Ulrik Grape spricht Dinge aus, die viele in der europäischen Autoindustrie längst ahnen, aber selten so offen formulieren: Wer weiterhin auf inkrementelle Verbesserungen bei Batterien setzt, riskiert den Anschluss zu verlieren – technologisch wie wirtschaftlich. Im Interview mit Elektroauto-News skizziert der erfahrene Batterie-Manager und heutige Europa-Präsident von 24M Technologies einen klaren Alternativkurs: weg vom überholten Zell-Design, hin zu einer grundlegend neuen Batteriearchitektur.
24M Technologies ist ein US-amerikanisches Technologieunternehmen, das sich auf die radikale Neugestaltung von Batterien für Elektroautos spezialisiert hat – mit besonderem Fokus auf Sicherheit, Effizienz und Produktionsvereinfachung. Statt bestehende Lithium-Ionen-Technologien weiter zu optimieren, setzt 24M auf einen komplett neu gedachten Zellaufbau, der viele der heutigen Zielkonflikte auflösen soll.
Grape erklärt, warum sich Europa nicht mit dem Kopieren chinesischer Lösungen begnügen sollte, wie eine neue Plattform gleichzeitig Sicherheit, Leistung und Kosten adressieren kann – und welche Rolle gerade kleinere Autohersteller dabei spielen könnten. Auch politische Rahmenbedingungen, Förderlogiken und die Frage nach dem Innovationswillen Europas stehen im Mittelpunkt des Gesprächs.
Ein Plädoyer für konsequentes Umdenken – und ein Weckruf: Europa verfügt über das Know-how, die Köpfe und die Geschichte. Doch es fehlt oft an Tempo, Mut und Umsetzungskraft.
Sebastian Henßler, Elektroauto-News: 24M ist der Meinung, dass europäische Autohersteller zu spät dran sind, um China zu kopieren, und zu klein, um sich abzuschotten. Welche Art von Innovation halten Sie für einen realistischen und vielversprechenden Weg für Europas Batterie- und Automobilindustrie?
Ulrik Grape, CEO von 24M Technologies: Chinesische Batteriehersteller haben sich durch Skaleneffekte und optimierte Lieferketten in kostengünstigen Regionen eine dominante Marktstellung erarbeitet – ganz abgesehen von einem Vorsprung von rund 15 Jahren. Wer heute versucht, deren Technologien einfach zu kopieren, geht ein hohes Risiko ein und wird mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern.
Europa muss deshalb einen anderen Weg einschlagen: neue Technologien schnell adaptieren und Produkte kontinuierlich an die dynamischen Märkte für E-Autos anpassen. Der Fokus sollte auf Technologien liegen, die grundlegende Probleme der Lithium-Ionen-Technologie adressieren, darunter:
- Sicherheit – aktuelle Batterien bergen systembedingte Risiken, die sich durch den Kostendruck und den Wunsch nach höherer Energiedichte weiter verschärfen.
- Leistung – heutige E-Autos haben oft zu geringe Reichweiten, lange Ladezeiten und Schwächen bei Kälte.
- Kosten – echte Wettbewerbsfähigkeit setzt Batteriekosten von unter 80 US-Dollar pro Kilowattstunde voraus.
- Recyclingfähigkeit – Batterierecycling ist derzeit ineffizient, teuer und ökologisch problematisch.
Gerade in diesen Bereichen haben europäische Unternehmen die Chance, ein neues technologisches Fundament zu legen, das der bestehenden Lithium-Ionen-Basis überlegen ist – und damit sogar asiatische Wettbewerber überholen kann.
Was sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Risiken für europäische Autohersteller, wenn sie weiterhin auf schrittweise Verbesserungen bei Batterien setzen, anstatt das Zell-Design grundlegend zu überdenken?
Europäische Autohersteller stehen vor einer existenziellen Krise. Es ist durchaus möglich, dass einzelne Marken verschwinden, wenn sie nicht innovativ genug sind. Gleichzeitig haben sie aber die reale Chance, durch die Entwicklung oder frühzeitige Übernahme neuer Batterietechnologien einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu erlangen.
Halten Sie die derzeitigen politischen Rahmenbedingungen und Fördermechanismen in Europa für innovationsfördernd – oder geht es eher darum, bestehende Technologien zu skalieren?
Die Unterstützung durch EU-Programme, Abnahmeverpflichtungen von Kunden und handelspolitische Schutzmaßnahmen hat bislang nicht ausgereicht, um echte Anreize für nachhaltigen Erfolg zu setzen. Weitere Wettbewerbsbeschränkungen wären kontraproduktiv: Sie würden die Verbreitung von E-Autos ausbremsen, die Kosten erhöhen und die Leistungsfähigkeit verringern.
