Die Automobilindustrie steht wegen der hitzigen Debatten rund um den Klimawandel aktuell stark unter Druck. Bereits Jahre zuvor hatten die europäischen Regulierungsbehörden den Herstellern klare Grenzen gesetzt: Im Flottenschnitt müssen 95 Gramm CO2 je Kilometer bis 2021 erreicht werden, ansonsten drohen hohe Strafen. Der aktuelle, mittlerweile sechste „Automotive Disruption Radar“ (ADR) von Roland Berger zeigt, dass die Automobilhersteller auf dem richtigen Weg sind, diese Ziele zu erreichen.
Denn während die weltweiten Verkaufszahlen insgesamt rückläufig sind, steigt der Absatz an elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. In den vergangenen zwölf Monaten wurden etwa in Deutschland 35 Prozent mehr Elektroautos und Plug-In Hybride verkauft. Noch stärker stieg der Absatz in Singapur (241 Prozent) und den Niederlanden (120 Prozent). Für den ADR werden regelmäßig rund 16.000 Verbraucher in 17 Ländern über die wichtigsten Automotive-Trends befragt.
Trotz dieser positiven Entwicklung ist der Anteil an elektrisch angetriebenen Fahrzeugen im Gesamtmarkt nach wie vor gering: Führende Automobilnationen rangieren noch im einstelligen Prozentbereich. So machen E-Autos und Plug-In Hybride in China nur fünf Prozent, in Deutschland 2,5 Prozent und in den USA 1,8 Prozent des Gesamtmarkts aus.
Infrastrukturausbau zu langsam
„Während die Hersteller Werke für E-Fahrzeuge hochfahren, sich langfristig eine Versorgungssicherheit an Batterien sichern und sich damit dem Wandel stellen, fehlt es immer noch an der notwendigen Infrastruktur“, sagt Wolfgang Bernhart, Partner von Roland Berger. Spitzenreiter beim Ausbau der Ladeinfrastruktur sind die Niederlande mit durchschnittlich 29,3 Ladestationen je 100 Kilometer Straße. In China sind es 8,3, in Deutschland 1,9 und in den USA gerade mal 0,3.
Die fehlende Infrastruktur ist auch ein entscheidender Hemmschuh beim Umstieg im innerstädtischen Verkehr. So gaben beispielsweise 80 Prozent der befragten 18-29-jährigen Amerikaner und Chinesen an, grundsätzlich Interesse am Kauf eines Elektrofahrzeugs zu haben. „Immer mehr Städte regulieren den Verkehr und greifen zu drastischen Mitteln wie Fahrverboten, um Umweltstandards einzuhalten“, erklärt Stefan Riederle, Co-Autor der Studie. „Dabei wären die Verbraucher bereit umzusteigen.“
Sinkende Preise für Elektroautos
Dass die Bereitschaft der Verbraucher steigt, liegt an einer gestiegenen Reichweite der Fahrzeuge sowie am breiteren Angebot der Hersteller: Während Elektroautos im Jahr 2017 noch 10,8 Prozent am gesamten Fahrzeugmodellportfolio ausmachten, sind es heute bereits mehr als 19 Prozent. Tendenz steigend. „Wir rechnen damit, dass die Preise der E-Autos durch die Notwendigkeit zur Einhaltung von Flottenemissionszielen attraktiver für die Kunden werden“, stellt Wolfgang Bernhart in Aussicht. „Dies wird der E-Mobilität sicherlich einen weiteren Schwung verleihen.“
Kommt die Elektromobilität richtig in Fahrt, profitieren auch die Automobilhersteller. Denn noch ist die Marge pro verkauftem Elektroauto geringer als beim Verbrenner. Durch eine größere Nachfrage allerdings rechnen sich spezielle E-Fahrzeug-Plattformen, wodurch die Kosten pro Fahrzeug wiederum sinken. „Diese Entwicklung hilft nicht nur den Herstellern“, sagt Stefan Riederle. „E-Mobilität wird dadurch preiswerter, was am Ende gut für die Umwelt ist.“
Autonomes Fahren auf dem Vormarsch
Elektroautos sind ein Trend; der andere ist autonomes Fahren. Im vorherigen ADR aus dem Jahr 2017 beschrieb Roland Berger die Suche nach intelligenteren Algorithmen, die weniger Rechenleistung erfordern als eine der letzten großen technischen Hürden für ein vollständig autonomes Fahren. Seitdem sind nicht nur neue Technologien (wie leistungsfähigere Computerchips) erhältlich, auch die Akzeptanz der Technologie nimmt zu: 55 Prozent der Befragten des aktuellen ADR gaben an, sie würden einen Robocab-Dienst nutzen, einen Taxidienst mit selbstfahrenden Autos.
Ein weiteres Ergebnis des aktuellen ADR ist, dass die Risikokapitalinvestitionen in künstliche Intelligenz – ein Schlüsselfaktor für autonomes Fahren – gegenüber dem Vorjahr um mehr als 32 Prozent auf 6,2 Milliarden US-Dollar (5,6 Milliarden Euro) gestiegen sind. Dies deutet darauf hin, dass die Investitionen trotz des Abschwungs in der Automobilindustrie ihren Höhepunkt noch nicht erreicht haben.
Darüber hinaus hat in den letzten zwei Jahren die Anzahl neuer Vorschriften für das autonome Fahren erheblich zugenommen, was für die Masseneinführung von entscheidender Bedeutung ist. Südkorea hat beispielsweise im April 2019 sein Gesetz über autonome Fahrzeuge verabschiedet, das Sicherheitsstandards festlegt und ein neues Versicherungssystem einführt. Diese und andere Entwicklungen zeigen, dass das autonome Fahren auf dem Vormarsch ist.
Quelle: Roland Berger – Pressemitteilungen vom 30.09.2019 und 10.10.2019