Batterie mit Klebeband: Werkstatt-Realität in China

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Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 3 min

Michael Dittmar ist ein echtes Urgestein der Kfz-Branche: Seit über 40 Jahren dabei, davon 34 als selbstständiger Kfz-Meister in Bochum – und seit mehr als einem Jahrzehnt mit Elektroautos vertraut. Dass er Anfang April nach China gereist ist, hat unser Gespräch im Podcast besonders spannend gemacht. Ich wollte wissen: Was läuft dort anders – und was vielleicht sogar besser? Michael hat gleich zu Beginn klargemacht, dass China und Europa keine Frage von „weiter“ oder „zurück“ ist, sondern schlicht von anders.

In China gibt es bislang keinen funktionierenden IAM, also keinen unabhängigen Aftermarket – ein Konzept, das für uns selbstverständlich ist. Werkstätten findet man dort kaum sichtbar im Stadtbild, auch klassische Vertragshändler sucht man vergeblich. Das System läuft stark digitalisiert und zentral gesteuert ab, etwa über Super-Apps wie WeChat. Ein besonders eindrückliches Beispiel schilderte Michael aus einer Auto-Reinigung: Statt Waschanlage übernehmen dort sechs Mitarbeitende mit Schwamm und Eimer die Pflege – mit beeindruckender Effizienz. „Wenn einer krank wird, drücken drei Neue nach“, meinte Michael augenzwinkernd. Ein Bild, das deutlich zeigt: Personal ist in China (noch) kein Engpass.

Trotz dieser Unterschiede sieht Michael Europa in vielen Bereichen vorn – vor allem beim Zugang zu Reparaturdaten und Ersatzteilen. „Wir werden hier ja gefühlt geflutet mit minderwertigen chinesischen Ersatzteilen – dort ist es umgekehrt: Die kriegen oft keine Teile, und wenn, dann freuen sie sich über unsere deutschen Marken.“ Auch der Umgang mit Daten ist ein Thema: Während bei uns das „Recht auf Reparatur“ gilt, steht China hier noch ganz am Anfang. Die Regierung versucht derzeit, Hersteller zur Datenfreigabe zu bewegen – in Europa längst Standard.

Auch das Ladeverhalten ist in China völlig anders: Während wir auf Reichweite setzen, zählt dort vor allem Schnelligkeit. „Fünf Minuten von zehn auf achtzig Prozent – das ist das Ziel“, so Michael. Ein interessanter Nebeneffekt: Es gibt in China ein eigenes Werkstattangebot für Battery Balancing. Die schnelle Ladegeschwindigkeit lässt dem Batteriemanagementsystem keine Zeit zum Ausgleichen der Zellen – also wird regelmäßig nachgebessert. Doch nicht alles ist so durchorganisiert, wie es auf den ersten Blick scheint. Bei einem Werkstattbesuch zeigte sich: Arbeitssicherheit und Reparaturprozesse sind dort oft improvisiert. „Da war eine Batterie mit Klebeband und Scheibenkleber zusammengebaut – das war Realität“, schildert Michael. Die Batteriehersteller schicken im Fall eines Defekts sogenannte Flying Doctors – statt die Werkstätten zu befähigen, selbst zu reparieren. Ein echtes Kontrastprogramm zu unserem System.

Trotzdem erkennt Michael auch Potenziale: „Hands-on ist gar nicht schlecht. Ich finde gut, dass man sich was traut, wo wir vielleicht überreguliert sind.“ Ein Beispiel: Battery Balancing könnte auch hierzulande eine spannende Zusatzdienstleistung sein – gerade für Vielfahrer mit älteren Akkus. Insgesamt ist für ihn klar: Europa steht gar nicht so schlecht da. „Wir sind nicht schlechter als sie – im Gegenteil. Aber wir dürfen unseren Vorsprung nicht verspielen.“ Besonders die chinesische Lernbereitschaft und Effizienz könnten uns künftig herausfordern. „Wenn die hier ausgebildet würden, die würden alles sofort umsetzen.“

Nun aber genug der Einblicke aus Fernost – hör selbst rein in unser spannendes Gespräch.

Gerne kannst du mir Fragen zur E-Mobilität, die dich im Alltag beschäftigen, per Mail zukommen lassen. Die Antwort darauf könnte für andere Hörer des Podcasts ebenfalls von Interesse sein. Wie immer gilt: Über Kritik, Kommentare und Co. freue ich mich natürlich. Also gerne melden, auch für etwaige Themenvorschläge. Und über eine positive Bewertung beim Podcast-Anbieter deiner Wahl freue ich mich natürlich auch sehr! Danke.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.
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Johannes:

Hallo ich wollte mal zur Folge 382 etwas schreiben
1. Sie war wie fast immer sehr interessant, ich hatte vorher noch nichts gehört wie in China die Werkstätten so Arbeiten.
2. Relativ am Ende des Beitrages wurde erwähnt das die Autos in China zum Großteil keinen Geräuschgenerator haben und deshalb völlig leise fahren können. Etwas das mich als Mensch ohne besondere Sehkraft Einschränkung freuen würde, aber als Blinder ist fatal die verlassen sich auf der Straße zur Abstands Einschätzung zum fliesenden Verkehr sehr stark auf das Gehör , zumindest bei denen die ich kannte.
Haben die Chinesen da andere Möglichkeiten oder dürfen die Blinden nicht auf die Straße?