Wir fordern deshalb von EU und nationalen Regierungen zusätzliche Fördermittel und Maßnahmen, um der internationalen Konkurrenz etwas entgegenzusetzen und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Autohersteller und Batterieproduzenten zu stärken – insbesondere durch gezielte Unterstützung von Scale-up-Initiativen.
Was bedeutet heute echte Innovation im Batteriebereich? Geht es um neue Materialien, Systemdesigns, Sicherheitsarchitekturen – oder etwas ganz anderes?
Mit der heutigen Technologie hat die Batteriebranche zwar spürbare Fortschritte bei Leistung und Kosten gemacht, doch wir stehen an einem Wendepunkt. Das Problem ist nicht nur, dass die Verbesserungen immer kleiner werden – wir bauen weiterhin auf einem Fundament, das über 35 Jahre alt ist und nie für heutige Anforderungen gedacht war. Die Architektur herkömmlicher Batteriepacks ist von Grund auf begrenzt – und in Teilen fehlerhaft.
Was es jetzt braucht, ist eine neue, flexible Plattform, die sich in Größe und Spannung individuell auf verschiedene Kunden und Modelle zuschneiden lässt – etwas, das das bestehende System nicht leisten kann. Diese Plattform muss Sicherheit und Leistung von Anfang an mitdenken, anstatt sich wie bisher auf Prozesskontrollen in der Produktion zu verlassen. Das klassische Vorgehen verursacht hohe Kosten und Risiken: Es führt zu Bränden, Rückrufen im großen Stil und schwindendem Vertrauen – denn es braucht zu viele Kontrollmechanismen und bietet zu wenig Schutz oder Früherkennung.
Um die Innovationskurve wirklich zu durchbrechen, müssen wir an den Kern: die Batteriearchitektur selbst. Eine neue, stabilere Basis gibt Ingenieur:innen die Möglichkeit, sich aus den Zwängen des alten Designs zu befreien. Statt neue Ideen in veraltete Formate zu zwängen, können wir Batterien von Grund auf so konzipieren, dass sie den heutigen Anforderungen an Leistung, Produktion und Integration gerecht werden.
Das Ziel ist eine neue, vereinfachte und gleichzeitig flexible Designplattform, die Energiedichte, Sicherheit und Performance verbessert – bei gleichzeitig sinkenden Kosten. So entstehen völlig neue Zellkonzepte, Bauformen und Fertigungsprozesse, die schnellere Entwicklungszyklen, mehr Anwendungsvielfalt und einfachere Skalierbarkeit ermöglichen. Es geht nicht nur darum, mehr aus weniger herauszuholen – sondern darum, Innovationen überhaupt erst möglich zu machen, die mit herkömmlichem Design nicht denkbar sind.
Deshalb hat 24M vier Innovationen entwickelt:
- Impervio – eine neuartige Separator-Technologie, die gefährliche Batteriebrände verhindert und gezielte Rückrufe ermöglicht.
- Eternalyte – ein proprietäres Flüssig-Elektrolyt, das Reichweiten von über 1600 km durch hohe Zyklenfestigkeit und Ladeleistung selbst bei tiefen Temperaturen ermöglicht.
- 24M ETOP – ein Pack-Design, das Elektroden direkt in das Batteriemodul integriert und so die Energiedichte maximiert.
- LiForever – eine chemieunabhängige Halbfestelektroden-Plattform, die Kosten senkt und bis zu 90 Prozent der Batterie recycelbar macht.
Diese vier Technologien zielen gemeinsam auf eine grundlegend sicherere, leistungsfähigere und langlebigere Batterie – durch radikales Umdenken beim Zellaufbau.
Welche Lehren – positive wie negative – kann Europa aus dem Aufstieg chinesischer Batteriehersteller ziehen?
China ist dabei äußerst strategisch vorgegangen – und dafür gebührt ihnen Anerkennung. Am Anfang standen zahlreiche Joint Ventures mit etablierten westlichen und japanischen Autobauern sowie Batterieunternehmen. Das verschaffte den Partnern Zugang zum chinesischen Markt – aber die chinesischen Unternehmen lernten schnell, entwickelten sich eigenständig weiter und skalierten rasant.
