Warum Verkehrsminister Wissing die Klimaziele nicht verschärfen will

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Laurence Chaperon

Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 3 min

Viele hatten gehofft, dass mit der Ampel-Koalition ein Verkehrsminister das Amt übernimmt, der – wie im Koalitionsvertrag eigentlich festgelegt – mit Nachdruck und Tatandrang auf einen möglichst schnellen und umfassenden Wandel zu wirklich emissionsfreier Mobilität hinarbeitet. Doch nach den ersten Wochen von Volker Wissing (FDP) wird klar: Er wehrt sich gegen ehrgeizigere Klimaziele, wie er zuletzt in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung offen zugab.

Zuletzt gab es einen Streit innerhalb der neuen Regierung über die Klimaziele der EU-Kommission. Umweltministerin Steffi Lemke (Die Grünen) wollte auf EU-Ebene wesentlich härtere Grenzwerte für die Pkw-Flotten durchsetzen: Eine Reduzierung der CO2-Emissionen der Neuwagenflotte auf 75 Prozent bis 2030 statt der aktuell beschlossenen 55 Prozent. Wissing aber blockte ab. Er sagte in dem Interview, dass die Klimaziele der Kommission, wie sie in dem Programm ‚Fit for 55‘ festgelegt sind, „in der Koalition nicht zur Debatte“ stünden. Ihm sei wichtig, diese vereinbarten Klimaschutzziele zu erreichen, „aber wir müssen dabei immer darauf achten, dass wir den Bogen nicht überspannen“.

Man dürfe „nicht immer nur Druck, Druck, Druck ausüben“, sagte Wissing, womit er den Druck auf Gesellschaft zu nachhaltigerem Handeln meint. Er befürchtet, „die Bevölkerung [zu] verlieren, weil sie zu stark in ihrer Mobilität eingeschränkt wird“. Er befürchtet, „Arbeitsplätze [zu] verlieren, weil wir mit immer neuer Regulierung verhindern, dass die Automobilindustrie einen kontinuierlichen Transformationsprozess verfolgen kann“. Ihm sei „wichtig, dass ein einmal beschlossener Regulierungsrahmen nicht ständig neu diskutiert und infrage gestellt wird“, da dies Verunsicherung schaffe und eine erfolgreiche Transformation erschwere.

Er sieht das Dilemma in der Debatte mit Lemke darin, dass eine Umweltministerin die Aufgabe habe, „dafür zu sorgen, dass Umweltziele mit Nachdruck verfolgt werden“. Ein Verkehrsminister allerdings habe „die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass eine Gesellschaft mobil bleibt“. Und diese Mobilität sieht er mit zu harten Klimazielen gefährdet.

Einen wichtigen Baustein, um die im Koalitionsvertrag anvisierten 15 Millionen elektrische Fahrzeuge auf deutschen Straßen bis 2030 zu erreichen, sieht der Verkehrsminister im Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur. Er sagt, er nutze „jede Möglichkeit, die sich bietet, um den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur zu beschleunigen“.

„Jeder sollte seinen Beitrag leisten“

Gleichzeitig nimmt er auch die Automobilindustrie in der Verantwortung, sich daran zu beteiligen: „Die Unternehmen haben ja auch ein Interesse daran, dass ihre Fahrzeuge vom Kunden genutzt werden können, und das setzt eine entsprechende Infrastruktur voraus“, so Wissing. Und deshalb sollte „jeder seinen Beitrag leisten“. Er führe bereits Gespräche mit der Automobilindustrie und sagt, er habe Signale bekommen, die „in die richtige Richtung“ gehen.

Und einmal mehr bekräftige Wissing in dem Interview, dass er den rein elektrischen Batterieantrieb nicht als unangefochtene Technologie der Zukunft sieht. Auch der Verbrenner werde weiterhin gebraucht, so der Verkehrsminister, etwa für den schweren Nutzverkehr oder Flugzeuge. Ein Verbrennungsmotor sei „ein echtes Universaltalent“ und könne „vom Mofa bis hin zu schweren Nutzfahrzeugen für alles eingesetzt werden“, so Wissing. Fossil betrieben habe er allerdings „den bekannten Nachteil, dass er CO2-Emissionen verursacht“. Und das wolle er ändern, indem ab 2035 nur noch Verbrennungsmotoren zugelassen werden, „die nachweislich nur mit klimaneutralen Kraftstoffen betankt werden können“.

Quelle: Bundesministerium für Digitales und Verkehr – Pressemitteilung vom 19.02.2022

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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ManfredO:

Wahrscheinlich wird auch in D (wie in NL) ein Gericht das Tempolimit verhängen müssen, da die Politik ihre Völkerrechtsverbindlichen Ziele zur Reduzierung von Emmissionen verfeht!

Andreas E.:

Da fällt mir noch was ein um eine schneller Verbreitung von e-Autos zu gewährleisten.
Man könnte jeden Kfz-Hersteller verpflichten, dass das günstigste Auto in seinem Angebot für Deutschland eine BEV sein muss mit gleicher Ausstattung wie die günstigsten Verbrenner seines Angebots.

