BBNM: Neuregelung zur Strom-Drosselung hilft beim Netzausbau

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Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 5 min

Andreas Varesi, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands Beratung neue Mobilität e.V. (BBNM), erklärt im Interview, weshalb die von vielen Medien als Horrorszenario vorgestellte mögliche Strom-Drosselung durch die Netzbetreiber ab Januar – geregelt in Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) – im Sinne der Mobilitätswende eigentlich eine gute Sache ist.

Die neue Regelung der Bundesnetzagentur sieht vor, dass die Netzbetreiber ab 1. Januar 2024 bestimmte verbrauchsintensive Geräte, darunter Wallboxen für E-Autos, bei Bedarf herunterregeln dürfen. Droht nun morgens ein leerer Akku?
Varesi: Keineswegs! Zunächst einmal ist ein solcher Eingriff des Netzbetreibers nur für drohende Überlastungen des örtlichen Niederspannungsnetzes vorgesehen – und 4,2 kW Leistung pro Ladepunkt sind dem Abnehmer zugesichert. Über Nacht fließt da definitiv genug Strom in den Akku, in zwölf Stunden wären es selbst bei gar nicht vorgesehener dauerhafter Drosselung mehr als 50 kWh – das reicht für mindestens 250 Kilometer.

In manchen Medien war zu lesen, dass mit der Neuregelung des Paragrafen 14a im EnWG sichergestellt werden soll, dass die Industrie auch in Zeiten eines zunehmend hohen Anteils erneuerbarer Energien im Strommix immer genug Strom erhält – und dies zulasten der Bürger. Stimmt das denn?
Varesi: Das ist völliger Quatsch, denn bei der Drosselungsmöglichkeit für die Netzbetreiber geht es um drohende Überlastungen im örtlichen Niederspannungsnetz, das vielerorts schlichtweg noch nicht für die Anforderungen der heutigen Zeit ausgelegt ist. Das hat überhaupt nichts mit insgesamt zur Verfügung stehenden Strommengen zu tun. Wir erleben Ähnliches wie vor wenigen Jahren beim Internet: Die Infrastruktur in unseren Städten und Dörfern ist den heutigen Anforderungen nicht mehr überall gewachsen und muss sukzessive nachgebessert werden. Und genau dafür schafft die Neuregelung einen verbindlichen Rahmen.

Andreas Varesi, BBNM

Das heißt, der neu gestaltete Paragraf 14a beschleunigt die Verbesserung der örtlichen Stromnetze eher als die Energiebedürfnisse der Menschen auszubremsen?
Varesi: Wenn bei jemandem zuhause wirklich mal die Wallbox oder Wärmepumpe vom Netzbetreiber gedrosselt werden muss, dann ist das natürlich erst einmal ein Einschnitt – wenn auch ein deutlich geringerer als das viele offenbar glauben. Allerdings sieht die Neuregelung vor, dass ein Netzbetreiber dazu verpflichtet ist, spätestens im Falle einer wiederholten Drosselung genau dort das Netz zu ertüchtigen, damit dies zukünftig nicht mehr nötig ist.

Bislang durften Netzbetreiber die Installation besonders energieintensiver Geräte wie Wallboxen mit mehr als 11 kW Ladeleistung verzögern und Kosten für die Netzertüchtigung teilweise auf die Betreiber abwälzen – auch das dürfen sie nun nicht mehr. Wir werden also erleben, dass die Netzbetreiber an vielen Orten gezwungen sein werden, Investitionen ins Netz vorzunehmen, vor denen sie sich die vergangenen Jahre noch gesträubt hatten.

Was müssen diejenigen berücksichtigen, die ab 2024 eine neue Wallbox installieren lassen wollen?
Varesi: Grundsätzlich muss jede neue Wallbox dann netzbetreiberseitig steuerbar sein, sobald sie mehr als 3,7 kW an Ladeleistung ermöglicht. Dies ist aber laut den neuen Vorgaben bereits dann der Fall, wenn eine digitale Schnittstelle vorliegt. Bei den Wallboxen, die seit 2021 KfW-Förderungen erhalten haben, ist das sowieso schon der Fall. Doch es genügt auch, wenn durch einen einfachen, fernsteuerbaren Schalter – wie über einen Rundsteuerempfänger – die Wallbox bei Spitzenlast abgeschaltet werden kann. Der Rest ist Sache des Netzbetreibers.

