Elektronisches Gehirn: Ford beerdigt Software-Projekt

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Tobias Stahl
Tobias Stahl
  —  Lesedauer 5 min

Ford hat sein Programm zur Entwicklung einer elektrisch-elektronischen Architektur der nächsten Generation für seine Fahrzeuge eingestampft. Der US-Autobauer hatte den Plan verfolgt, nach dem Vorbild von E-Auto-Pionieren wie Tesla eine elektronische Architektur von Grund auf selbst zu entwickeln. Solche Systeme gelten als das Gehirn moderner Fahrzeuge. Ford-Führungskräfte hatten die Entwicklung eines solchen Systems als entscheidend bezeichnet, um mit anderen, vorrangig jüngeren Autobauern Schritt halten zu können, zitiert Reuters drei mit der Angelegenheit vertraute Quellen.

Ford hatte personell und finanziell massiv in das System investiert, das intern als FNV4 („Fully-networked Vehicle“) bezeichnet wird. Ziel sei es gewesen, die Funktionen der Fahrzeugsoftware zu rationalisieren und so die Kosten zu senken, die Qualität zu verbessern und sowohl bei Elektroautos als auch bei Verbrennerfahrzeugen wichtige Funktionen hinzuzufügen.

Ausufernde Kosten und Verzögerungen als Gründe für das Aus

Das Projekt sei wegen ausufernder Kosten und Verzögerungen aufgegeben worden, so die Quellen weiter. Ein Ford-Sprecher erklärte, der Autobauer werde die Erkenntnisse aus der Entwicklung in sein aktuelles Softwaresystem einfließen lassen und sich weiterhin darauf konzentrieren, mit seinem so genannten Skunkworks-Team eine fortschrittliche elektronische Architektur zu entwickeln. „Wir sind bestrebt, ein vollständig vernetztes Fahrzeugerlebnis für unsere gesamte Produktpalette zu bieten, unabhängig vom Antriebsstrang, während viele andere Unternehmen in der Branche die fortschrittlichste Technologie nur für Elektrofahrzeuge anbieten“, so der Sprecher.

Ford-Chef Jim Farley hatte Doug Field, einen ehemaligen Apple- und Tesla-Manager, mit der Fertigstellung von FNV4 beauftragt. Ende April habe der Hersteller jedoch damit begonnen, eine ausgewählte Gruppe von Mitarbeitern via eines Videos über die Entscheidung zu informieren. Einer dritten Quelle zufolge habe die Unternehmensführung habe die Entscheidung über das Aus schon vor Wochen getroffen.

Während viele Elektroauto-Start-ups wie Tesla und Rivian ihre eigene Software von Grund auf neu entwickelt haben, haben traditionelle Autobauer bei dem Versuch, ihre komplizierten und kostspieligen Softwaresysteme umzustellen, immer wieder mit immensen Schwierigkeiten zu kämpfen – unter anderem, weil sie die Softwaresysteme dutzender Zulieferer in ihre eigenen Systeme integrieren müssen. Die Zulieferernetzwerke traditioneller Autobauer gelten als notorisch komplex und unübersichtlich. Ein Zulieferer, der beispielsweise elektrisch verstellbare Sitze für Ford herstellt, liefert und steuert in der Regel auch den Code für dessen Funktion. Das Prinzip lässt sich auf die zahlreichen Systeme und elektronischen Bauteile in einem Auto übertragen – so entsteht ein unübersichtliches Code-Wirrwarr, das auch die Entwicklung und zeitnahe Auslieferung von Software-Updates erschwert.

Komplexe Zulieferernetzwerke: Traditionshersteller beißen sich an Software-Entwicklung die Zähne aus

Ford-Chef Farley beschrieb das Problem bereits 2023 in einem Podcast: „Wir haben etwa 150 dieser Module mit Halbleitern im ganzen Auto“, so Farley. „Das Problem ist, dass die Software von 150 verschiedenen Unternehmen geschrieben wurde und [die Systeme] nicht miteinander kommunizieren. Auch wenn vorne am Auto Ford steht, muss ich mich an Bosch wenden, um die Erlaubnis zu erhalten, die Software für die Sitzsteuerung zu ändern.“

Tesla gilt als Pionier bei der Nutzung sogenannter Over-the-Air-Updates, um seinen Fahrzeugen nachträglich Funktionen hinzuzufügen oder Fehler zu beheben. Zahlreiche aufstrebende chinesischer Elektroautohersteller, allen voran BYD, nutzen das Konzept ebenfalls. Da diese vergleichsweise jungen Unternehmen sich in der Regel auf die Produktion von Elektroautos konzentrieren und ihre Zulieferernetzwerke von Grund auf neu zusammenstellen, gilt auch die begleitende Entwicklung einer modellüberspannenden Software-Architektur als einfacher.

Zentrale Software-Gehirne sollen auch die Länge von Kabelbäumen deutlich reduzieren

Das gescheiterte Projekt ist Branchenexperten zufolge ein herber Rückschlag für Ford. Der Hersteller versucht, genau wie die Wettbewerber von General Motors und Stellantis, mit der Entwicklung eigener Software- und Elektronik-Architekturen einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Die Entwicklung solcher Systeme gehört heute zu den wichtigsten Zielen eines jeden Automobilherstellers, da sie die Grundlage für die schnellere Entwicklung und Herstellung besserer Fahrzeuge bilden.

