Voll vernetzt, datengesteuert, selbstoptimierend: Der deutsche Elektronikkonzern Bosch hat in Dresden eine der modernsten Chipfabriken der Welt eröffnet Hochautomatisierte, voll vernetzte Maschinen und integrierte Prozesse, kombiniert mit Methoden der künstlichen Intelligenz (Artificial Intelligence, AI), machen das Werk zu einer intelligenten Fabrik und zum Vorreiter bei Industrie 4.0, wie Bosch mitteilt. Im virtuellen Beisein von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, der Vizepräsidentin der EU-Kommission Margrethe Vestager und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wurde die High-Tech-Fertigung Anfang Juni offiziell eröffnet.
Die Produktion in Dresden startet bereits im Juli und somit ein halbes Jahr früher als zunächst geplant. Ab dann kommen die im neuen Werk produzierten Halbleiter in Bosch-Elektrowerkzeugen zum Einsatz. Für den Bedarf der Automobilindustrie, wo aktuell ein akuter Chipmangel herrscht, beginnt die Chip-Produktion im September und damit ein Vierteljahr früher als geplant. Als wichtiger Bestandteil des Fertigungsverbundes für Halbleiter will Bosch mit der neuen Fabrik den Technologie- und Wirtschaftsstandort Deutschland stärken.
„Die neue Halbleiterfabrik von Bosch stärkt unsere Kapazitäten im Bereich der Mikroelektronik. Mikroelektronik ist Grundlage für nahezu jede zukunftsträchtige Technologie, für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, für Quantencomputing oder für autonomes und vernetztes Fahren“, sagte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Die neue Fabrik ist die größte Einzelinvestition in der Firmengeschichte. „Man kann das gar nicht genug herausstreichen“, findet die Kanzlerin. Allein die Größe und die zusätzlichen Produktionskapazitäten seien „beeindruckend“, so Merkel weiter: „Modernste Möglichkeiten zur datengesteuerten kontinuierlichen Produktionsverbesserung zeichnen das Dresdner Werk als intelligente Fabrik aus. Anders gesagt: Hier gehen natürliche und künstliche Intelligenz mit dem Internet der Dinge eine produktive Symbiose ein.“
„Die hochmoderne Technik in Boschs neuer Halbleiterfabrik in Dresden zeigt, welch ausgezeichnete Ergebnisse sich erzielen lassen, wenn Industrie und öffentliche Hand ihre Kräfte bündeln“, sagte Margrethe Vestager, Exekutiv-Vizepräsidentin der EU-Kommission. „Halbleiter werden zur Entwicklung von Branchen wie Transport, Produktion, Energie und Gesundheitswesen beitragen – in denen Europa Herausragendes leistet“. Dies helfe auch dabei, die Wettbewerbsfähigkeit Europas als Wiege für Spitzeninnovationen zu stärken.
Für Bosch sei es „von strategischer Bedeutung, Halbleiter als eine Kerntechnologie selbst zu entwickeln und zu fertigen. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz heben wir in Dresden die Produktion von Halbleitern auf ein neues Level“, erklärte Dr. Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH. „In Dresden eröffnen wir damit unsere erste AIoT-Fabrik: von Beginn an vollvernetzt, datengesteuert, selbstoptimierend.“
Größte Einzelinvestition in der Unternehmensgeschichte
Bosch investiert rund eine Milliarde Euro in den High-Tech-Standort. Das ist die größte Einzelinvestition in der mehr als 130-jährigen Geschichte des Unternehmens. Heute arbeiten im Halbleiterwerk in der sächsischen Landeshauptstadt bereits rund 250 Menschen auf einer Fläche von 72.000 Quadratmetern. Die Zahl der Beschäftigten soll in der Endausbauphase des Standorts auf 700 Mitarbeiter anwachsen.
Als einziger Automobilzulieferer beschäftige sich Bosch seit den 1950er Jahren intensiv mit Mikroelektronik, wie das Unternehmen mitteilt. Seit 1958 produziert Bosch Halbleiter selbst. Im Werk in Reutlingen werden seit 1970 Spezialbauelemente gefertigt, die so am Markt nicht erhältlich seien. Seit der Einführung der 200-Millimeter-Technologie im Jahr 2010 hat Bosch mehr als 2,5 Milliarden Euro alleine in seine Halbleiterfertigungen in Reutlingen und Dresden investiert. Hinzu kommen weitere Investitionen in Milliardenhöhe für die Entwicklung der Mikroelektronik. Damit verfolgt das Unternehmen weiter seine Wachstumsstrategie in der Halbleiterentwicklung und -fertigung. „Diese Kompetenz ist der Schlüssel für zahlreiche überlegene Systemlösungen“, so Bosch-Chef Denner.
