Das von der EU beschlossene Aus für Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 gerät zunehmend ins Wanken. Was ursprünglich als zentrales Element des europäischen Green Deals geplant war, wird inzwischen in Brüssel und den Mitgliedsstaaten heftig diskutiert. Die politische Stimmung hat sich seit der letzten Europawahl spürbar verändert, konservative Kräfte fordern Nachbesserungen. Im Gespräch sind Ausnahmen für Hybridantriebe, ein stärkerer Fokus auf synthetische Kraftstoffe oder eine zeitliche Verschiebung des Inkrafttretens. Vor allem aus Deutschland wächst der Druck, das Gesetz flexibler zu gestalten. Gleichzeitig sind viele Autokäufer verunsichert: Noch ist offen, wie lange Elektroautos in Deutschland von der Kfz-Steuer befreit bleiben, und auch die hohen Anschaffungskosten schrecken ab.
Dennoch zeigt der Markt wieder leichte Erholungstendenzen. Nach dem abrupten Ende des Umweltbonus Ende 2023, das die Branche in eine Schockstarre versetzte, steigen die Neuzulassungen von E-Autos wieder. Allerdings sind viele dieser Fahrzeuge noch Eigenzulassungen der Händler, wie der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) betont. Klar ist: Während Elektroautos langsam wieder an Fahrt aufnehmen, hängt über der gesamten Industrie die Frage, ob das Verbrenner-Aus tatsächlich so kommt, wie beschlossen.
Wie realistisch eine Umsetzung ist, darüber sprach Edison mit Alexander Timmer, Partner und Managing Director bei der Strategieberatung Berylls by AlixPartners. Timmer, der seit Jahren die Entwicklung der globalen Antriebswende analysiert, sieht deutliche Anzeichen für Bewegung: „Die Wahrscheinlichkeit, dass das Zulassungsverbot weiter aufgeweicht wird, liegt bei etwa 50 bis 80 Prozent“, findet er. Erste Schritte in diese Richtung gebe es bereits, etwa die Streckung der CO₂-Ziele.
Komplettes Kippen des Verbrenner-Aus nicht sehr wahrscheinlich
Ein komplettes Kippen hält er dagegen für nahezu ausgeschlossen: „Europa hat eine Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klimawandel übernommen. Eine Rückabwicklung des Verbots würde das Ganze unglaubwürdig machen und unserem Anspruch, Innovationsführer zu sein, nicht gerecht werden.“ Realistischer seien aus seiner Sicht moderate Anpassungen: eine Verschiebung des Starttermins, Ausnahmen für Hybride oder eine erweiterte Rolle synthetischer Kraftstoffe. Gleichzeitig warnt er vor überhöhten Erwartungen: „Die Annahme, dass wir in zehn Jahren flächendeckend und in den nötigen Mengen alternative Kraftstoffe zur Verfügung haben werden, ist ebenso wenig realistisch wie der Wunsch, schon in fünf Jahren alle Flottenautos emissionsfrei zu betreiben.“
Besonders problematisch erscheint Timmer die geplante Verpflichtung, ab 2030 Firmen- und Mietwagenflotten ausschließlich mit emissionsfreien Autos zu bestücken. Flottenfahrzeuge machen rund 60 bis 70 Prozent aller Neuzulassungen in Europa aus. Zwar könne die Maßnahme enorme Wirkung entfalten, doch Timmer zweifelt klar: „Der BEV-Anteil in den betrieblich genutzten Flotten liegt aktuell bei etwa 23 Prozent. Den in fünf Jahren vervierfachen zu wollen, ist völlig unrealistisch.“
Auch Hybridlösungen bringen aus seiner Sicht keine echte Abhilfe. Laut Berechnungen von Berylls würden sie ab 2035 zusätzliche Emissionen von bis zu einer Million Tonnen CO₂ pro Jahr verursachen. „Das wäre in etwa so viel wie bei 7,2 Millionen gefahrenen Autobahnkilometern oder bei einer Produktion von 600.000 Tonnen Stahl.“ Technologien wie Range-Extender, die in China als Brückenlösung genutzt werden, beurteilt er differenziert. Dort sei es aufgrund der unterentwickelten Ladeinfrastruktur auf dem Land sinnvoll, in Europa hingegen nicht: „Ein flächendeckender Einsatz bis Ende der Dekade ist in meinen Augen nicht realistisch.“
Dennoch blickt Timmer optimistisch auf die kommenden Jahre. Die Reichweiten von Elektroautos steigen, die Ladeinfrastruktur wächst, und mit neuen Modellen zu niedrigeren Preisen werden Stromer für breitere Käuferschichten attraktiv. „Die zweite Hälfte dieser Dekade steht klar im Zeichen der Demokratisierung von Elektromobilität.“
Quelle: edison – „Wir stehen vor einer Demokratisierung von Elektromobilität“