Der Motor der deutschen und europäischen Automobilindustrie stottert, chinesische und amerikanische Hersteller überholen mit ihren Elektromodellen auf der rechten Spur, schreibt Allianz Trade, eine Tochtergesellschaft der Allianz Versicherung, in einer aktuellen Mitteilung. Die deutschen Autobauer und -zulieferer werden demnach durch den Innovationsrückstand und durch hohe Kosten ausgebremst, bei einer zuletzt zudem sehr schwachen Nachfrage. Und nun drohen Zölle, die sie weiter ins Schleudern bringen könnten. Europäische und insbesondere deutsche Hersteller und Zulieferer wären sowohl von zwischenstaatlichen Zöllen in Nordamerika als auch von US-Zöllen auf Importe aus Europa besonders stark betroffen.
„Die drohenden Zölle an den unterschiedlichsten Fronten sorgen für schlaflose Nächte in der deutschen und europäischen Automobilbranche“, sagt Guillaume Dejean, Senior Branchenexperte bei Allianz Trade. „Die USA sind zusammen mit China der Absatzmarkt für europäische Hersteller, sie wären bei einem sich zuspitzenden Handelskonflikt besonders verwundbar. Europäische Autos wären im US-Markt dann noch teurer und gegenüber den heimischen Marken kaum noch wettbewerbsfähig“, so Dejean.
Das dürfte Auswirkungen auf die heimische Produktion und im schlimmsten Fall hiesige Arbeitsplätze haben, so der Branchenexperte weiter. Etwaige Gegenzölle der Europäischen Union würden US-Hersteller hingegen kaum treffen, da für sie der europäische Markt keine große Rolle spiele. Deshalb gebe es aktuell Überlegungen, Zölle auf US-Autos von derzeit 10 Prozent auf einen Wert zu senken, der sich an die 2,5 Prozent anlehnt, die die USA selbst verlangen. „Das würde amerikanischen Herstellern einen besseren Marktzugang in Europa zu gewähren“, so Dejean.
Deutsche Hersteller gehören im Handelskonflikt fast überall zu Verlierern
Aber auch Zölle auf Importe aus Mexiko hätten gravierende Auswirkungen, weil viele europäische Autohersteller und Zulieferer von Mexiko aus den US-Markt bedienen. „Egal an welcher Schraube im Handelskonflikt gedreht wird, die deutschen Autobauer gehören fast immer zu den Verlierern“, sagt Dejean. „Aber mit hoffnungsvollem Abwarten ist ihnen nicht geholfen. Die europäischen Autobauer haben lange am Verbrenner festgehalten und sich wenig bewegt. Dieser Bumerang kommt nun zurück. Jetzt müssen sie Wege aus der Krise finden – auch in Hinblick auf die strengeren CO2-Ziele in der EU, die trotz der Nachfrageflaute bei Elektroautos in Kraft treten werden.“
Um den zahlreichen Herausforderungen zu begegnen, seien sowohl Politik als auch die Unternehmen selbst gefragt. „Eine Verschlankung der Modellpalette auf fünf bis sechs Modelle, die sowohl in Hybrid- als auch in Elektroversionen angeboten werden, könnte beispielsweise helfen, die Kosten zu senken und die Effizienz zu steigern“, sagt Dejean. „Und durch eine stärkere vertikale Integration und die Entwicklung maßgeschneiderter Ladelösungen können Kosten gesenkt und die Abhängigkeit von externen Lieferanten reduziert werden.“
Die Erschließung neuer Märkte könne zudem helfen, die Abhängigkeit vom chinesischen Markt zu verringern und neue Wachstumschancen zu nutzen. Besonders attraktiv seien dabei Absatzmärkte mit niedrigem Motorisierungsgrad, in dem der internationale Wettbewerb noch nicht sehr ausgeprägt ist, wie beispielsweise Indien, Vietnam, Indonesien und Südamerika. Investitionen in Forschung und Entwicklung spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.
Balanceakt: Investitionen müssen dringend her – trotz knapper Kassen
„Das ist in der aktuellen Situation ein Balanceakt. Denn natürlich kostet es erst einmal Geld, neue Märkte zu erschließen und in Innovationen zu investieren – zu einem Zeitpunkt, in dem die Kassen oft eher knapp sind“, sagt Dejean. „Aber wenn nicht jetzt, wann dann. Wenn die Unternehmen jetzt nicht aktiv diese Weichen für die Zukunft stellen, dann werden sie noch weiter ins Hintertreffen geraten. Deshalb sollten sie mindestens 10 Prozent ihrer Ausgaben in Technologie, Forschung, digitale Bordtechnik und Kundendienst stecken, um mit den Innovationen der chinesischen und amerikanischen E-Modelle mithalten zu können.“
Durch eine verstärkte Zusammenarbeit innerhalb der Branche und den Schulterschluss mit politischen Entscheidungsträgern können Skaleneffekte erzielt, eine Lernkurve gefördert und faire Handelsbedingungen verbessert werden.
Neben Unternehmen ist auch die Politik gefragt
„Die Einführung von Zöllen auf Autos mit einem europäischem Produktionsanteil von unter 75 Prozent, um die lokale Produktion zu fördern, könnte hier eine Maßnahme sein“, sagt Dejean. Zudem könne die Förderung der Batterieproduktion und -recycling in Europa die Abhängigkeit von China verringern. Auch die (erneute) Einführung von Kaufanreizen für lokal produzierte Elektroautos und eine Förderung der Elektrifizierung von Unternehmensflotten könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein, ebenso wie dringend notwendige Investitionen in den Ausbau der (Schnell-)Ladeinfrastruktur – gerade in ländlichen Gebieten. Das würde die Akzeptanz von Elektrofahrzeugen erhöhen.“
Auch die Förderung grüner Innovationen spielt politisch eine Rolle, beispielsweise bei der Unterstützung von Projekten im Bereich Batterien, autonomes Fahren und Recycling durch das EU-Horizon-Programm. „Die deutsche Automobilindustrie steht vor einer Herkulesaufgabe“, sagt Dejean. „Aber mit den richtigen Strategien und politischen Maßnahmen können sie gestärkt aus der Krise hervorgehen und eine führende Rolle in der globalen Mobilitätswende übernehmen.“
Quelle: Allianz Trade – Pressemitteilung vom 17.02.2025