedeutet. Immerhin steigt so die Reichweite auf gut 600 Kilometer. Allerdings: Mit 96.000 und 121.000 Euro sind auch Eletre und Eletre S keine wirklichen Schnäppchen.

Wer übrigens glaubt, Eletre habe nur mit Elektrizität zu tun, der irrt. Die Bezeichnung leitet sich aus dem Ungarischen ab und bedeutet in etwa: zu neuem Leben erwachen. Und am Ende ist tatsächlich nicht bloß die Marke wieder da, sondern auch viel von der einstigen Philosophie. Selbst mit 20 Zentimetern Luft nach unten ist der Eletre ein Lotus – nur eben mit Strom und in einer anderen Zeit. Rund um St. Mary dürfte es also ruhig bleiben.

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Wolfgang Plank

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Wolfgang Plank ist freier Journalist und hat ein Faible für Autos, Politik und Motorsport. Tauscht deshalb den Platz am Schreibtisch gerne mal mit dem Schalensitz im Rallyeauto.

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