Manfred:

Ich habe in folgenden Produktbereichen Erfahrungen. Im Bereich Energiesysteme, darunter Energiespeicher und Wechselrichter für PV Anlagen. Hier hatte ich regelmäßig Kontakte zu Herstellern. Bei Einigen waren die Produkte topp, ausgereift und der Service durch europäische Vertragspartner völlig in Ordnung.

In einem anderen Bereich nämlich Funktechnik und Telekommunikation sieht es bei einigen Firmen nicht ganz so rosig aus. Die Produkte sind interessant und innovativ. Leider haben sie nicht selten Mängel in der Qualitätskontrolle und sind nach einem Jahr spätestens vom Markt verschwunden oder werden über wechselnde Markenlabels weiter vertrieben. Ich finde das nicht seriös.

Bei E-Autos habe ich tatsächlich keinerlei direkte Erfahrungen. Nur pfeifen es die Spatzen von den Dächern, das viele chinesische Marken, darunter auch welche die nach Europa exportieren, nicht überleben werden. Da möchte ich kein Kunde sein.

Und NEIN mit Chinabashing hat das nichts zu tun. Ich traue den Chinesen allerhand zu. Sie sind in der Lage sich anzupassen und Fehler zu beheben.

Ich selber freue mich darüber, wenn wir noch einige Vorsprünge haben.

P.S. Die Namen von Unternehmen habe ich absichtlich, aus rechtlichen Gründen, nicht erwähnt.

Michael:

Toller Artikel, der die Realität sehr gut widerspiegelt.
Ich habe in meinen 3 Arbeitsjahren in China ALLES mit Statistik (Glockenkurve) erklärt: 1 Prozent Genies sind bei 1,3 Mrd. Menschen viel mehr als das ganze Ingenieurspotenzial des Westens.
In dieser konkurrierenden Menschenmasse gibt es zu jedem denkbaren Thema Tausende, die sich damit – erfolgreich oder nicht – beschäftigen.

Natürlich produziert das 1 Prozent der in jedem Land vorhandenen Idioten riesige Mengen verpfuschte Produkte. Aber alle lernen schnell dazu.

Bezüglich dem Kapitel Datenschutz:
Aus „Homologationsgründen“ mussten möglichst viele Produktdetails eingereicht werden.
Fast bei jeder Anfrage zu irgendwelchen chinesischen Normen oder Richtlinien waren immer „interne“ Dokumente von Wettbewerbern – mit Firmenlogo und „vertraulich“ Kennzeichnung – mit dabei.

Kurz gesagt: Es ist keine Frage ob uns die Chinesen überholen sondern nur wann.

Groß:

Lebst Du in China das Du das so genau weißt?

Bei vielen sind Vorurteile im Denken verwachsen. Deswegen ist die Realität meist anders als das Senken in Europa über andere.

Sebastian Henßler:

-> Gibt es denn für deutsche Fahrzeuge öffentlich zugängliche Daten zum Battery-Balancing bei häufiger Schnellladung?

Ist uns aktuell zumindest nicht bekannt, dass es diese Daten öffentlich zugänglich gibt.

Manfred:

Da kann man nur zustimmen. Dies gilt auch für andere Hightech Produkte. Zum Teil sehr starke und beeindruckende Ideen, die auch schnell umgesetzt werden. Dann aber leider immer noch, in Teilbereichen, Qualitätsmängel, schlechter Service und mangelnde Produktpflege. Kauft man heute ein teureres Produkt, das durch seine Features überzeugt, dann kann es schon Morgen wieder vom Markt verschwunden sein. Es ist vieles noch durch eine Wegwerfmentalität geprägt. Ich bin allerdings sicher, das es sich mehr und mehr verbessern wird.

Thomas Schmieder:

> Es gibt in China ein eigenes Werkstattangebot für Battery Balancing. Die schnelle Ladegeschwindigkeit lässt dem Batteriemanagementsystem keine Zeit zum Ausgleichen der Zellen – also wird regelmäßig nachgebessert.

Ein interessanter Aspekt, den ich durchaus für wahrscheinlich halte.

Wir machen immer noch eigene Versuche mit unserer PV-Testanlage und unterschiedlichen Balancer-Systemen.
Zwei Batteriezüge zum Vergleich mit je 16x 320Ah LiFePO₄, die wahlweise aus PV oder dem Netz geladen werden können. Das findet mit maximal 1C statt.
Trotzdem zeigt sich hier schon, dass die billigen BMS mit integriertem passiven Balancing schon nicht mehr mithalten können.
Bei den wenigen funktionierenden aktiven Balancern benötigt man auch mindestens 4A-Typen, um über einen ganzen Tag zum Ausgleich zu kommen.
Bei leistungsstärkeren gibt es keine Probleme mehr.

Gibt es denn für deutsche Fahrzeuge öffentlich zugängliche Daten zum Battery-Balancing bei häufiger Schnellladung?

Die Hochvolttechnik der BEV-Batterien erfordert sicherlich wesentlich komplexere Ausgleichs- und Überwachungssysteme, als eine stationäre PV-Batterie.

Groß:

Wie lange war hierfür Michael Dittmar in China?
Welche Service-Stationen von welchen Automarken hat er sich angesehen?
Was in China noch sehr wichtig ist , ist wo wo war er.
China ist immer noch Einlass der Gehensätze, aber in vielen Punkten kann ich ihm nur zustimmen.

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