Kia EV4: E-Kompakter mit Wiedererkennungswert im Blick

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Thorsten Weigl

Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 8 min

Im Rahmen der Presseveranstaltung „Kia Kompakt“ hatte ich die Gelegenheit, den neuen Kia EV4 im Detail kennenzulernen. In der Geleefabrik in Dreieich präsentierte Kia den Kompaktstromer statisch für die deutsche Presse. Die Location – ein Industriegebäude mit viel Licht und offenem Raum – bot dabei einen passenden Rahmen: modern, aber nicht überinszeniert. Genau dieser Eindruck setzte sich beim Auto selbst fort. Der EV4 ist ein Elektroauto, das auf den ersten Blick weder den Anspruch hat, jedem gefallen zu wollen, noch sich krampfhaft vom Rest der Branche absetzen zu müssen.

Mit dem EV4 betritt der koreanische Hersteller nicht nur ein zentrales Segment des europäischen Automarkts – er zeigt auch, wie unterschiedlich E-Mobilität interpretiert werden kann. Zwischen zwei Karosserievarianten, umfangreicher digitaler Ausstattung und einem klaren Fokus auf Effizienz bleibt dennoch Raum für Kritik.

Kia EV4: Zwei Designs, ein Anspruch

Der EV4 kommt in zwei Ausführungen: als 4,43 Meter langes Schrägheck und als 4,73 Meter langer Fastback. Beide Varianten basieren auf der 400-Volt-Version der E-GMP-Plattform, die auch in anderen Kia-Modellen zum Einsatz kommt, hier jedoch auf Effizienz und Kostenbalance optimiert ist. Kia positioniert den EV4 klar als vollelektrische Alternative zum Ceed – und nicht als SUV-Ableger –, entwickelt mit Blick auf europäische Kundenwünsche. Das Schrägheck wird im slowakischen Werk Zilina gefertigt, was nicht nur kurze Lieferwege, sondern auch eine Anpassung an europäische Qualitäts- und Ausstattungsvorlieben ermöglicht. Der Fastback entsteht im ersten reinen Elektroautowerk Koreas in Gwangmyeong.

Designseitig zeigt sich der EV4 selbstbewusst und eigenständig. Die klaren Kanten und flachen Flächen lassen ihn aus manchen Blickwinkeln fast schon wie eine Designstudie wirken, ohne jedoch unpraktisch zu werden. Die vertikal ausgerichtete Lichtsignatur im „Star Map“-Look verleiht ihm ein futuristisches Markenzeichen, während das neue, markentypische „Tigergesicht“ die Zugehörigkeit zur Kia-Familie betont. In Verbindung mit den breiten Stoßfängern wirkt die Front optisch sehr präsent – vielleicht sogar wuchtiger, als es der Kompaktklasse üblich ist.

Besonders auffällig ist die strömungsgünstige Silhouette: Beim Fastback trägt die um 30 Zentimeter verlängerte Karosserie zu einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,229 bei, der im Segment zu den besseren Werten zählt. Dieser aerodynamische Feinschliff soll nicht nur die Reichweite verbessern, sondern auch Windgeräusche reduzieren – ein Punkt, der sich erst im Fahrbetrieb voll bewerten lässt.

Thorsten Weigl

Persönlich hat mich der Auftritt des Schräghecks mehr angesprochen. Er wirkt kompakter, stimmiger proportioniert und in der GT-line nicht ganz so aufgeladen wie der Fastback, der mit seinen flügelartig geformten Schürzen und den 19-Zoll-Felgen fast schon in Richtung Sportlimousine geht. Dennoch: Hier wird es stark auf den individuellen Geschmack ankommen. Einige Kolleg:innen am Event lobten gerade den mutigen Auftritt des Stromers und die klare Abgrenzung zu Wettbewerbern wie VW ID.3 oder MG4, während andere ihn als etwas überzeichnet empfanden. Diese Polarisierung dürfte Kia bewusst einkalkuliert haben – schließlich geht es in dieser Klasse nicht nur um Reichweite und Preis, sondern auch um Wiedererkennungswert.

Innenraum: Digital, klar, aber nicht makellos

Im Innenraum setzt sich der selbstbewusste, aber funktionale Ansatz fort. Kia verzichtet auf unnötige Spielereien und setzt auf klare Flächen, dezente Materialwechsel und ein breites, horizontales Layout, das sofort für Übersicht sorgt. Besonders ins Auge fällt das asymmetrische Lenkrad – ein mutiges Detail, das in der Hand angenehm griffig wirkt, optisch aber polarisieren dürfte.

