Cadillac Optiq: Der elektrische Großstadt-Cowboy im Test

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Cadillac

Wolfgang Gomoll
Wolfgang Gomoll
  —  Lesedauer 6 min

Bisweilen hat ein bisschen alte Welt auch Charme. Auch in einem Elektroauto. Beim Cadillac Optiq legt man die Fahrstufe der Automatik per Lenkstockhebel ein: Erst zieht man ihn zu sich, dann wählt man den Gang. Das hat etwas von einer Lenkradschaltung, wie sie der Mercedes-Benz Ponton (W120 / W121) oder der Opel Rekord hatten.

Dieses Detail passt zum Auftritt des US-Luxus-Vehikels. Nicht als brachialer Wild-West-Revolverheld, sondern als Großstadt-Cowboy mit guten Manieren, der auch auf europäischen Flaniermeilen eine gute Figur macht. „Der Optiq ist ein leichtfüßiges Auto für die Stadt“, sagt GM-Europachef Pere Brugal. Bei einem 4,82 Meter langen und fast 2,4 Tonnen schweren Stelzen-Stromer ist das eine Ansage.

Wie dem auch sei. Der Optiq vervollständigt gemeinsam mit dem Lyriq und dem Vistiq das Trio, mit dem die Amerikaner in Herzen Europas endlich erfolgreich sein wollen. Allerdings muss dazu das Händlernetz dichter werden. Mit 143 Servicestationen in Europa, davon 16 in Deutschland ist man nicht besonders gut aufgestellt. Wie wichtig ein gut ausgebautes Händlernetz ist, haben die chinesischen Hersteller erst unlängst schmerzlich am eigenen Leib erfahren. Die Amerikaner beeilen sich zu versichern, dass sie weitere Stützpunkte in Europa installieren werden. Man muss den Hut vor Cadillac ziehen. Europa ist seit Jahren kein leichtes Pflaster, dennoch geben sie nicht auf – und setzen jetzt auf Elektroautos.

Cadillac ist so schlau, nicht einfach nur andere Nummernschilder an den Elektro-Crossover zu schrauben, sondern Fahrwerk und Lenkung eigens für Europa abzustimmen. Mit einer weichen Ami-Schaukel hat man auf deutschen Straßen das Nachsehen und wirkt auf potenzielle Käufer wenig attraktiv. Zumal chinesische Wettbewerber Ähnliches bieten. Also wurde der Optiq europäisch abgestimmt.

„Ich habe meinem Team gesagt, dass das Auto Spaß machen soll und sie alles bekommen, was sie dazu brauchen“, erzählt Chefingenieur John Cockburn. Basis des dynamischen Fahrverhaltens ist die 21-Zoll-Bereifung, die die Amerikaner gemeinsam mit Continental entwickelt haben. „Ich wollte möglichst viel Grip“, erläutert Cockburn. Keine schlechte Idee, wenn man ein Auto wie den Optiq flotter um die Kurve wuchten will. Die Lenkung erledigt ihre Aufgabe gut und lässt den Fahrer stets spüren, wie es um die Vorderreifen bestellt ist, ohne mit übertrieben hohen Rückstellkräften Sportlichkeit vortäuschen zu wollen. „Die Software und die Applikation kommen von uns“, strahlt der Chefingenieur.

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Dazu kommen frequenzsensitive Dämpfer (im GM-Jargon: „Passive-Plus“), dickere Stabilisatoren vorn und hinten sowie Hydrolager. Das wirkt sich positiv auf die Geräuschentwicklung und die Spurtreue in Kurven aus. Cadillac verzichtet beim Optiq auf adaptive Dämpfer. Ein Unterschied zu den teureren Modellen muss schließlich bestehen. Das fällt jedoch kaum ins Gewicht, da die Techniker die Federrate gegenüber der US-Version erhöht haben. Dadurch ist die Karosserie besser angebunden und schwingt beim Überfahren von Bodenunebenheiten nicht übertrieben nach. Die Abstimmung ist gelungen: straff, aber nicht so prügelhart, dass die Zähne wackeln, sobald die Straße schlechter wird. Trotz der 21-Zoll-Reifen bietet der Optiq also genügend Komfort. Nur bei schnell aufeinanderfolgenden Fugen hat das Fahrwerk mehr Mühe und wirkt etwas unruhig.

