E-Auto-Brände: „Sicherheit beginnt im Zellkern“

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Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 4 min

Diskussionen über Batteriebrände bei Elektroautos werden meist sehr kontrovers geführt – obwohl sie deutlich seltener passieren als Brände bei Verbrennern. Mit dem Anstieg der weltweiten E-Auto-Zahlen wächst aber auch die Sorge, dass thermische Vorfälle zunehmen könnten. 24M Technologies, ein Batterieentwickler mit Wurzeln im MIT, warnt vor Risiken – nicht nur für die öffentliche Sicherheit, sondern auch für Autohersteller. Denn Kosten für Rückrufe könnten sich auf bis zu eine Milliarde US-Dollar pro Modellreihe belaufen. Die Lösung sieht 24M in einer grundlegenden Veränderung des Zellaufbaus.

Zentral dabei sei Impervio – ein Separator, der direkt in der Batteriezelle arbeitet. Anstatt Brände im Nachhinein einzudämmen, soll Impervio verhindern, dass sie überhaupt entstehen. „Die Branche baut auf Zellarchitekturen auf, die sich seit 30 Jahren kaum verändert haben“, sagt Naoki Ota, CEO von 24M. Prozessoptimierungen reichten nicht aus. Der aktuelle Ansatz greife zu spät. Das Problem beginne auf Materialebene. Moderne Zellen werden immer energiereicher. Das steigert die Reichweite, erhöht aber auch das Risiko. Dendriten – feine Strukturen, die sich mit der Zeit bilden können – durchstoßen im Extremfall die Separatoren, können Kurzschlüsse auslösen und gefährliche Kettenreaktionen in Gang setzen. Ein einziges Ereignis reiche aus, um das gesamte Auto in Brand zu setzen.

Laut 24M entstehen viele dieser Vorfälle nicht bei der Fahrt, sondern beim Laden oder Parken. Zwar sei die Wahrscheinlichkeit eines Brandes bei E-Autos statistisch deutlich geringer als bei Verbrennern. Doch die thermischen Prozesse in Lithium-Zellen machen das Löschen komplizierter. Der eigentliche Brand kann gelöscht sein – doch die Restenergie in unbeschädigten Zellen sorgt mitunter Stunden später für neue Entzündungen.

„Impervio verhindert die Entstehung von Kurzschlüssen direkt im Zellkern“, erklärt Ulrik Grape, der für das Europageschäft von 24M verantwortlich ist. Der Separator blockiere das Wachstum von Dendriten und erkenne mögliche Ausfälle frühzeitig. „Er kann die betroffene Zelle isolieren, bevor es kritisch wird.“ Der Ansatz unterscheidet sich von bestehenden Schutzsystemen, die außerhalb der Zelle ansetzen. Ein Vorteil: Rückrufe könnten gezielter erfolgen. Statt eine komplette Modellreihe aus dem Verkehr zu ziehen, ließen sich einzelne Akkus mit potenziellen Defekten identifizieren. Die Folgen für Autohersteller wären erheblich geringer. Grape spricht von einem „Paradigmenwechsel“ in der Batterietechnik.

Doch der Anspruch steht auf wackligem Fundament. Impervio wurde bislang nur intern getestet. Ob die Technologie bei genormten Prüfungen wie UN 38.3 oder SAE J2464 überzeugt, ist offen. Auch Ergebnisse externer Testinstitute wie UL Solutions stehen noch aus. Zwar sei die Integration in bestehende Produktionslinien laut 24M problemlos möglich – doch ein Beleg durch unabhängige Stellen fehlt. Auch konkrete Partnerschaften mit Autoherstellern werden nicht genannt.

24M Technologies

Die internen Tests sollen bereits überzeugt haben. So wurden zwei baugleiche Zellen überladen – eine mit Impervio, eine mit herkömmlichem Separator. Die Standardzelle entzündete sich nach 38 Minuten. Die modifizierte Zelle blieb stabil. Ob sich das unter realen Bedingungen bestätigt, bleibt abzuwarten.

In diesem Zusammenhang lohnt sich auch ein Blick auf die öffentliche Wahrnehmung. Bilder von brennenden E-Autos verbreiten sich schnell, oft ungeprüft. „Leider werden solche Aufnahmen oft genutzt, um Stimmung zu machen“, sagt Dr. Rolf Erbe von der Berliner Feuerwehr. In einem Podcast-Gespräch betonte er, dass viele dieser Aufnahmen gar keine Elektroautos zeigen. Das sorgt für falsche Eindrücke. „Die Vorstellung, dass E-Autos tagelang brennen, ist stark übertrieben.“ Feuerwehren behandeln brennende Autos zunächst unabhängig vom Antrieb gleich. Erst im Nachgang werden spezifische Maßnahmen geprüft. Der Ladevorgang oder Parkbetrieb ist aus Sicht der Feuerwehr kein besonderer Risikofaktor. Die Technik sei mittlerweile so gut abgesichert, dass Stromschläge nahezu ausgeschlossen seien. Auch bei größeren Herausforderungen wie E-Lkw oder E-Bussen sei man vorbereitet.

Zurück zur Industrie: 24M sieht seine Technologie als „Feuerlöschsystem von innen“. Das Unternehmen betont, dass Impervio keine negativen Auswirkungen auf Energiedichte oder Zellgewicht habe. Auch sei die Technik mit aktuellen Zellchemien wie Lithium-Ionen und Lithium-Metall kompatibel. Doch ohne unabhängige Bewertung bleibt ein zentraler Punkt offen: Kann die Technologie das halten, was sie verspricht?

Quelle: 24M Technologies – Pressemitteilung / Interview mit Ulrick Grape President, European Operations, 24M Technologies

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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MMM:

Ein Test mit jeweils einer Zelle ist keine Aussage.
Macht das in 10 verschiedenen Szenarien, mit jeweils 100 Zellen 20 verschiedene Hersteller und 100 „Impervio“ Zellen – dann hat man Daten.

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