Cellcentric-Chef pocht auf H2-Lkw: Wie realistisch ist das?

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Tobias Stahl
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Nicholas Loughlan, Geschäftsführer des Brennstoffzellen-Joint-Ventures Cellcentric, hofft weiterhin auf den Durchbruch für Wasserstoff im Schwerlast-Fernverkehr. Wie die Automobilwoche berichtet, hält Loughlan die Elektrifizierung des Schwerlast-Güterverkehrs für einen Fehler. Als Beispiel führt der Cellcentric-Chef den Rasthof Denkendorf an der A8 bei Stuttgart an, wo bis 2035 15 Megawatt-Ladesäulen für rein batterieelektrische Lkw installiert werden sollen: „Diese Fahrzeuge alle rechtzeitig wieder aufzuladen, wird sehr schwer zu realisieren sein“, so Loughlan. Brennstoffzellen-Lkw, die lediglich zehn Minuten zum Tanken brauchen und Reichweiten von mehr als 1000 Kilometern erzielen sollen, sollen die bessere und günstigere Lösung sein.

„Tatsächlich ist es viel, viel günstiger, eine zweite Infrastruktur für Wasserstoff aufzubauen“, ist sich Loughlan sicher. Dafür soll es ausreichend sein, Wasserstoff-Tankstellen entlang der europäischen Hauptverkehrsachsen für den Fernverkehr zu installieren. Anders soll es dem Cellcentric-Chef zufolge nicht möglich sein, die Vorgaben des Green Deal der Europäischen Union zu erreichen, die ab 2030 eine Senkung des CO2-Ausstoßes der Neuwagenflotte um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 vorsieht.

Cellcentric-Chef hält Wasserstoff-Lkw für die günstigere Alternative

„Wir müssen in den nächsten 12 bis 18 Monaten entscheiden, wie und in welcher Form die Infrastruktur aussehen und entstehen soll“, so Loughlan weiter. Mit neuen Technologien sei es möglich, einen wasserstoffbasierten Standard für Lkw wie Pkw zu etablieren, der deutlich günstiger sein soll als die bisherigen Lösungen und eine Betankung mit gasförmigem oder flüssigem Wasserstoff ermöglicht.

Ein Durchbruch der Brennstoffzellentechnologie würde zudem dabei helfen, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobil- und Zuliefererindustrie sicherzustellen, so Stefan Dwenger, Chief Commercial Officer beim Brennstoffzellen-Joint-Venture EKPO. Cellcentric-Boss Loghlan sieht dringenden Handlungsbedarf: „Wir befinden uns in einer entscheidenden Phase und müssen aufpassen, dass es uns nicht ähnlich geht wie bei der Batterietechnologie, wo asiatische Player, vor allem aus China, den Markt dominieren.“ Doch wie realistisch ist der Durchbruch der Brennstoffzellentechnik im Lkw-Fernverkehr tatsächlich?

Loughlan lässt in seinen Ausführungen zahlreiche Punkte außer Acht, die zeigen, dass die Brennstoffzellen-Technologie im Fernverkehr bislang auf sehr wackligen Füßen steht. So sind weltweit bislang nur wenige hundert H2-betriebene Lkw im Einsatz, größtenteils im Rahmen von Pilotprojekten. Im Gegensatz dazu sind inzwischen bereits mehrere Tausend batterieelektrische Lkw im Realbetrieb auf den Straßen unterwegs. So hat allein Volvo seit 2019 mehr als 5000 batterieelektrische Lkw ausgeliefert.

Selbst im H2-Vorzeigeland Deutschland mangelt es an Tankmöglichkeiten

Selbst wenn aktuell deutlich mehr Brennstoffzellen-Lkw unterwegs wären, hätten diese wohl große Schwierigkeiten dabei, passende Tankmöglichkeiten zu finden: In Deutschland existierten zuletzt knapp 100 öffentliche Wasserstoff-Tankstellen, die jedoch fast ausschließlich nur für Pkw ausgelegt sind. Damit ist Deutschland im europäischen Kontext mit großem Abstand Spitzenreiter: In ganz Europa gibt es weniger als 300 öffentliche Wasserstoff-Tankstellen, die sich wiederum größtenteils auf Länder wie Frankreich und die Niederlande konzentrieren.

Auch in Deutschland nimmt die Zahl der Wasserstoff-Tankstellen zuletzt ab. H2 Mobility, der einzige deutschlandweit tätige Betreiber einer öffentlichen Wasserstoff-Infrastruktur, hatte angekündigt, bis Mitte dieses Jahres rund ein Viertel seiner H2-Tankstellen stillzulegen. Zwar sollen einige dieser Tankstellen Platz für Lkw-geeignete Wasserstoff-Tankstellen machen – deren Bau dürfte angesichts der hohen Anforderungen für die Kompression, Kühlung, die umfangreichen Sicherheitszertifikate und die zugrundeliegende Versorgungsinfrastruktur jedoch viel Zeit verschlingen. Das wirkt sich freilich auch auf die Kosten aus: Der Bau einer Wasserstoff-Tankstation kostet in der Regel zwischen 1 und 2 Millionen Euro.