Andreas E.:

Und bzgl. Finanzierung der Ladeinfrastruktur, könnte man ähnlich der EEG-Umlage, eine Abgabe in Höhe von 1000,- (es soll ja weh tun und zum Nachdenken anregen) auf jedes in Deutschland zum ersten Mal zugelassene Kfz das auch mit fossilen Kraftstoffen betrieben werden kann. Zu entrichten direkt bei der Zulassung. Bei ca. 3-3,5 Mio Neuzulassungen jährlich, kommt da ein schönes Sümmchen zusammen. Finanzierung Ladeinfrastruktur erledigt :)

Andreas E.:

Wenn H. Wissing es mit dem Argument „…dass ein einmal beschlossener Regulierungsrahmen nicht ständig neu diskutiert und infrage gestellt wird“ ernst meinen würde, dann würde er aus den 15 Mio BEVs bis 2030 nicht PHEVs machen.
Soviel zu >> Er befürchtet, „Arbeitsplätze [zu] verlieren, weil wir mit immer neuer Regulierung verhindern, dass die Automobilindustrie einen kontinuierlichen Transformationsprozess verfolgen kann“<<

Ernesto:

Richtig, ich sitze in einem Holz-Kork-Lehm Haus und nur für den Keller wurde Zement verwendet. Sowas kann man auch als 4-stöckiges Reihenhaus machen und spart dann kurz mal 80% Energie die für Zement notwendig wäre. Ungebrannter luftgetrockneter Lehmstein spart fast 100% Energiekosten für die gebrannten Tonsteine ein. Ist aber ein Problem sowas bei den Baubehörden durchzubringen (sowas haben wir noch nie gesehen… gibt es denn dafür eine Norm? Und welche Nummer hat die bitte?) …Die Architekten schwärmen davon auch nicht, lässt sich nicht einfach in die genormte Baumaterialschublade stecken, und erfordert einen höheren Aufwand fürs gleiche geld…… deswegen wurde unser Haus auch von einem Zimmermann gebaut. Da fehlt es wirklich an Aufbruch und Ideen bei den Behörden. Mein Haus kann in 200 Jahren komplett recycelt werden bis vielleicht auf den Kunststoff in den Abwasserrohren und die Kabelummantelung der Elektrik…alles andere kann wiederverwendet oder ohne jeden Umweltschaden verrottet werden. Denn ich habe an einen chemiefreien Holzbau gedacht, der dank Lehm auch ohne Schädlinge die nächsten 2-300 Jahre überleben wird.

Skodafahrer:

Putin setzt das Elektroauto durch!
Regenerative Energien werden strategisch wichtiger.

S. Eckardt:

Leider sind die Grünen in der aktuellen Regierung gegenüber SPD und FDP – die bei Klimafragen gemeinsam blockieren – in der Minderheit. Das darf aber für die Grünen kein Argument sein, hinter dem man sich versteckt. Wenn die Grünen weiter nichts wirklich Zielführendes bewegen können, müssen sie aus der Regierung austreten und so ihr Gesicht wahren. Das wäre wichtiger, als sich eitel Regierungspartei zu nennen (die doch nichts bewegt).

Jan:

Ich finde es nervig, immer neue Ziele zu formulieren. Statt laufend neue zu formulieren, sollte man die alten erst mal umsetzen. Mein Tipp: Mit und ohne zusätzliche Regulierung geht es im Verkehrssektor schneller als bislang erwartet, und die 15 Mill. BEV 2030 werden deutlich überschritten. Hier ist ja ein Portal für den Verkehr. Ich denke, im Bereich Wohnungsbau/ -bestand fehlt (noch?) jegliches Konzept. Was man von der alten Regierung geerbt hat, ist ein Scherbenhaufen. Wenn jetzt noch die Pelletheizungen wegen Feinstaubs wegfallen, ist der Tiefpunkt erreicht. Ob nun 55er oder 40er Standard: Um null Emissionen zu erreichen, müsste es einen 0er-Standard geben. Jede Förderung von auf fossilen Energien basierenden Konzepten, die nur die theoretischen Emissionen reduzieren, helfen nichts zur Erreichung des Ziels. Und dann noch die Idee, man müsse mehr bauen. Ich habe mal gelesen, dass die weltweiten CO2-Restmengen für 2 Grad allein schon überschritten werden, wenn China weiter so viel baut (weil die Zementproduktion so umweltschädlich ist). Ich hätte mir gewünscht, die Grünen hätten in die Regierung ein Konzept für den Klimaschutz mitgebracht hätten, das sie jetzt nach und nach umsetzen. Mir scheint, sie sind immer noch vor der Größe der Aufgabe überwältigt. In 2022 jedenfalls wird es mit Solar und Wind einerseits und ökologischem Bauen noch keine Ergebnisse geben.

Daniel W.:

Wie es der Kabarettist Volkers Pispers einmal sagte:

„CDU, CSU, SPD, FDP und GRÜNE sind im Grunde eine Einheitspartei.“

Egal wie man sie auch mischt, es kommt immer das Gleiche heraus, weil sie sie im Grunde immer den gleichen Lobbyisten zuhören, da nützt auch ein Personalwechsel in den Parteien wenig.

Ich befürchte, dass noch viel mehr und schwerere Klimakatastrophen kommen müssen bevor die Politiker den (Auto-) Lobbyisten mal einen Tritt in den Allerwertesten geben und die Energiewende richtig angehen.

Martin:

Soso Herr Wissing, der Verbrennungsmotor ist ein „echtes Universaltalent“? Was ist dann ein Elektromotor..?

Vor vielen Jahren habe ich mal einen Schülerausflug ins Zweiradmuseum Neckarsulm mitgemacht. Dort wurden uns die Anfänge der Firma DKW erklärt. Die hatten einen kleinen Zweitakter im Angebot, den sie als Nähmaschinenantrieb vermarkten wollten. Aus bis heute unerfindlichen Gründen lief das aber nicht so recht ;-) Statdessen wurde das Ding als „Des Knaben Wunsch“ als Hightech-Kinderspielzeug (wohl einiges erfolgreicher) platziert…

Vielleicht wäre Herr Wissing in einem Museum auch besser aufgehoben, wo er gerne von überholter Technik schwärmen kann…

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