Verbrenner-Aus 2035: Experte sieht hohe Chance auf Lockerung

Cover Image for Verbrenner-Aus 2035: Experte sieht hohe Chance auf Lockerung
Copyright ©

shutterstock / 2666274487

Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 3 min

Das von der EU beschlossene Aus für Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 gerät zunehmend ins Wanken. Was ursprünglich als zentrales Element des europäischen Green Deals geplant war, wird inzwischen in Brüssel und den Mitgliedsstaaten heftig diskutiert. Die politische Stimmung hat sich seit der letzten Europawahl spürbar verändert, konservative Kräfte fordern Nachbesserungen. Im Gespräch sind Ausnahmen für Hybridantriebe, ein stärkerer Fokus auf synthetische Kraftstoffe oder eine zeitliche Verschiebung des Inkrafttretens. Vor allem aus Deutschland wächst der Druck, das Gesetz flexibler zu gestalten. Gleichzeitig sind viele Autokäufer verunsichert: Noch ist offen, wie lange Elektroautos in Deutschland von der Kfz-Steuer befreit bleiben, und auch die hohen Anschaffungskosten schrecken ab.

Dennoch zeigt der Markt wieder leichte Erholungstendenzen. Nach dem abrupten Ende des Umweltbonus Ende 2023, das die Branche in eine Schockstarre versetzte, steigen die Neuzulassungen von E-Autos wieder. Allerdings sind viele dieser Fahrzeuge noch Eigenzulassungen der Händler, wie der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) betont. Klar ist: Während Elektroautos langsam wieder an Fahrt aufnehmen, hängt über der gesamten Industrie die Frage, ob das Verbrenner-Aus tatsächlich so kommt, wie beschlossen.

Wie realistisch eine Umsetzung ist, darüber sprach Edison mit Alexander Timmer, Partner und Managing Director bei der Strategieberatung Berylls by AlixPartners. Timmer, der seit Jahren die Entwicklung der globalen Antriebswende analysiert, sieht deutliche Anzeichen für Bewegung: „Die Wahrscheinlichkeit, dass das Zulassungsverbot weiter aufgeweicht wird, liegt bei etwa 50 bis 80 Prozent“, findet er. Erste Schritte in diese Richtung gebe es bereits, etwa die Streckung der CO₂-Ziele.

Komplettes Kippen des Verbrenner-Aus nicht sehr wahrscheinlich

Ein komplettes Kippen hält er dagegen für nahezu ausgeschlossen: „Europa hat eine Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klimawandel übernommen. Eine Rückabwicklung des Verbots würde das Ganze unglaubwürdig machen und unserem Anspruch, Innovationsführer zu sein, nicht gerecht werden.“ Realistischer seien aus seiner Sicht moderate Anpassungen: eine Verschiebung des Starttermins, Ausnahmen für Hybride oder eine erweiterte Rolle synthetischer Kraftstoffe. Gleichzeitig warnt er vor überhöhten Erwartungen: „Die Annahme, dass wir in zehn Jahren flächendeckend und in den nötigen Mengen alternative Kraftstoffe zur Verfügung haben werden, ist ebenso wenig realistisch wie der Wunsch, schon in fünf Jahren alle Flottenautos emissionsfrei zu betreiben.“

Besonders problematisch erscheint Timmer die geplante Verpflichtung, ab 2030 Firmen- und Mietwagenflotten ausschließlich mit emissionsfreien Autos zu bestücken. Flottenfahrzeuge machen rund 60 bis 70 Prozent aller Neuzulassungen in Europa aus. Zwar könne die Maßnahme enorme Wirkung entfalten, doch Timmer zweifelt klar: „Der BEV-Anteil in den betrieblich genutzten Flotten liegt aktuell bei etwa 23 Prozent. Den in fünf Jahren vervierfachen zu wollen, ist völlig unrealistisch.“

Auch Hybridlösungen bringen aus seiner Sicht keine echte Abhilfe. Laut Berechnungen von Berylls würden sie ab 2035 zusätzliche Emissionen von bis zu einer Million Tonnen CO₂ pro Jahr verursachen. „Das wäre in etwa so viel wie bei 7,2 Millionen gefahrenen Autobahnkilometern oder bei einer Produktion von 600.000 Tonnen Stahl.“ Technologien wie Range-Extender, die in China als Brückenlösung genutzt werden, beurteilt er differenziert. Dort sei es aufgrund der unterentwickelten Ladeinfrastruktur auf dem Land sinnvoll, in Europa hingegen nicht: „Ein flächendeckender Einsatz bis Ende der Dekade ist in meinen Augen nicht realistisch.“

Dennoch blickt Timmer optimistisch auf die kommenden Jahre. Die Reichweiten von Elektroautos steigen, die Ladeinfrastruktur wächst, und mit neuen Modellen zu niedrigeren Preisen werden Stromer für breitere Käuferschichten attraktiv. „Die zweite Hälfte dieser Dekade steht klar im Zeichen der Demokratisierung von Elektromobilität.“

Quelle: edison – „Wir stehen vor einer Demokratisierung von Elektromobilität“

worthy pixel img
Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

Artikel teilen:

Schreib einen Kommentar und misch dich ein! 🚗⚡👇


Ähnliche Artikel

Cover Image for Verbrenner-Aus 2035: Experte sieht hohe Chance auf Lockerung

Verbrenner-Aus 2035: Experte sieht hohe Chance auf Lockerung

Sebastian Henßler  —  

Das EU-Verbrenner-Aus 2035 wankt: Experte sieht 50 bis 80 Prozent Chance auf Aufweichung, warnt vor Illusionen bei E-Fuels und unrealistischen Flottenzielen.

Cover Image for Mercedes kehrt zurück zum Verbrenner – mit Hilfe von BMW

Mercedes kehrt zurück zum Verbrenner – mit Hilfe von BMW

Sebastian Henßler  —  

Ola Källenius korrigiert den Kurs: Mercedes denkt wieder stärker über Verbrenner nach – und setzt dafür auf eine überraschende Partnerschaft mit BMW.

Cover Image for Porsche zieht bei Batterietochter Cellforce den Stecker

Porsche zieht bei Batterietochter Cellforce den Stecker

Sebastian Henßler  —  

2021 mit großen Versprechen gestartet, 2025 vor dem Ende: Porsche muss bei Cellforce 295 Mio. Euro abschreiben und lässt wohl Viele ohne Job zurück.

Cover Image for Chinesen fordern Stellantis zu mehr Tempo bei E-Autos auf

Chinesen fordern Stellantis zu mehr Tempo bei E-Autos auf

Daniel Krenzer  —  

Bislang bietet Stellantis nur ein einziges eigenes Elektroauto in China an, der Rest sind zunehmend uninteressante fossile Verbrenner.

Cover Image for JLR öffnet Solarpark mit 18 Megawatt Leistung

JLR öffnet Solarpark mit 18 Megawatt Leistung

Michael Neißendorfer  —  

Am Stammsitz von Jaguar Land Rover in Gaydon deckt der neue Solarpark bis zu 31 Prozent des dortigen Energiebedarfs.

Cover Image for Kia startet Serienproduktion des EV4 im Werk Zilina

Kia startet Serienproduktion des EV4 im Werk Zilina

Sebastian Henßler  —  

Im Kia-Werk Zilina, Slowakei, läuft erstmals ein Elektroauto vom Band. Für den Produktionsstart des EV4 wurden die Fertigungslinien umfassend modernisiert.