Martin Brudermüller ist seit Jahrzehnten prägender Teil der deutschen Wirtschaft, zunächst als CEO von BASF, heute als Aufsichtsratschef von Mercedes-Benz. Mit Philipp Westermeyer spricht er im OMR-Podcast über geopolitische Verschiebungen, die strategische Bedeutung Chinas und die tiefgreifende Transformation der Automobilindustrie.
Mit Blick auf China bleibt Brudermüller überzeugt: „Ich bin der festen Überzeugung, wir brauchen eine gute Beziehung zu beiden – den Amerikanern und den Chinesen.“ In seiner Zeit bei BASF war er zehn Jahre lang in Hongkong aktiv und maßgeblich an einem zehn Milliarden Euro schweren Chemie-Standort in China beteiligt. Diese Nähe nutzt er auch heute bei Mercedes-Benz. „China war immer wichtig für BASF und ist es auch für Mercedes. Ich habe dort ein gutes Netzwerk.“
Klimaschutz & E-Mobilität kann nur gemeinsam gelingen
Trotz seiner engen Verbindungen nach China blickt Brudermüller nicht unkritisch auf das Land. Gleichzeitig zeigt er Verständnis für die kritische Haltung vieler, warnt aber vor Pauschalisierungen. „Nicht alles ist fair – aber das gibt’s im Westen auch“, sagt er. Statt pauschaler Ablehnung plädiert er für einen differenzierten Blick und betont die technologische Leistungsfähigkeit chinesischer Unternehmen: „Die Chinesen sind bei Schlüsseltechnologien weit vorn. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zurückfallen.“ Für ihn steht fest: Europa müsse sowohl mit den USA als auch mit China tragfähige Beziehungen pflegen. Nicht nur aus geopolitischer Vernunft, sondern auch, weil zentrale Zukunftsthemen wie Klimaschutz und Elektromobilität nur im Schulterschluss gelingen können.
Die Herausforderungen für Mercedes-Benz sieht er in einem komplexen Zusammenspiel globaler Dynamiken. Neben geopolitischen Spannungen und drohenden Zöllen belasten die Transformation zur E-Mobilität und die zunehmende Bedeutung von Software das Unternehmen. „Das zusammen wirkt natürlich auf das Unternehmen – und wir müssen für alles Lösungen finden. Das ist schon eine stramme Aufgabe.“
CLA ist im Prinzip das Ein-Liter-Auto der Elektromobilität
Wie diese Strategie konkret aussieht, zeigt sich für ihn am neuen CLA. Brudermüller zeigt sich überzeugt, dass Mercedes trotz aller Herausforderungen strategisch richtig aufgestellt ist. Besonders die neue CLA-Generation sieht er als Symbol für den technologischen Wandel: „Der CLA ist im Prinzip das Ein-Liter-Auto der Elektromobilität – mit niedrigem Verbrauch, hoher Reichweite, schneller Ladefähigkeit und einer eigenen Mercedes-Software.“ Das Fahrzeug markiere den Beginn einer neuen Produktoffensive, die nicht nur auf Effizienz, sondern auch auf digitale Eigenständigkeit setze.
Mercedes hole damit technologisch auf – insbesondere bei Software und Infotainment, wo chinesische Anbieter bereits einen Vorsprung haben. Zugleich räumt Brudermüller selbstkritisch ein: „Wir haben wahrscheinlich als westliche Hersteller zu lang nicht erkannt, wo das hingeht.“ Diese Versäumnisse aufzuholen, sei nun eine Kernaufgabe – und Mercedes sei dafür bereit.
Im Vergleich zu Tesla bewertet Brudermüller die Kapitalmarkteinschätzung deutlich skeptischer. „Ich finde die Bewertung verrückt und nicht gerechtfertigt“, sagt er mit Blick auf die enorme Marktkapitalisierung des US-Herstellers. Tesla werde eher als Tech-Konzern wahrgenommen denn als klassischer Autohersteller – ein Vorteil, den Mercedes bislang nicht in gleichem Maß für sich beanspruchen kann. Brudermüller hofft dennoch, „dass wir perspektivisch auch ein bisschen von dieser Technologiebewertung abkriegen.“ Den Weg dorthin sieht er über konsequente Produktpolitik, eine klare strategische Linie und die Strahlkraft der Marke: „Mercedes ist eine der stärksten Marken der Welt. Das ist ein Riesenasset.“
Doch nicht nur Tesla setzt die deutsche Industrie unter Druck, auch chinesische Marken holen rasant auf. Dass chinesische Hersteller längst zu ernstzunehmenden Wettbewerbern geworden sind, überrascht Brudermüller nicht. Wer Chinas Planwirtschaft aufmerksam beobachte, könne Entwicklungen frühzeitig erkennen: „Wer den Fünfjahresplan liest, weiß, was passiert.“ Die Konsequenz und Geschwindigkeit, mit der China den Wandel zur Elektromobilität und softwaregetriebenen Mobilität vorantreibt, setzt für ihn den Maßstab. „Wir müssen uns an die China-Speed gewöhnen“, betont er – auch wenn dies für die europäische Industrie ein Kraftakt sei.
„Europa bleibt unter seinen Möglichkeiten“
Trotz aller Herausforderungen bleibt Brudermüller optimistisch, nicht nur mit Blick auf Mercedes, sondern auf den Automobilstandort Deutschland insgesamt. „Wir haben das Auto erfunden. Und mit dem Wissen, was im Unternehmen ist, mit der Willenskraft – wir werden das schaffen.“ Für ihn liegt die eigentliche Hürde jedoch nicht nur in der Technologie, sondern im gesellschaftlichen Wandel. „Ich habe Zweifel, ob die Gesellschaft schon in der Breite die Einsicht hat, dass es auch ein bisschen schmerzhafter sein muss.“
Für Brudermüller geht der Blick über die Unternehmensgrenzen hinaus, hin zu Europas Rolle in der Welt. Er warnt davor, Europa in der geopolitischen Neuordnung nur als Zuschauer zu begreifen. Statt sich zwischen den Machtpolen USA und China aufzureiben, müsse der Kontinent seine eigenen Stärken selbstbewusst einbringen. „Mich ärgert das – Europa bleibt unter seinen Möglichkeiten“, so seine deutliche Kritik. Ihm fehle es an Ambition, strategischem Willen und Zielklarheit. Seine Diagnose bringt er mit einem pointierten Vergleich auf den Punkt: „Ich sage immer: wie ein intelligentes Kind, das faul in der Schule ist.“ Europa müsse sich neu erfinden – als aktiver Gestalter, nicht als Getriebener.
Quelle: OMR – „Wir müssen Chinas Autos ernst nehmen“: Mercedes-Aufsichtsratschef schlägt Alarm