„Der einzige strategische Vorteil, den ein Unternehmen haben kann, ist Geschwindigkeit“, erklärt Terry Woychowski, Präsident des Ingenieurbüros Caresoft Global.

Fords Software sollte ein „zonales“ System sein, bei dem Bündel kleinerer „Softwaregehirne“ die Funktionen in bestimmten Teilen des Fahrzeugs steuern und mit einem größeren zentralen Gehirn kommunizieren. Die Umsetzung eines solchen Systems würde auch die erforderliche Länge teurer Kabelbäume reduzieren und die schnellere Ausspielung von Over-the-Air-Updates ermöglichen. Die Systeme bieten aber auch die Möglichkeit, Autofahrer zum nachträglichen Kauf oder Abonnement von Software-aktivierten Funktionen, etwa Fahrassistenzsystemen, zu bewegen – eine Praxis, die bei Kunden immer wieder für harsche Kritik sorgt.

Fords Probleme erinnern an das CARIAD-Debakel bei Volkswagen

Fords Probleme bei der Softwareentwicklung erinnern an Schwierigkeiten, mit denen auch der Wolfsburger Autobauer Volkswagen zu kämpfen hatte: VW hatte 2020 die Software-Tochter CARIAD mit dem Ziel gegründet, ein eigenes, markenübergreifendes Software-System zu erschaffen und die Elektroautos des Konzerns zu software-definierten Fahrzeugen zu machen. CARIAD sollte das zweitgrößte deutsche Software-Unternehmen nach SAP werden und „mehr als einen Kilometer Kabelbaum pro Auto“ sparen.

Letztlich scheiterte Volkswagen jedoch mit dem Projekt – der Markstart mehrerer Modelle verschob sich wegen Software-Problemen, Käufer hatten ebenfalls mit Software-Schwierigkeiten zu kämpfen. Cariad gilt als einer der Hauptgründe dafür, dass der ehemalige VW-Konzernchef Herbert Diess seinen Posten räumen musste. Die Gründe für CARIADs Scheitern dürften auch auf die Unternehmenskultur der Traditionshersteller zurückzuführen sein: Die Entwicklung von Software erfordert agile Prozesse und ein flexibles Projektmanagement – CARIAD war indes in die historisch gewachsenen, komplexen Konzernstrukturen bei VW eingebettet. Statt als völlig eigenständige Einheit zu agieren, wurde CARIAD zu einem Dienstleister der Konzernmarken, die sich in ihren Anforderungen und Schnittstellen deutlich voneinander unterscheiden. Mehrere Wechsel im Management der Software-Einheit konnten die Probleme nicht beheben. Inzwischen gilt CARIAD als gescheitert, VW verlässt sich bei der Softwareentwicklung nun auf ein Joint Venture mit dem E-Autobauer Rivian und eine strategische Kooperation mit dem chinesischen Hersteller Xpeng.

Quellen: Reuters – Exclusive: Ford kills project to develop Tesla-like electronic brain / Automobil Industrie – Kommentar: Cariad – Chronik des Scheiterns

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Pedro G.:

Beim Verbrenner haben die Autohersteller auch alle Steuergeräte selber entwickelt ⁉️

Pedro G.:

Mit günstigeren staatlichen Geld ist viel möglich ⁉️

S. Eckardt:

Bei den PC’s gibt es über die Jahre viele Hersteller, aber nur wenige Hardware-Familien, wenige Betriebssysteme und wenige Schnittstellen.
Viele Komponenten wie Massenspeicher, WLAN-Module usw. lassen sich herstellerübergreifend austauchen, erneuern oder auch modernisieren.
Wenige Schnittstellen wie HDMI, USB sind universell nutzbar.
… UND es FUNKTIONIERT und hat sich BEWÄHRT – über Jahre.

Bei Fahrzeugen will bzw. tut jeder Hersteller sein eigenes Süppchen kochen und seine eigenen Systeme entwickeln; im VW-Konzern am besten gleich jede Marke für sich!
Wie soll es möglich sein, bei dieser Flut von Hardware-Modulen und Software-Systemen und schnell folgenden Nachfolge-Systemen über viele Jahre Ersatzteil-Service zu bieten, der sich ja auch noch „rechnen“ muss?

Viele Autofirmen kommen … und verschwinden wenige Jahre später … was wird dann mit dem Fahrzeug-Service?

Nach meiner Meinung ist es wichtig und nötig, bald mal zu herstellerübergreifenden Standardisierungen zu kommen.
So wie es z.B. zwischen VW und Ford angefangen wurde oder wie es für Akku-Wechselstationen ergibt.

Dann hätte ich ein gutes Gefühl beim e-Auto-Kauf.
Nachhaltig ist es jedenfalls nicht, wenn ein Auto nach wenigen Jahren wegen kleinen Defekten irreparabel ist.

Tom:

Ja ist es – 1995 mit 20 Leuten als Akku-Produzent gegründet.
Heute sind sie die größten Batterien-Hersteller für Fahrzeuge aber auch stationäre Batterien.
Außerdem der größte Hersteller von Elektro- bzw. elektrifizierten Fahrzeugen.
Das ist ziemlich viel für nur 30 Jahre ;-)

Bogdanovic:

Aha…wusste garnicht das BYD ein „junges“ Unternehmen ist…

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