Polestar 3 Performance: Die hohe Kunst des Gespürs

Cover Image for Polestar 3 Performance: Die hohe Kunst des Gespürs
Copyright ©

Polestar

Wolfgang Plank
Wolfgang Plank
  —  Lesedauer 5 min

Man darf annehmen, dass Joakim Rydholm ziemlich gut in Mathe ist. Immerhin gibt es in seinem Job, als Chef der Fahrwerksentwicklung bei Polestar, jede Menge zu rechnen. Mehr aber noch als Sinn für Zahlen hat er Gespür. Denn so bestechend exakt all die Winkel, Formeln und Gradienten auch sein mögen – unterm Strich muss etwas weit Größeres stehen als die Summe aus Ableitungen von ein paar Dutzend Funktionen. Man nennt es Vertrauen.

Genau das müssten Elektroautos der Marke Polestar ausstrahlen, sagt der Mann, der früher auch im Rallyesport unterwegs war. Schwedische Ruhe trifft auf die Präzision von Rennsport, heißt das im Werbeclip, „Tempo 200 im Drift – mit einem Lächeln“ lautet die Rydholm-Übersetzung. Dass man sich bei Polestar rühmen darf, Performance sei eine Haltung, hat auch mit dem Nischenplatz zu tun, in dem sich die Marke erfolgreich eingerichtet hat. Mit Volvo und dem chinesischen Geely-Konzern an der Seite und im Rücken kann einem der Geschmack der Masse weitgehend egal sein, stattdessen darf man sich Freiheiten bei Design und Technik gönnen – nur keine Kompromisse in Sachen Fahrdynamik.

Präzision als Haltung

Wer allerdings den reinen Renn-Trimm für die Krönung der Zunft hält, irrt womöglich. Viel schwieriger sei die Spreizung, wie sie ein Alltagsauto eben immer noch bieten muss. Übersetzt: Der ältere Herr soll sich am Steuer des 380-kW-Brummers genauso wohlfühlen wie die ambitionierte Flottfahrerin. „Das“, sagt Rydholm, „ist die wahre Herausforderung.“

Im Polestar 3 mit vollem Namen „Long Range Dual Motor Performance Paket“ hat Rydholm all das beherzigt. Der Aufwand dafür ist gewaltig. Immerhin sind knapp 2,7 Tonnen verteilt auf 4,90 Meter Länge zu bewegen. Von Schwerpunkt, Radstand und Spurweite kommt man zu Wankneigung und Schwimmwinkel und schließlich zu Federraten und Stabi-Durchmessern. Und dann sind da noch all die Buchsen und Lager, die dafür sorgen, dass die Konstruktion unter Last gewollt nachgibt. Grundsätzlich gilt: „Vertikaldynamik“ entscheidet über Komfort, „Horizontaldynamik“ über Kurvenverhalten. Obendrein spielt die Bremsstabilität eine Rolle. Nichts wäre fataler, als wenn beim Tritt ins Pedal die Hinterachse zu leicht würde.

Polestar | Joakim Rydholm, Chef der Fahrwerksentwicklung bei Polestar

Am Ende muss das gesamte Konstrukt eine exakte Bewegung des Rades in drei Dimensionen erlauben, Kräfte von und nach allen Seiten verarbeiten und vorne lenkbar sein. Das alles in höchst beschränktem Bauraum und mit der Vorgabe, im Crash-Fall nicht unkontrolliert wegzuklappen. Da haben nicht nur Großcomputer ordentlich zu tun. Sechs Wochen brauchte Rydholms Team allein für die richtige Konfiguration von Zwei-Kammer-Luftfederung und Dämpfung. Herausgekommen ist eine angenehm straffe Abstimmung, ohne auch nur einen Hauch unkomfortabel zu wirken.

Herzstück des intelligenten Allradantriebs im Polestar 3 Performance ist eine Hinterachse ohne Differenzial. Eine Art Dreh mit dem Moment. Was in Sachen Stabilität oder Vortrieb beim Rad ankommt, darüber entscheidet je Seite eine elektromechanische Kupplung. Das bringt Zeit: Während eine Hydraulikpumpe noch Druck aufbauen müsste, ist der Strom längst da. Was er auch muss, denn bei dieser Art von „Torque Vectoring“ berechnet ein Steuergerät rund 500 Mal in einer Sekunde aus allerlei Fahrdaten die sinnvollste Kraftverteilung zwischen den Rädern. Bis hin zur einseitigen Vollpackung auf die gewaltigen 22-Zöller.

Das Einzige, was man hinter dem Lenkrad spürt, ist das gelungene Ergebnis. Selten durfte man sich bei einem Auto, das kein Sportwagen ist, im Grenzbereich derart sicher fühlen. Auch, weil man auf dem Touchscreen seine persönliche Konfiguration wählen kann. Da lassen sich dann selbst auf dem regennassen Rennkurs am Bilster Berg Zeiten fahren, für die man sich im deutlich leichteren und schnittigeren Polestar 2 ordentlich strecken muss.

Leistung trifft nordische Gelassenheit

Dass die identische Technik auch in unwegsamem Gelände für reibungslosen Vortrieb sorgt, ist ein Kollateralnutzen, den wohl nur die allerwenigsten Polestar-3-Kunden schätzen werden. Ebenso wie die aktive Luftfederung, die sich für groberes Terrain um 50 Millimeter auf dann 25 Zentimeter Bodenfreiheit anheben lässt. Autos für knapp sechsstellige Summen und darüber werden eher selten mutwillig neben der Spur bewegt.