Thorsten Weigl

Herzstück des Cockpits ist das ccNC-Infotainmentsystem, bestehend aus zwei 12,3-Zoll-Displays für Instrumente und Navigation sowie einem separaten 5,3-Zoll-Touchscreen für die Klimasteuerung. Die Bedienung reagierte in meinem kurzen Test flüssig, die Menüstruktur wirkte logisch und aufgeräumt. Besonders auffällig: Kia verzichtet weitgehend auf physische Tasten, was das Cockpit modern wirken lässt, aber auch die Bedienung während der Fahrt etwas ablenkungsanfälliger machen könnte.

Technisch bietet das System einige Besonderheiten, die man im Kompaktsegment nicht oft findet: Videostreaming via YouTube, Netflix oder Disney+, Casual Games und Karaoke – allerdings nur im Stand. Für längere Ladepausen ist das ein nettes Extra. Im Alltag dürfte der Nutzen aber stark von den Gewohnheiten der Nutzer abhängen. Kritisch sehe ich, dass viele dieser Dienste nach einem Jahr nur noch im kostenpflichtigen Abo verfügbar sind. Wer das volle Digitalpaket dauerhaft nutzen möchte, sollte die Folgekosten im Blick behalten.

Thorsten Weigl

Die Sitzposition ist angenehm, mit guter Übersicht nach vorn. Vorn gibt es viel Bewegungsfreiheit, die Materialanmutung ist solide, wenn auch nicht auf Premium-Niveau. Im Fond bietet der EV4 im Schrägheck ausreichend Platz, im Fastback wird es durch die flachere Dachlinie für größere Personen im Kopfbereich sicherlich spürbar enger. Die Polsterung wirkt für Langstrecke vielversprechend, auch wenn ich das erst in einer Fahrpraxis bestätigen könnte.

Beim Ladevolumen punktet der EV4: 435 Liter im Schrägheck und 490 Liter im Fastback lassen sich durch Umklappen der Rücksitze auf über 1400 Liter erweitern. Praktische Details wie ein höhenverstellbarer Ladeboden erleichtern das Beladen. Negativ fällt auf, dass Kia auf einen Frunk verzichtet – gerade im Alltag wäre der zusätzliche Stauraum im vorderen Bereich für Ladekabel oder kleinere Taschen ein echter Gewinn gewesen.

Technik und Alltagseignung: Solide, mit klaren Prioritäten

Angetrieben wird der EV4 von einem 150-kW-Motor (204 PS), der ausschließlich die Vorderräder antreibt. Allradvarianten sucht man vergeblich – eine bewusste Entscheidung von Kia, um Kosten, Gewicht und Energieverbrauch niedrig zu halten. Das hat Vor- und Nachteile: Für die meisten Alltagsszenarien reicht der Frontantrieb völlig aus, bei Nässe oder Schnee könnte ein zweiter Motor aber für mehr Traktion sorgen. Die Beschleunigung liegt bei 7,4 Sekunden (58,3-kWh-Akku) bzw. 7,7 Sekunden (81,4-kWh-Akku) auf 100 km/h. Damit ist der EV4 spürbar flott, ohne in Richtung Sportlichkeit abzudriften – genau so, wie man es in dieser Fahrzeugklasse erwarten würde.

Thorsten Weigl

Bei der Energieversorgung stehen zwei Batteriegrößen zur Wahl: 58,3 kWh und 81,4 kWh. Letztere ist vor allem für Vielfahrer interessant und ermöglicht nach WLTP-Messung bis zu 625 Kilometer Reichweite im Schrägheck und 633 Kilometer im Fastback. In der Praxis dürfte dieser Wert – abhängig von Fahrprofil, Temperatur und Felgengröße – eher bei um die 500 Kilometer liegen. Dennoch ist das ein konkurrenzfähiger Wert, insbesondere im Vergleich zu Wettbewerbern wie VW ID.3 oder Renault Mégane E-Tech.

Beim Laden setzt Kia auf die 400-Volt-Technologie der E-GMP-Plattform. Mit bis zu 128 kW (DC) lässt sich der Akku in rund 30 Minuten von 10 auf 80 Prozent füllen. AC-seitig sind 11 kW möglich, was für eine vollständige Ladung über Nacht ausreicht. Wer hauptsächlich zu Hause oder am Arbeitsplatz lädt, wird hier keine Einschränkungen spüren, wer jedoch häufig lange Strecken fährt, dürfte sich eine höhere DC-Leistung wie bei 800-Volt-Systemen wünschen.

