Wer über Thermomanagement, modulare Antriebssysteme und die Verbindung von Hardware und Software in der Elektromobilität spricht, kommt an Valeo nicht vorbei. Der französische Zulieferer zählt weltweit zu den führenden Anbietern in den Bereichen Elektrifizierung, Fahrerassistenzsysteme und Beleuchtung. Mit rund 7400 Mitarbeiter:innen allein in Deutschland, elf Entwicklungszentren und einem globalen Netzwerk ist Valeo ein Schwergewicht der Branche.
Im Gespräch mit Elektroauto-News.net erklärt Holger Schwab, National President Germany von Valeo, warum Flexibilität im aktuellen Marktumfeld entscheidend ist, welche Rolle Thermomanagement in der E-Mobilität spielt, wie Baukastensysteme den Unterschied machen – und weshalb Europa dringend eine industriepolitische Antwort auf chinesische Subventionen braucht.
Sebastian Henßler, Elektroauto-News.net: Herr Schwab, Elektromobilität ist eines der bestimmenden Themen der Branche. Gleichzeitig sehen wir wieder stärkere Nachfrage nach Plug-in-Hybriden und auch Verbrennern. Wie stellt sich Valeo auf diese Entwicklungen ein?
Holger Schwab: Valeo bewegt sich in einem Markt, der alles andere als linear verläuft. Wir sprechen nicht von einem stetigen Wachstum der Elektromobilität, sondern eher von einer Achterbahnfahrt. In China etwa sehen wir extrem hohe Zulassungszahlen für vollelektrische Autos, in Nordeuropa liegt der Anteil bei über 80 Prozent. Deutschland hingegen entwickelt sich langsamer, während Plug-in-Hybride wieder stärker gefragt sind.
Genau auf diese Vielfalt haben wir uns vorbereitet. Valeo ist stark in Niedrigvolt-Technologien, also 12- und 48-Volt-Systemen, und wir haben schon vor Jahren Range-Extender-Lösungen entwickelt. Parallel dazu konnten wir über das Joint Venture Valeo Siemens umfangreiche Kompetenzen im Hochvoltbereich aufbauen. Diese Kombination ermöglicht es uns heute, je nach Kundenbedarf flexibel zu reagieren – sei es mit vollelektrischen Antrieben, Plug-in-Hybriden oder auch hybriden Mischformen.
Lassen Sie uns auf die Technik eingehen. Thermomanagement gilt als Schlüssel für Reichweite und Effizienz im E-Auto. Welche Rolle spielt dieser Bereich bei Valeo?
Thermomanagement ist ein zentraler Hebel. Vereinfacht gesagt: Wir machen es kühler, wenn es zu warm wird, und wärmer, wenn es zu kalt ist. Das betrifft Batterien, Inverter, Motoren oder auch den Innenraum. Besonders bei Elektroautos entstehen neue Anforderungen, weil Batterien empfindlich auf Temperatur reagieren. Ohne ein effizientes Kühlsystem sinken Reichweite und Lebensdauer.
Wir arbeiten an Lösungen mit 800-Volt-Architekturen, Siliziumkarbid-Modulen und Ladezeiten, die sich immer mehr an Tankstopp-Dauern annähern. Dazu kommen Wärmepumpen, die im Winter entscheidend sind, um den Energieverbrauch zu reduzieren. Wichtig ist auch die Systemintegration: Wir liefern nicht nur einzelne Komponenten, sondern komplette Systeme, die Hardware, Thermomanagement und Software kombinieren. Genau hier liegt unser Mehrwert für die OEMs.
Sie haben bereits Range Extender erwähnt, eine Technologie, die in China weit verbreitet ist. Welche Rolle könnte sie in Europa spielen?
Der Range Extender ist ein gutes Beispiel für Flexibilität. Wir haben ihn bereits vor Jahren entwickelt, als die Nachfrage noch gering war. Dann rückten vollelektrische Konzepte in den Vordergrund, also haben wir das Thema zurückgestellt. Heute sehen wir wieder mehr Evaluierungen – sowohl bei europäischen als auch bei asiatischen Herstellern.
Ob und in welchem Umfang sich die Technologie in Europa durchsetzt, hängt von der Kundennachfrage ab. Wir können nicht in die Kristallkugel schauen. Aber wir haben die Lösungen parat und können sie schnell wieder hochfahren. Das funktioniert nur, weil wir konsequent mit Baukastensystemen arbeiten, die unterschiedliche Technologien abbilden und sich je nach Marktanforderung kombinieren lassen.