Es muss sich also niemand sorgen machen, eine Wallbox bestellt zu haben, die er ab Januar gar nicht mehr installieren darf. Mit kleinen technischen Anpassungen genügen auch sie den gesetzlichen Anforderungen, sollte der Netzbetreiber diese Nachrüstung vorschreiben. Die meisten Netzbetreiber sind aber ohnehin derzeit noch überhaupt nicht technisch in der Lage, Wallboxen bei Stromkunden zu drosseln. Sie dürfen dann bis zu 24 Monate lang auf Verdacht bei drohenden Überlastungen drosseln – zum Beispiel über eine Zeitschaltuhr, aber nur maximal zwei Stunden am Tag. Auch davon werden die wenigsten Verbraucher etwas mitbekommen.

Was ist mit Wohnanlagen, bei denen mehrere Ladepunkte zur Verfügung stehen?
Varesi: Die mindestens zugesagte Leistung von 4,2 kW gilt pro Wallbox. Wenn in einer großen Wohnanlage also beispielsweise 20 Ladepunkte zur Verfügung stehen, dann werden diese normalerweise sowieso von einem Lastmanagementsystem geregelt, weil der Hausanschluss zumeist gar nicht genug Spitzenleistung zur Verfügung stellt, dass alle gleichzeitig unter Volllast laufen könnten. Durch die neue Regelung dürfte sich hier nicht spürbar etwas ändern, allerdings gibt es für uns als Berater für die Umsetzung nun einige Details mehr zu beachten. Übrigens: Strom aus eigener Photovoltaik und Stromspeichern dürfen zudem zusätzlich zu den 4,2 kW aus dem Netz genutzt werden.

Haben Stromkunden außer der Aussicht auf einen baldigen Netzausbau noch etwas davon, wenn sie von Drosselungen betroffen sind?
Varesi: Ganz unabhängig davon, ob der Netzbetreiber tatsächlich einmal drosseln muss oder nicht, profitiert jeder mit steuerbaren Wallboxen künftig von einem geringeren Netznutzungsentgelt, spart also Geld. Pro Ladepunkt soll die jährliche Ersparnis 110 bis 190 Euro je nach Netzbetreiber betragen. Und Stromkunden haben nun eine rechtliche Basis dafür, Wallboxen und andere verbrauchsintensive Gerätschaften wie Wärmepumpen zu installieren – die Netzbetreiber können dies künftig nicht mehr einfach untersagen oder monatelang auf Zeit spielen.

Sie sind als Bundesverband der Berater Neue Mobilität e.V. mit den Neuerungen also zufrieden?
Varesi: Natürlich gibt es Details, die wir uns vielleicht ein wenig anders gewünscht hätten. Im Großen und Ganzen ist die Neuregelung des Paragrafen 14a aber ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigen Verkehrswende und gibt allen die nötige Planungssicherheit, zukunftsfähige Projekte mit moderner Ladeinfrastruktur anzugehen. Vor den Netzbetreibern steht allerdings viel Arbeit.

Quelle: Bundesverband Beratung neue Mobilität – Pressemitteilung vom 11. Dezember 2023

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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Stefan:

Einphasig an einer Schuko Steckdose laden und fertig. Wenn das in der Firma und Zuhause möglich ist, reicht das für den Durchnittsfahrer. Und für Fernfahrten gibt es DC Schnelllader.

Kona64:

Das funktioniert doch nur, wenn WB oder WP einen eigenen Zähler haben und der normale Hausstrom getrennt davon ist. Der PV Strom geht aber zumeist ins Haus. Ich lese die Regelung so, dass die Leistung pro Verbraucher gedrosselt wird. Die Last am Zählerpunkt ist nicht relevant.

Johannes:

Naja das ist eigentlich wie Überschussladen, nur dass du dir bei Bedarf noch 4,2 kW aus dem Netz dazu ziehen könntest. Oder auch P_auto = P_gedimmt – P_wärmepumpe + P_pv. Und wenn nicht gedrosselt wird (was wohl meistens der Fall ist) darfst du eben 11 kW (oder mehr) aus dem Netz ziehen.
Wie schon an anderer Stelle geschrieben hoffe ich, dass es nicht über die grobkörnigen Rundsteuerempfänger umgesetzt wird. Ich denke das geht auch gar nicht, weil deren Empfangsgebiet zu groß ist.

Markus V.:

Ich stellle es mir momentan schwierig vor, meinen eigenen PV-Strom zum laden zu benutzen wenn der Netzbetreiber gerade meine „steuerbare“ Wallbox oder Wärmepumpe per Rundsteuerempfänger oder gar per Zeitschaltuhr abschaltet. – Ich bin auf jeden Fall gespannt welche Farbe das Gesicht meines Elektrikers annimmt wenn ich ihn bitte das (natürlich kostengünstig) umzusetzen.

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