Die kultivierte Variante des flotten Vorankommens

Damit wir uns richtig verstehen: der Optiq ist kein Porsche Macan Electric. „Soll er auch gar nicht sein“, bekräftigt John Cockburn. Das zeigt schon der Allradantrieb: Zwei permanentmagneterregte Synchronmaschinen (PSM) leisten 224 kW / 304 PS und liefern 480 Newtonmeter Drehmoment. Der Abstand zum Einstiegs-Macan Electric beträgt gut 100 PS. Die Fahrmodi des Optiq: Tour, Sport, Schnee/Eis und Mein Modus (individuell) unterscheiden sich kaum, und auch der echte Elektro-Wumms fehlt etwas. Dennoch passen die Fahrleistungen: In 6,3 Sekunden sprintet der Optiq aus dem Stand auf 100 km/h und erreicht 184 km/h. Bewusst kein Elektro-Brecheisen, sondern die kultivierte Variante des flotten Vorankommens – das passt zum Optiq.

Der Energiespeicher ist auf die höhere Dichte an Lademöglichkeiten in Europa zugeschnitten und hat eine nutzbare Kapazität von 75 Kilowattstunden. In den USA sind es 10 kWh mehr. Das reicht für maximal 425 Kilometer (WLTP). Bei der Ladeleistung gibt der Cadillac Optiq ein zwiespältiges Bild ab. An der AC-Wallbox lädt er mit starken 22 kW (dreiphasig) – ein Segen bei eher kürzeren Ladestopps in Innenstädten und Parkhäusern.

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Wer aber auch unterwegs schnell nachladen will, braucht mehr Geduld als bei den Konkurrenten. Am DC-Schnelllader sind maximal 110 kW möglich. Das ist heute nicht mehr zeitgemäß. So dauert der Ladevorgang von 10 auf 80 Prozent 36 Minuten. Beim Rekuperieren bietet der Optiq mehrere Möglichkeiten: über das Menü am Touchscreen in verschiedenen Stufen bis hin zum klassischen Bremspedal. Einen besonderen Kniff gibt es an der Lenksäule: Per Ziehen an einer Wippe lässt sich die Rekuperationsleistung stufenlos dosieren, bis zum Stillstand des Autos. Das erinnert an die Dosierung der Vorderradbremse bei einem Motorrad. Wir haben dieses Feature nach einer kurzen Zeit fast ständig genutzt. Das One-Pedal-Fahren ist ebenfalls möglich. Allerdings ist die Anhängelast mit maximal 680 Kilogramm fast nicht der Rede wert.

Innen verwandelt sich der Optiq in eine rollende Lounge

Innen verwandelt sich der Optiq in eine rollende Lounge. Das leicht gekrümmte 33-Zoll-Display mit 9K-Auflösung liefert gestochen scharfe Darstellungen. Die Menüs sind etwas verschachtelt, doch nach kurzer Eingewöhnung findet man sich zurecht. Apple CarPlay und Android Auto sind ebenfalls an Bord. Klasse ist, dass die Amerikaner in bester BMW-Manier einen Drehdrücksteller auf der Mittelkonsole platziert haben. So kann man durch die Menüs scrollen, ohne auf dem Bildschirm herumtatschen zu müssen. Allerdings fehlt ein Schalter zur direkten Anwahl der Fahrmodi.

Eine wahre Schau ist das AKG-Studio-Soundsystem mit 19 Lautsprechern und Dolby Atmos. „Das ist Studio-Niveau“, freut sich John Cockburn. Zu Recht. Der Klang ist der Hammer. Zumal es im Innenraum sehr ruhig zugeht. Dazu trägt neben der Dämmung auch ein System bei, das Radvibrationen erkennt, bevor sie in den Innenraum gelangen.

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Cadillac würzt das Interieur mit nachhaltigen Materialien: Das sogenannte PaperWood-Furnier (Tulpenholz plus recyceltes Zeitungspapier) und das Tide-Gewebe aus 100-prozentigem Rezyklat setzen angenehme Akzente. Platz ist ausreichend vorhanden, nur ab einer Körpergröße von mehr als 1,90 Metern wird es im Fond unter dem Panoramaglasdach um den Kopf herum eng. Der Kofferraum hat ein Fassungsvermögen von 443 Litern. Bei umgelegten Rückbanklehnen wächst das Volumen bis 1340 Liter. Zusätzlich stehen 61 Liter unter dem Ladeboden zur Verfügung. Damit ist der Optiq zum Preis von 65.000 Euro durchaus einen zweiten Blick wert. Mit seiner umfangreichen Ausstattung auch einen ersten.

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Wolfgang Gomoll

Wolfgang Gomoll

Wolfgang Gomoll beschäftigt sich mit dem Thema Elektromobilität und Elektroautos und verfasst für press:inform spannende Einblicke aus der E-Szene. Auf Elektroauto-News.net teilt er diese mit uns. Teils exklusiv!

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