Dem steht das im Vergleich rasante Wachstum der Ladeinfrastruktur für E-Lkw gegenüber: Unternehmen wie Milence, ein Joint Venture zwischen Daimler Truck, der Traton Group und Volvo, wollen bis Ende des Jahrzehnts elektrifizierte Korridore für Megawatt-Charging-Systeme (MCS) errichten. Bis 2027 sollen 284 MCS-Ladepunkte an 71 Standorten in zehn EU-Mitgliedstaaten entstehen, an denen elektrische Lkw binnen einer halben Stunde vollständig laden können. Die vorgeschriebenen Lenkzeitunterbrechungen nach jeweils viereinhalb Stunden Fahrt dauern in der Regel länger. Anders als Wasserstoff-Tankstellen können Megawatt-Ladestationen zudem dezentralisiert errichtet werden: Ladelösungen in Lkw-Depots und auf Parkplätzen ermöglichen eine deutlich einfachere, flächendeckende Versorgung mit Ladestrom als es bei Wasserstoff der Fall wäre.

Grüner Wasserstoff ist nach wie vor Mangelware

Hinzu kommt, dass die globale Wasserstoffproduktion heute fast ausschließlich aus fossilen Quellen stammt: Deutlich mehr als 90 Prozent des weltweit verwendeten Wasserstoffs sind „grau“, stammen also aus der Dampfreformierung von Erdgas. Laut Angaben des Weltwirtschaftsforums waren im Jahr 2023 nur rund 0,1 Prozent des weltweit erzeugten Wasserstoffs „grün“ – selbst wenn sich dieser Wert in den vergangenen zwei Jahren verzehnfacht hätte, wäre grüner Wasserstoff immer noch Mangelware. Auch Deutschland, als europäischer Wasserstoff-Vorreiter, hat bislang erst rund ein Prozent der für 2030 angestrebten Elektrolyseleistung installiert. Der weitaus überwiegende Teil des grünen Wasserstoffs, der Ende des Jahrzehnts hierzulande erzeugt wird, dürfte außerdem dringend für andere, schwer zu elektrifizierende Wirtschaftsbereiche benötigt werden, so etwa für die Beton- und Stahlherstellung.

Selbst wenn man all diese Aspekte ausklammert, erzielt Wasserstoff als Energieträger eine deutlich niedrigere Well-to-Wheel-Effizienz als der Grünstrom in E-Lkw: Von der Stromerzeugung bis zum -verbrauch können Elektro-Lkw eine Gesamteffizienz von 70 Prozent und mehr erzielen – die Well-to-Wheel Effizienz von H2-Lkw liegt indes bei unter 30 Prozent und somit um den Faktor 2 bis 3 niedriger.

Angesichts dieser Fakten scheint die von Cellcentric prognostizierte oder zumindest gewünschte Wasserstoff-Dominanz im Schwerlast‑Fernverkehr recht unwahrscheinlich – bislang gewinnen Elektro-Lkw das Rennen. Zwar sind erste Brennstoffzellen‑Lkw als Teil von Pilotflotten unterwegs, wobei sie teils beeindruckende Reichweiten mit vergleichsweise kurzen Tankstopps erzielen. Der mittel- bis langfristige Mangel einer H2-Infrastruktur und ausreichender Mengen klimafreundlich hergestellten Wasserstoffs dürfte aber bedeuten, dass H2-Lkw weiterhin nur eine ergänzende Lösung bleiben – etwa in Regionen, in denen das Stromnetz noch nicht hinreichend ausgebaut ist.

Quellen: Automobilwoche – Brennstoffzelle: Warum die kommenden Monate entscheidend sind / World Economic Forum – Hydrogen in the clean energy transition / H2.Live – Wasserstofftankstellen in Deutschland und Europa / Ecomento – Milence: Elektrifizierte Korridore, Megawatt-Laden & Buchungssystem für E-Lkw-Lader / VDI/VDE – Vergleich unterschiedlicher Technologiepfade für CO2-neutrale und -freie Antriebe

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Tobias Stahl

Tobias Stahl

Tobias Stahl kann sich für alle Formen der Fortbewegung begeistern, aber nachhaltige Mobilität begeistert ihn besonders. Da ist es kein Wunder, dass er schon seit 2019 über E-Autos, erneuerbare Energien und die Verkehrswende berichtet.
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