Gleichzeitig schuf China einen starken Heimatmarkt für E-Autos – nicht nur wegen der massiven Luftverschmutzung, sondern auch aus strategischer Einsicht: Der jahrzehntelange Vorsprung der westlichen Hersteller bei Verbrennungsmotoren war kaum aufzuholen, also setzte man direkt auf Batterien und Elektrifizierung.
Europäische Regierungen sollten sich das genau ansehen. Sie können durch gezielte Anreize die Marktnachfrage nach E-Autos stimulieren – aber das darf nicht mit Technologiekopien verwechselt werden. In technologischer Hinsicht müssen wir einen eigenen Weg gehen. Innovation ist unser einziger Ausweg.
Besteht die Möglichkeit, dass chinesische oder koreanische Autohersteller Sicherheitsinnovationen wie fortschrittliche Separatoren oder Elektrolyte schneller übernehmen als europäische Hersteller?
Wir müssen anerkennen, dass sowohl chinesische als auch koreanische Hersteller über große Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verfügen, die gezielt an neuen Technologien arbeiten. Doch Innovation war schon immer eine europäische Stärke – schließlich wurde die Lithium-Ionen-Batterie in Europa erfunden.
Innovation zeigt sich auf vielen Ebenen: bei Materialien, Design, Produktionsanlagen, Fertigung und Prozessen. Es steht außer Frage, dass Europa über das Know-how und die Ressourcen verfügt, um bei der Batterieinnovation ganz vorne mitzuspielen. Die entscheidende Frage lautet: Haben wir auch den Willen und die Entschlossenheit dazu?
Welche Rolle können kleinere europäische Autohersteller oder Nischenanbieter spielen, obwohl ihnen die Kapazitäten für eine großtechnische Batterieproduktion fehlen?
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: In den ersten 15 bis 20 Jahren der Lithium-Ionen-Entwicklung waren es nicht die großen Konzerne, sondern spezialisierte Chemieunternehmen – viele davon in Japan, aber auch anderswo auf der Welt –, die das Wachstum ermöglicht haben. Es zeigt sich immer wieder: Innovation ist der Schlüssel. Kleinere und spezialisierte Hersteller mit innovativen Lösungen und Produkten haben eine echte Chance. Entscheidend ist jedoch, dass sie zeigen können, dass ihre Technologien nicht nur funktionieren, sondern auch wirtschaftlich skaliert werden können.
Wie schätzen Sie Europas aktuelle Bereitschaft ein – sowohl in Bezug auf Produktionsinfrastruktur als auch auf Denkweise –, um radikal neue Batteriedesigns im großen Maßstab umzusetzen?
Wenn wir bereit sind, mit Demut von unseren asiatischen Mitbewerbern zu lernen – gerade im Hinblick auf Skalierung und industrielle Umsetzung –, sind wir fest davon überzeugt, dass das Potenzial und die Innovationskraft in Europa vorhanden sind.
Dazu braucht es aber auch den uneingeschränkten Willen, Batterieinnovationen in vielen Bereichen entschlossen voranzutreiben. Wir müssen beweisen, dass neue Technologien einsatzfähig und skalierbar sind. Und wir müssen die Anforderungen großer OEMs verstehen – nicht nur in der Autoindustrie, sondern darüber hinaus.
Dafür braucht es auch Finanzierung: durch private Investoren, durch die Hersteller selbst sowie durch die EU und nationale Regierungen. Wie bereits erwähnt, spielen auch staatliche Anreize eine wichtige Rolle, um die Marktnachfrage nach E-Autos in Europa zu stützen.
Und schließlich müssen die Autohersteller bereit sein, Risiken einzugehen. Wir befinden uns an einem Punkt, an dem Zögern keine Option mehr ist. Jetzt ist die Zeit für mutige Entscheidungen. Wer heute bereit ist, neue Technologien zu unterstützen und Risiken einzugehen, kann sich morgen entscheidende Wettbewerbsvorteile sichern – und diese langfristig halten.
Die Batteriesicherheit rückt immer stärker in den Fokus – besonders im Zusammenhang mit thermischen Vorfällen und Rückrufen. Welche grundlegenden Konstruktionsfehler auf Zellebene müssen Ihrer Meinung nach dringend behoben werden?
Seit über 30 Jahren folgen Lithium-Ionen-Batterien dem gleichen Grunddesign. Zwar wurden Materialien, Chemie und Produktion stetig weiterentwickelt – doch die eigentliche Zellarchitektur hat sich seit dem ursprünglichen Durchbruch von Sony kaum verändert. Dieses überholte System ist mittlerweile zum Flaschenhals geworden: Es verhindert Kostensenkungen, erzwingt unflexible Designs und bremst Fortschritte bei Sicherheit und Leistung. Es ist, als würde man ständig Apps aktualisieren, aber nie das Betriebssystem – irgendwann stößt man unweigerlich an Grenzen.