Vorreiter bei Industrie 4.0
Maschinen, die mitdenken, Wartungen aus 9000 Kilometern Distanz, Brillen mit eingebauten Kameras: Bosch habe mit dem neuen Standort in Dresden eines der modernsten Halbleiterwerke der Welt eröffnet. „Dank der Kombination von künstlicher Intelligenz und dem Internet der Dinge schaffen wir die Grundlage für datengesteuerte, kontinuierliche Verbesserung in der Produktion“, erklärt Denner. Konkret bedeutet das: Alle Daten der Halbleiterfabrik – von Anlagen, Sensoren und Produkten – werden in einem zentralen Datenspeicher gesammelt. Im Werk entstehen dadurch pro Sekunde Produktionsdaten mit einem Umfang von umgerechnet 500 Textseiten. An einem Tag entspricht das mehr als 42 Millionen beschriebener Blätter.
Diese Daten werden anschließend mit Methoden der künstlichen Intelligenz ausgewertet. Selbstoptimierende Algorithmen lernen dabei, aus den Daten Vorhersagen abzuleiten. So lassen sich etwa Fertigungs- und Wartungsvorgänge in Echtzeit analysieren. Ein AI-Algorithmus erkenne beispielsweise selbst kleinste Auffälligkeiten an den Produkten, die durch spezifische Fehlerbilder, sogenannte Signaturen, auf den Wafern sichtbar werden. Die Ursachen sollen sofort analysiert und Prozessabweichungen umgehend korrigiert werden, noch bevor sie die Zuverlässigkeit des Produktes beeinflussen können.
„Künstliche Intelligenz ist der Schlüssel, um Fertigungsprozesse und Qualität der Halbleiter weiter zu verbessern und einen hohen Grad an Prozessstabilität zu erreichen“, erklärt Denner. Das wiederum führe zu einem schnellen Serienstart von Halbleiterprodukten und erspare Kunden aufwendige Erprobungen, wie sie sonst beispielsweise in der Automobilindustrie zur Freigabe einer neuen Fertigung notwendig sind.
Auch Wartungsarbeiten lassen sich mit künstlicher Intelligenz optimieren. Algorithmen können präzise Vorhersagen treffen, ob und wann eine Fertigungsmaschine oder ein Roboter gewartet oder nachjustiert werden muss. Die Arbeiten finden also nicht nach einem starren Plan statt, sondern genau dann, wenn sie erforderlich sind – und rechtzeitig, bevor es zu Problemen kommt.
„Digitaler Zwilling“: Das Werk existiert doppelt
Eine weitere Besonderheit des Halbleiterwerks ist, dass es doppelt existiert – einmal in der realen Welt und einmal in der digitalen Welt. Man spricht vom ‘digitalen Zwilling’. Alle Teile der Fabrik und alle relevanten Bauwerksdaten des kompletten Halbleiterwerkes wurden dafür bereits während der Bauphase digital erfasst und in Form eines dreidimensionalen Modells visualisiert. Der Zwilling besteht aus rund einer halben Million 3D-Objekten – von Gebäuden und Infrastruktur, über Ver- und Entsorgungsanlagen, Kabeltrassen und Lüftungssystemen bis zu den Maschinen und Fertigungsanlagen.
So lassen sich Prozessoptimierungen, aber auch Umbauarbeiten simulieren, ohne in die laufende Fertigung einzugreifen. Auch bei Wartungsarbeiten in der Dresdner Fabrik kommt High-Tech zum Einsatz: Denn via Datenbrille und Augmented Reality lassen sich Maschinen sogar aus der Ferne warten. Damit können Wartungsarbeiten in Dresden von dem Spezialisten eines Anlagenherstellers in Asien erledigt werden, ohne dass dieser vor Ort sein muss. Die Kamera der Datenbrille überträgt Videobilder einmal um die halbe Welt, der Experte dort führt den Mitarbeiter in Dresden dann in Echtzeit durch den Wartungsprozess. Diese Technologie war Bosch zufolge auch entscheidend, um die Maschinen trotz Corona-bedingter Reisebeschränkung in Betrieb nehmen zu können.