Polestar

Zurück also zur pfeilschnellen Fahrt. Für unabdingbar hält Rydholm ein steifes Chassis wie im Performance-Modell. Die Logik dahinter: Hier ein Zehntel mehr Wandstärke dort eine Sicke an der richtigen Stelle – schon reagiert ein Auto präziser. Fast noch wichtiger aber als Federn und Dämpfer ist dem Chefentwickler eine exakte Lenkung. Mit immer mehr und schnellerer Rechenleistung haben sich hier in den vergangenen Jahren völlig neue Dimensionen eröffnet. Da geht es um Zehntel-Grad an Torsion und um Millisekunden. Dagegen ist der viel zitierte Wimpernschlag eine Ewigkeit.

Dabei tut die Batterie im Boden das Ihre für einen tiefen Schwerpunkt des Wagens, andererseits strebt Masse in engen Kurven halt Richtung Äußeres. Gänzlich überlisten lässt sich die Physik eben weder von Rydholm noch von den klügsten Helferlein. Apropos Physik: Je weniger druckvoll der rechte Fuß, desto weiter die Fahrt. Das ist beim Strom nicht anders als beim Sprit. Der 107-kWh-Akku (netto) reicht laut WLTP für 574 Kilometer, im Alltag sind rund 400 Kilometer drin – unter Volllast auf der Rennstrecke, man ahnt es, deutlich weniger. Aber wer kauft schon einen Power-Polestar wegen des Verbrauchs? Da weidet man sich doch lieber daran, nach weniger als fünf Sekunden die dritte Stelle im Tacho zu sehen. An der DC-Säule kann man ja mit 250 kW Nachschub ziehen.

Bei all der Sportlichkeit kommt der Komfort nicht zu kurz. Unter der sensationell großen Überkopfverglasung findet sich Bespanntes, Umschäumtes, offenporiges Holz – und selbstverständlich nordische Kühle beim Design. Polestar gibt dem Display den Vorrang gegenüber Knöpfen, was überaus schick aussieht, aber schon bei der Verstellung von Spiegeln und Lenkrad den Menü-Besuch erfordert. Das kann man mögen, muss man aber nicht.

Polestar

Gedacht sind die in China gefertigten Nordlichter für Kunden, die das Individuelle lieben, Understatement pflegen und das Gehobene schätzen. Auch beim Preis. Mindestens 92.190 Euro muss man anlegen, um in den Performance-Genuss zu kommen. Noch dicker kommt es vermutlich kommendes Jahr. Da stehen 500 kW (680 PS) und eine 800-Volt-Architektur in Aussicht. Die Folgen: Für den Standard-Spurt vergehen nicht mal mehr vier Sekunden – und die DC-Ladeleistung steigt auf 350 kW. Da ist das mit dem Verbrauch nicht mehr ganz so entscheidend. Und beim Fahrwerk dürfte auf Joakim Rydholms Gespür Verlass sein.

worthy pixel img
Wolfgang Plank

Wolfgang Plank

Wolfgang Plank ist freier Journalist und hat ein Faible für Autos, Politik und Motorsport. Tauscht deshalb den Platz am Schreibtisch gerne mal mit dem Schalensitz im Rallyeauto.

Artikel teilen:

Schreib einen Kommentar und misch dich ein! 🚗⚡👇


Ähnliche Artikel

Cover Image for Polestar 3 Performance: Die hohe Kunst des Gespürs

Polestar 3 Performance: Die hohe Kunst des Gespürs

Wolfgang Plank  —  

Vom Rallyesport ins Labor: Joakim Rydholm entwickelt ein Elektroauto, das Vertrauen schafft – präzise, sicher und überraschend komfortabel zugleich.

Cover Image for Europa stellt neuen Elektroauto-Rekord auf

Europa stellt neuen Elektroauto-Rekord auf

Sebastian Henßler  —  

Deutschland bleibt Europas größter Markt für Elektroautos, während Großbritannien mit fast 30 Prozent Wachstum aufholt und neue Impulse setzt.

Cover Image for DS N°8 mehr als 800 km möglich – unter Idealbedingungen

DS N°8 mehr als 800 km möglich – unter Idealbedingungen

Sebastian Henßler  —  

Flach, effizient, souverän: Der DS N°8 fährt über 750 Kilometer am Stück und beweist, dass Reichweitenangst bei E-Autos der Vergangenheit angehört.

Cover Image for DS zeigt neuen Formel-E-Rennwagen E-Tense FE25

DS zeigt neuen Formel-E-Rennwagen E-Tense FE25

Sebastian Henßler  —  

DS sieht die Formel E als Testfeld fuer E-Antriebe. Der neue FE25 wird in Valencia abgestimmt und reist danach zum Saisonauftakt nach Sao Paulo.

Cover Image for Porsche opfert Gewinn für neue Verbrenner-Strategie

Porsche opfert Gewinn für neue Verbrenner-Strategie

Michael Neißendorfer  —  

Ein stärkerer Fokus auf Verbrenner soll Porsche langfristig die Profitabilität sichern, wirkt sich allerdings kurzfristig signifikant auf Finanzkennzahlen aus.

Cover Image for E-Auto-Anteil privat nun höher als in Flotten

E-Auto-Anteil privat nun höher als in Flotten

Daniel Krenzer  —  

Von wegen Treiber der E-Mobilität: Der E-Auto-Anteil bei Neuzulassungen ist in Flotten hinter den von Privatleuten zurückgefallen.