Was wir brauchen, ist kein Feinschliff, sondern ein echter Neustart. Nur durch ein radikales Umdenken bei der Zellarchitektur lassen sich Herausforderungen lösen, an denen klassische Konzepte scheitern.
Brände in Lithium-Batterien entstehen häufig durch das Wachstum sogenannter Dendriten. Diese bilden sich zwangsläufig im Laufe des Batterie-Lebenszyklus durch Alterung und zahlreiche Lade-/Entladezyklen. Auch Überladung, das Laden bei sehr niedrigen Temperaturen oder häufiges Schnellladen begünstigen ihre Entstehung. Dendriten können Kurzschlüsse und sogenannte „thermische Durchgehvorgänge“ (thermal runaway) auslösen, bei denen sich die Zelle überhitzt und entzündliche Gase freisetzt. Es reicht eine einzige überhitzte Zelle – und das kann in Millisekunden geschehen. Ist der Prozess erst einmal in Gang, lässt er sich ohne Eingriff nicht mehr stoppen und kann sich auf angrenzende Zellen, den Akku und schließlich das gesamte Auto ausbreiten.
Die Lösung liegt in integrierten, vorbeugenden Technologien zur Brandvermeidung in der Zelle selbst. Das von 24M entwickelte Impervio-System unterdrückt Dendriten und verhindert thermisches Durchgehen, bevor es überhaupt entstehen kann. Im Gegensatz zu anderen Technologien überwacht Impervio nicht nur jede Zelle, sondern wirkt präventiv gegen gefährliche Vorfälle. Die Branche muss weg von reaktiven Maßnahmen zur Brandbegrenzung – hin zu aktiven Designprinzipien, die Ausfälle von vornherein verhindern. Ohne diesen Paradigmenwechsel werden sich Sicherheitsprobleme und finanzielle Risiken mit zunehmender E-Auto-Verbreitung weiter verschärfen.
Wie hilft der Ansatz von 24M Autoherstellern dabei, nicht nur Batterieausfälle zu verhindern, sondern auch Sicherheitsvorfälle gezielter und kosteneffizienter zu managen?
Neben der Früherkennung potenzieller Probleme ermöglicht unsere Separator-Technologie Impervio auch gezielte Rückrufaktionen. Statt ein ganzes Modell vom Markt zu nehmen, können nur betroffene Einheiten zurückgerufen werden – was Autoherstellern potenziell Milliardenkosten ersparen kann, ohne Kompromisse bei der Sicherheit einzugehen. Darüber hinaus verbessert Impervio die Vorhersage von Batteriezustand (State of Health, SOH) und Lebensdauerende (End of Life, EOL), was sich positiv auf die Nutzungsdauer und die Wiederverwendbarkeit der Batterie auswirkt.
Mit Blick auf 2030: Was wird aus Ihrer Sicht erfolgreiche europäische E-Auto-Marken von jenen unterscheiden, die den Wandel nicht schaffen?
Die nächste Phase des E-Auto-Wachstums bringt gleich mehrere Herausforderungen auf einmal. Wer bestehen will, muss mit Batterieherstellern zusammenarbeiten, die gleichzeitig Sicherheit und Leistung verbessern, die Kosten senken und das Recycling optimieren können. Gleichzeitig zwingen Engpässe in der Lieferkette dazu, stärker auf alternative Materialien und regionale Beschaffung zu setzen.
Auch die Batterieseite steht unter Druck: Sie muss schnell und kosteneffizient skalieren, um mit den großen, erfahrenen Wettbewerbern mithalten zu können – ohne Abstriche bei Qualität oder Sicherheit. In diesem Spannungsfeld müssen hohe Energiedichte und Schnellladefähigkeit mit Sicherheitsanforderungen, Kosten, Recyclingfähigkeit und Umweltauswirkungen in Einklang gebracht werden.
Wer erfolgreich sein will – ob Automarke oder Batterielieferant – muss sich von inkrementellen Fortschritten verabschieden und den Mut zu grundlegenden Veränderungen aufbringen. Nur mit intelligenten, integrierten Architekturen lassen sich mehrere Herausforderungen gleichzeitig lösen. Diese neue Generation von Batterie-Designs kann E-Autos günstiger, attraktiver und für mehr Menschen zugänglich machen – und so die Marktdurchdringung weiter beschleunigen.
Vielen Dank.