„Chips für Fahrzeuge sind die Königsdisziplin der Halbleitertechnik“
Halbleiter stecken in Form von Mikrochips in beinahe jedem technischen Gerät – in Smartphones, Fernsehern, Fitnessarmbändern. Und ohne Halbleiter fährt heute und in Zukunft kein Auto mehr. 2016 hatte weltweit jedes Neufahrzeug im Schnitt mehr als neun Chips von Bosch an Bord, zum Beispiel im Airbagsteuergerät, im Bremssystem oder im Parkassistenten. 2019 waren es bereits mehr als 17. Das bedeutet nahezu eine Verdopplung binnen weniger Jahre. Die stärksten Zuwächse sehen Experten in den kommenden Jahren bei Fahrerassistenzsystemen, im Infotainment sowie in der Elektrifizierung des Antriebs.
Mit seiner Chipfabrik in Dresden reagiert Bosch auf diese gestiegene Nachfrage nach Halbleitern. „Halbleiter sind Bausteine des Fortschritts. Elektronische Komponenten, die mit den Chips aus Dresden ausgestattet sind, ermöglichen Anwendungen wie automatisiertes und ressourcenschonendes Fahren sowie bestmöglichen Insassenschutz“, sagte Harald Kröger, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH. Das Wachstum bestätigen Erhebungen: Noch 1998 betrug der Wert der Mikroelektronik in einem Neuwagen 120 Euro. 2018 lag dieser Wert bereits bei 500 Euro, und 2023 wird er voraussichtlich 600 Euro übertreffen. Damit sind Halbleiter ein Wachstumsfeld auch für Bosch.
„Chips für Fahrzeuge sind die Königsdisziplin der Halbleitertechnik. Denn im Auto müssen die kleinen Bausteine besonders widerstandsfähig sein“, erklärt Kröger. So seien die Chips über die gesamte Dauer eines Fahrzeuglebens starken Vibrationen und Temperaturschwankungen ausgesetzt – mal weit unter dem Gefrierpunkt, mal weit über dem Siedepunkt von Wasser. Das bedeutet höhere Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Chips, weshalb die Entwicklung automobiler Halbleiter aufwendiger ist als in anderen Anwendungen. Dies erfordert spezifisches Know-how, das sich Bosch über Jahrzehnte aufgebaut habe, wie Bosch mitteilt.
Die Entwickler und Ingenieure verstehen die physikalischen Prinzipien der mikroelektronischen Bauteile im Fahrzeug. Damit werden komplette Systeme für den automobilen Unfall- und Umweltschutz möglich, die das Unternehmen ebenso entwickelt und fertigt – und das aus einem Guss. „Diese doppelte Stärke, also die Kombination von Chip- und System-Know-how, ist für Bosch von strategischer Bedeutung“, so Kröger. Zudem komplettiere Bosch seine Stärke in der Entwicklung und Fertigung von Halbleitern mit seinem System-Know-how in den Bereichen Elektronik und Software. Das ermögliche dem Unternehmen, die Qualität seiner Produkte zu sichern, diese kontinuierlich weiterzuentwickeln und Kosten zu senken.
„Silicon Saxony“: Europas größter Mikroelektronik-Standort
Bosch hatte sich nach einem weltweiten Städtevergleich für Dresden als Standort für seine Halbleiterfabrik entschieden. Das „Silicon Saxony“ ist Europas größter Mikroelektronik-Standort und der fünftgrößte weltweit. Jeder dritte in Europa produzierte Chip wird hier gefertigt. Dafür biete die Region optimale Bedingungen. „Ansiedlung und Bau der Fabrik sprechen für das große Vertrauen in den Hochtechnologiestandort Sachsen mit seinen erfahrenen und qualifizierten Fachleuten und dem hier über Jahrzehnte gewachsenen einzigartigen Netzwerk“, erklärt Sachsens Ministerpräsident Kretschmer.
So verfüge Dresden über eine gute Infrastruktur mit kurzen Wegen und guten Anbindungen. Das umfasse Unternehmen der Zulieferer-, Dienstleister- und Anwenderindustrie sowie Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit entsprechender technologischer Expertise. „In Dresden trifft modernes Unternehmertum auf wissenschaftliche Exzellenz und industriepolitische Verantwortung“, sagte Kröger. Bosch habe sich daher bewusst entschieden, die größte Einzelinvestition in seiner mehr als 130-jährigen Geschichte genau dort zu tätigen.
Quelle: Bosch – Pressemitteilung vom 07.06.2021