Baukästen sind in der Theorie einleuchtend. Wie sieht das in der Praxis aus?
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: unser Onboard-Charger. Mit einem Baukastensystem decken wir Ladeleistungen von 7 bis 22 Kilowatt ab. Der Kern des Produkts bleibt unverändert, Anpassungen erfolgen gemeinsam mit dem Kunden. Das ist entscheidend, denn niemand kann es sich leisten, bei jedem Projekt komplett von vorne anzufangen.
Das gleiche Prinzip gilt für Motoren. Wir entwickeln magnetfreie Motoren ohne seltene Erden – ein Beitrag zur Nachhaltigkeit. Variationen erfolgen über Länge und Durchmesser, während das Grundprinzip gleich bleibt. So können wir unterschiedliche Leistungsdaten und Packaging-Anforderungen abbilden, ohne die Entwicklungszeiten explodieren zu lassen. Diese Philosophie wenden wir auch bei Software an: Module werden wie Lego-Bausteine zusammengesetzt, um Funktionen effizient skalierbar zu machen.
Damit sind wir bei der Software. Viele OEMs betonen inzwischen, dass Software den Unterschied macht. Gilt das auch für Valeo?
Absolut. Hardware und Software sind gleich wichtig, aber die Bedeutung der Software nimmt kontinuierlich zu. Valeo ist mit drei Divisionen aufgestellt: Power für Antriebe und Thermomanagement, Brain für Fahrerassistenzsysteme und Software-Defined Vehicles, sowie Light für Beleuchtung. Alle drei Bereiche greifen ineinander, und überall spielt Software eine entscheidende Rolle.
Wir entwickeln Domain-Controller, wir liefern Sensorik, wir integrieren ADAS-Funktionen. Ein Beispiel ist unsere Zusammenarbeit mit BMW an der „Neuen Klasse“: Valeo liefert den Domain-Controller und Sensoriklösungen für autonomes Parken. Unser Ansatz lautet „vom Code bis zur Straße“ – wir bieten OEMs das komplette Paket aus Hardware, Rechenleistung und Software.
Lassen Sie uns auf die Strategie schauen. Wie positioniert sich Valeo kurz- und langfristig?
Kurzfristig geht es darum, Marktschwankungen abzufedern. Wir haben Produktionskapazitäten sowohl für Niedrigvolt- als auch für Hochvoltantriebe und können entsprechend reagieren. Das ist nicht immer einfach, aber wir haben die Voraussetzungen geschaffen.
Langfristig setzen wir auf unseren Strategieplan „Move Up“, den unser CEO Christophe Périllat 2022 vorgestellt hat. Die drei Standbeine sind Elektrifizierung, ADAS und Beleuchtung. Der größte Bereich ist Power – Antriebsstrang und Thermomanagement machen etwa 50 Prozent des OEM-Geschäfts aus, die anderen beiden teilen sich den Rest. Wir wachsen in allen drei Segmenten, kleinere Schwankungen aus Marktentwicklungen gibt es, aber die Grundausrichtung bleibt bestehen.
Europa diskutiert derzeit über Subventionen, Zölle und Wettbewerbsfähigkeit. Wie bewertet Valeo die Situation?
Wir treten gerne in Wettbewerb, auch mit chinesischen Herstellern. Aber das Spielfeld ist nicht ausgeglichen. Subventionierte Produkte aus China verschieben die Wettbewerbsbedingungen erheblich. Unser Vorschlag ist deshalb, einen Mindestwertschöpfungsanteil pro Fahrzeug in Europa festzulegen. Das wäre deutlich effizienter als Zölle und würde die heimische Industrie stärken.
Valeo produziert ohnehin nach dem Prinzip „Local for Local“: Wir bedienen Märkte mit lokalen Kapazitäten und Wertschöpfung. In Deutschland arbeiten 7400 Menschen für Valeo, wir betreiben elf Entwicklungszentren, unter anderem in Erlangen und Bietigheim. Damit bekennen wir uns klar zum Standort Deutschland und Europa. Wir sind überzeugt: Mit starken Teams, einem globalen Netzwerk und klarer industriepolitischer Unterstützung können wir die Transformation erfolgreich gestalten.