Thorsten Weigl

Im Alltag zeigt sich der EV4 praxisorientiert. Der serienmäßige EV-Routenplaner integriert Ladehalte automatisch in die Navigation und berücksichtigt dabei auch die Batterie-Vorkonditionierung. Über Kia Charge haben Fahrer Zugang zu fast einer Million Ladepunkten in Europa, darunter rund 180.000 in Deutschland – das entspricht laut Kia 99 Prozent der öffentlichen Ladeinfrastruktur hierzulande. Für neue E-Autofahrer:innen sicherlich ein entscheidender Vorteil.

Preis und Positionierung

Preislich startet der EV4 in Deutschland bei 37.590 Euro für die Version mit der kleinen 58,3-kWh-Batterie. Wer die größere 81,4-kWh-Batterie möchte, zahlt mindestens 43.240 Euro. Der Fastback ist ausschließlich mit großem Akku erhältlich und beginnt bei 47.140 Euro. Förderungen wie der Umweltbonus sind aktuell nicht mehr verfügbar, was den Einstiegspreis direkt im oberen Drittel des Kompaktsegments platziert.

Angesichts der gebotenen Serienausstattung ist diese Preisgestaltung teilweise nachvollziehbar: LED-Scheinwerfer, Navigationssystem, Zwei-Zonen-Klimaautomatik, zahlreiche Assistenzsysteme und die für Kia typische siebenjährige Herstellergarantie (maximal 150.000 Kilometer) sind bereits im Grundpreis enthalten. Viele Wettbewerber kalkulieren hier mit Aufpreispaketen, was den nominell niedrigeren Einstiegspreis schnell relativiert.

Trotzdem: Für preisbewusste Käufer:innen könnte der EV4 im direkten Vergleich mit Modellen wie dem MG4, BYD Dolphin oder Renault Mégane E-Tech teuer wirken – gerade, wenn die große Batterie und GT-line-Ausstattung ins Spiel kommen. Auf der anderen Seite zielt Kia mit dem EV4 erkennbar nicht nur auf das reine Preis-Leistungs-Verhältnis, sondern auch auf Kund:innen, die Wert auf Design, Reichweite und digitale Ausstattung legen und bereit sind, dafür einen Aufpreis zu zahlen. Aus meiner Sicht ist der Preis ambitioniert, aber nicht überzogen – vor allem dann, wenn die im Event gezeigten Qualitäts- und Haltbarkeitsversprechen im Alltag gehalten werden.

Mein Eindruck nach der statischen Vorstellung des Kia EV4

Nach der statischen Präsentation in der Geleefabrik nehme ich den EV4 als ein in vielen Punkten durchdachtes, aber bewusst klar fokussiertes E-Auto wahr. Er verzichtet auf technische Extremwerte oder luxuriöse Übertreibungen und zielt stattdessen auf eine Kombination aus eigenständigem Auftritt, hoher Reichweite und moderner, im Alltag relevanter Ausstattung. Das wirkt in der Präsentation stimmig – vor allem, weil Kia nicht versucht, den EV4 in alle Richtungen gleichzeitig attraktiv zu machen, sondern seine Stärken klar zu definieren.

Positiv bleibt für mich neben dem markanten Design vor allem die Reichweite in Verbindung mit den Ladeeigenschaften hängen. Auch die serienmäßige Ausstattung, die lange Garantie und der Fokus auf Praxistauglichkeit vermitteln ein Gefühl von Verlässlichkeit. Der EV4 scheint für Käuferinnen und Käufer gedacht zu sein, die ein optisch auffälliges, technisch solide aufgestelltes und wartungsarmes Auto für den Alltag suchen.

Es gibt jedoch Punkte, bei denen ich mir mehr Optionen oder technische Tiefe gewünscht hätte. Die Entscheidung gegen einen Allradantrieb wird nicht alle zufriedenstellen, ebenso wie der Verzicht auf die 800-Volt-Technologie, die bei Langstreckenfahrern für kürzere Ladezeiten sorgen würde. Auch die teils abonnementsgebundene Softwareausstattung hinterlässt bei mir gemischte Gefühle – das ist ein Trend, den man vor dem Kauf klar im Blick haben sollte.

Unterm Strich vermittelt der EV4 den Eindruck eines Modells, das bewusst nicht für alle, aber sehr gezielt für eine bestimmte Käuferschicht entwickelt wurde: Menschen, die Wert auf Effizienz, eine klare Designsprache und eine gute Serienausstattung legen und bereit sind, Kompromisse bei Antriebsvielfalt und digitalen Kostenmodellen einzugehen.


Disclaimer: Kia hat zum Kennenlernen des Kia EV4 nach Dreieich eingeladen. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf unsere hier geschriebene ehrliche Meinung.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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