Der Konflikt um den Halbleiterhersteller Nexperia entwickelt sich zu einer ernsten Belastungsprobe für die europäische Autoindustrie. Zwischen geopolitischem Druck, politischen Eingriffen und akuter Produktionsgefahr spitzt sich die Lage zu. Was zunächst wie ein außenpolitischer Streit zwischen China, den Niederlanden und den USA wirkte, hat längst unmittelbare Folgen für Werke in Deutschland.
Laut einer internen Umfrage des Verbands der Automobilindustrie (VDA), über die das Manager Magazin berichtete, rechnen mehrere große Zulieferer und Hersteller bereits innerhalb weniger Tage mit Engpässen. Vier von sieben befragten Tier-1-Zulieferern gaben an, dass sie nur noch drei bis fünf Tage produzieren könnten, bevor Teile fehlen. Auch fünf von sechs Autoherstellern sehen ihre Lieferketten gefährdet. Namen werden in der Erhebung nicht genannt, doch die Zuordnung legt nahe, dass es sich um führende Konzerne wie Volkswagen, BMW, Mercedes, Bosch oder ZF Friedrichshafen handelt.
Die Vorräte an Nexperia-Chips sind gering, Alternativen kaum einsatzbereit. Damit droht ein Szenario, das vielen in Erinnerung geblieben ist: Vor gut zwei Jahren führten Chipmangel und gestörte Lieferketten zu stillstehenden Bändern, Kurzarbeit und Produktionsausfällen. Damals fehlten komplexe Halbleiter, die infolge der Pandemie knapp wurden. Jetzt geht es um einfache Bauteile, die jedoch in großer Zahl verbaut sind.
Nexperia mit Sitz im niederländischen Nijmegen gehört seit 2018 zum chinesischen Konzern Wingtech. Ende September übernahm die niederländische Regierung auf Druck der USA die Kontrolle über das Unternehmen. Begründet wurde der Schritt mit „Risiken für die wirtschaftliche Sicherheit Europas“. In Peking stieß diese Entscheidung auf Widerstand. China reagierte mit Exportbeschränkungen für Halbleiter aus der Wingtech-Produktion in Guangdong. Nach Angaben aus Industriekreisen könnten rund 80 Prozent der dort gefertigten Chips betroffen sein.
Der Streit hat unmittelbare Folgen für die Lieferkette. Am 10. Oktober informierte Nexperia seine Kunden darüber, dass die Versorgung der Autoindustrie mit Halbleitern „nicht in Gänze gewährleistet“ werden könne. Der neue Interimschef Stefan Tilger warnte in einem Schreiben vor Qualitätsrisiken bei Bauteilen aus chinesischer Produktion. Man könne für deren Zuverlässigkeit „nicht garantieren“.
In der Branche herrscht deshalb große Nervosität. „Wir reden von Stunden oder maximal Tagen, die bleiben, um größeren Schaden zu verhindern“, zitiert das Manager Magazin einen Brancheninsider. Die betroffenen Unternehmen fordern schnelle politische Unterstützung. VDA-Präsidentin Hildegard Müller erklärte, der Verband stehe „mit der Bundesregierung sowie der EU-Kommission in engem Kontakt“. Ziel sei es, „schnelle und pragmatische Lösungen“ zu finden. Auf Bundesebene koordiniert nach Medienberichten Wirtschaftsministerin Katherina Reiche die Maßnahmen.
Die Bedeutung von Nexperia für die europäische Autoindustrie ist erheblich. Nach VDA-Angaben stammen bei sogenannten Small-Signal-Devices, die etwa in LED-Steuerungen oder Airbag-Systemen eingesetzt werden, 20 bis 30 Prozent der Bauteile von dem niederländisch-chinesischen Hersteller. Im Durchschnitt ist jedes zweite Teil bei den befragten Zulieferern von der aktuellen Krise betroffen. Bei den Herstellern liegt der Anteil bei knapp 40 Prozent.
Volkswagen bereitet sich nach Medieninformationen bereits auf mögliche Produktionsunterbrechungen in Wolfsburg vor und prüft Kurzarbeit. Auch andere Unternehmen könnten in den kommenden Tagen ihre Montagebänder drosseln müssen. Ohne die Standardchips von Nexperia können viele Zulieferer zentrale Komponenten wie Steuergeräte, Klimaanlagen oder Sicherheitssysteme nicht ausliefern.
Die Entwicklung verdeutlicht, wie verwundbar globale Lieferketten bleiben – selbst bei scheinbar einfachen Bauteilen. Noch verhandeln Den Haag und Peking über Wege aus der Blockade, doch die Zeit läuft. In den Werken der europäischen Autohersteller stehen die Produktionspläne erneut auf der Kippe.
Quelle: Manager Magazin – Autoindustrie rechnet schon diese Woche mit Produktionsausfällen / VDA – VDA-Präsidentin Hildegard Müller zu Nexperia / Automobilwoche – Berichte: VW bereitet sich wegen Chipkrise auf Stopp der Produktion vor