China: Deutsche Journalisten im Reich der Regeln

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Wolfgang Plank
Wolfgang Plank
  —  Lesedauer 4 min

Mit Vertrauen hat man es nicht so in China. Zwischen Kaschgar und Fuyuan zählt Kontrolle. Dass diese besser sei und Vertrauen nur gut, haben sich die Chinesen sehr genau aufgeschrieben – auch wenn der russische Revolutionär Lenin das so vermutlich nie gesagt hat. Sei’s drum: Auf die rund 1,4 Milliarden Chinesinnen und Chinesen hat ständig irgendjemand ein Auge – und auf Leute von außerhalb in aller Regel zwei.

Das beginnt schon lange vor der Einreise. Für kürzere Aufenthalte braucht man zwar kein Visum mehr, ein förmliches Einladungsschreiben indes kann vor Ort höchst hilfreich sein. Bei der Kontrolle am Flughafen wollen Uniformierte ja in aller Regel wissen, wann man sich wo für wie lange aufhält. Das läuft zwar in den USA nicht weniger streng, doch während es der dortige Immigration Officer bei digitaler Pass-Erfassung belässt, drischt die chinesische Kollegin einen roten Stempel ins Dokument, als wolle sie ein Loch ausstanzen. Sicher ist eben sicher.

Gekommen ist ein kleines Häuflein Deutscher, um Autos eines großen chinesischen Herstellers zu testen. Andernorts reichen für derlei Tun üblicherweise die Vorlage des Führerscheins und eine Unterschrift. Der Veranstalter wählt zwar eine Route aus, doch wer einen anderen Weg nehmen mag, nimmt eben einen anderen. Im Reich der Mitte ist die Sache nicht ganz so trivial. Schon weil der internationale Führerschein, den die meisten in der Gruppe zwar besitzen, gerne so heißen und wo auch immer gelten mag – nur eben nicht in China. Hier bevorzugt man eigene Bescheinigungen. Da weiß man, was man hat.

Zu alt für die Straße

Der bürokratische Aufwand für die Ausstellung ist zwar vergleichsweise überschaubar, fordert aber ein erstes Opfer. Unter den Kollegen, die sich für eine längere Fahrt auf öffentlichen Straßen gemeldet haben – selbstverständlich im Konvoi und hinter einem Führungsfahrzeug – stellt sich einer als jenseits der 70 Lenzen heraus. Zu viel, um einen Fremden noch auf fernöstlichen Verkehr loslassen zu wollen. Heißt: kein chinesischer Führerschein, kein Exkurs an der Perlenschnur, kein Erbarmen. Mag die Sprache der Chinesen noch so reich an Bildern sein – den Begriff Altersdiskriminierung scheint es hier nicht zu geben. Vorschrift ist nun mal Vorschrift.

Andere aus der Gruppe hatten den langen Trip wohlweislich gar nicht erst gewählt, sondern Fahrten auf dem „Testgelände“ angekreuzt. Derlei ist – gerade bei neuen Autos oder gar Prototypen – nicht ungewöhnlich. Das muss auch kein gewaltiges Areal sein wie der Ford Proving Ground im belgischen Lommel oder das VW-Gelände in Ehra-Lessin – ein schicker kleiner Handling-Kurs à la Porsche in Leipzig reicht völlig. Als ungenügend indes darf der Besucherparkplatz eines im Spätherbst schon geschlossenen Freizeitparks gelten – selbst wenn sich Chinas größter Autoexporteur beim Ausrichten der Pylonen allergrößte Mühe gegeben hat. Ordnung muss eben sein.

Eine gründliche Vorbereitung selbstverständlich auch. Das Briefing ähnelt vom Umfang her einem Lehrgang zur Permit Nordschleife, vom Inhalt eher der ersten Fahrstunde. Man solle im Auto bitte so Platz nehmen, dass die Füße die Pedale erreichen und die Hände das Lenkrad. Der wunderbare Loriot hätte spätestens hier ausgerufen: Ach was!?… Dass die deutschen Gäste überall in der Welt seit Jahrzehnten Autos bewegen, kann das Misstrauen des Veranstalters nicht zerstreuen. Auf dem etwa 100 mal 30 Meter kleinen „Parcours“ gilt daher maximal Tempo 40. Und damit das auch befolgt wird, droht eine zeigefingernde Dame mit dem Charme eines ZK-Mitglieds: „Safe! Means! Safe!“

Testfahrt meint nicht gleich Testfahrt

Der Einwand, dass Testfahrt auch Testfahrt meint, kommt bei Frau Supervisor nicht einmal mäßig an. Eindringlich mahnt sie, die auf dem Beifahrersitz platzierten Instruktoren seien berechtigt, bei jeglichem Anflug von Übermut sofort abzubrechen. Für einen Moment ist man geneigt herauszufinden, wie sie das anstellen wollen. Allerdings sehen manche aus dem Security-Team aus, als würden sie auch vor mehr als einer Standpauke nicht zurückschrecken, was größeren Protest als den auf vier quietschenden Rädern weitgehend erstickt. Für Lobpreisende einer „gelenkten Demokratie“ vermutlich Anlass zu einer La-Ola-Welle.

Das Spektakel wiederholt sich tags darauf bei der Präsentation eines Geländewagens. Identisches Briefing, identische Ermahnungen – geänderte Geschwindigkeit. Weil die gut 200 Meter Wiesenstrecke stellenweise durch knöcheltiefen Matsch und sogar über eine leichte Erhebung führen, gilt Tempo 20. Man kann gegenüber potenziellen Rasern schließlich nicht vorsichtig genug sein. Es wird schon einen Grund haben, dass in Europa fünf Sterne für ein Höchstmaß an Sicherheit stehen, werden sich die Chinesen denken. Da muss man nur mal auf die rote Flagge schauen.

Weil sich der deutsche Pressesprecher an den üblichen Hierarchien vorbei mächtig ins Zeug wirft, gibt’s übrigens für die führerscheinlosen Gesellen doch noch eine richtige Ausfahrt. Selbstverständlich aufgereiht und in besserer Schleichfahrt – aber immerhin auf öffentlichem Grund. Der Clou allerdings ist ein Foto-Termin, wie ihn selbst die ältesten der Altgedienten noch nicht erlebt haben: auf dem Standstreifen einer in beiden Richtungen dreispurigen Schnellstraße. Da bekommt „Augen auf im Straßenverkehr“ eine völlig neue Dimension.

Einen Vorteil hat das begleitete Fahren allerdings. Da vorneweg ein ziviles Polizeiauto mit Blinksignalen fährt und reger Funkverkehr herrscht, steht an wirklich jeder Kreuzung ein Uniformträger und stoppt alles, was dem Konvoi auch nur annähernd in die Quere kommen könnte. Mutet für ungelenkt demokratische Verhältnisse seltsam an, hat aber was von G7-Gipfel. Vorfahrt für die präsidiale Kolonne. Immer und überall. Daran – aber auch wirklich nur daran – könnte man sich tatsächlich gewöhnen…

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Wolfgang Plank

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Wolfgang Plank ist freier Journalist und hat ein Faible für Autos, Politik und Motorsport. Tauscht deshalb den Platz am Schreibtisch gerne mal mit dem Schalensitz im Rallyeauto.

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