Es klingt wie die Wunder-Formel, mit der sich alle Sorgen um den Ausgleich von Mobilität und Umwelt ganz einfach in Dampf auflösen: Im Überfluss vorhandener Wasserstoff erzeugt durch eine simple chemische Reaktion mit dem Sauerstoff der Luft saubere Energie, treibt einen Elektromotor und damit ein Auto an – und hinterlässt draußen nichts als ein paar Tröpfchen harmloses Wasser. Zapfen lässt sich der pfiffige Treibstoff wie gewohnt an Tankstellen, das Ganze dauert nicht länger als das Befüllen mit Benzin oder Diesel, und eine Ladung reicht für 500 bis 600 Kilometer.
Dummerweise ist der Wasserstoff-Antrieb mindestens ein klein wenig komplizierter. Und der Treibstoff leider auch. Zwar ist er tatsächlich schier unbegrenzt vorhanden, weil er das am meisten verbreitete Element des Universums ist. Nur findet man ihn auf der Erde nicht in reiner Form, sondern immer gebunden. In Wasser zum Beispiel oder auch in Erdgas. Das Problem besteht darin, ihn zu separieren. Ein aufwändiger Prozess, bei dem derzeit noch fast die Hälfte der eingesetzten Energie verloren geht.
An die große Wasserstoff-Welle glauben deshalb derzeit eher wenige. Die Zukunft individueller Mobilität liege im Akku-Auto, lautet der verbreitete Tenor. Wasserstoff sei noch für lange Zeit zu aufwändig und zu teuer – und tauge auf der Straße also allenfalls für schwere Lkw. Ein entsprechendes Nischendasein fristen die Pkw-Modelle Toyota Mirai und Hyundai Nexo, der Stellantis-Konzern hat das Projekt Brennstoffzelle vor kurzem komplett aufgegeben.
„Wasserstoff spielt eine wesentliche Rolle bei der globalen Dekarbonisierung“
Michael Rath lässt sich von derlei nicht schrecken. BMW bekenne sich klar zum batterieelektrischen Antrieb, sagt der Leiter Wasserstofffahrzeuge bei dem Münchner Autohersteller, gleichzeitig gebe es global gesehen aber unterschiedliche Bedürfnisse. „Um den Ausstoß von Autos auf null zu bringen, braucht es auch alternative Technologien“, glaubt er. Ähnlich wie es einst zu Otto- und Dieselmotoren kam. Und so wird unter dem weiß-blauen Logo der Wasserstoff auch künftig eine Heimstatt haben. „Mit unserer technologieoffenen Strategie“, sagt Rath, „sind wir bislang gut gefahren.“
Seit 1979 schon hat BMW das Thema im Blick – und auch immer entsprechende Autos gebaut. Stets allerdings in überschaubarer Stückzahl und meist nur als Prototypen. Den großen Durchbruch hat es in all der Zeit nicht gegeben, mit Einführung der Neuen Klasse könnte sich das allerdings ändern. Ab 2028 soll ein Modell mit Brennstoffzelle fester Bestandteil der Baureihe iX5 sein. „Vorreiter seiner Technologie“, verspricht Rath. „Aber mit dem BMW-typischen Fahrvergnügen.“
„Wasserstoff spielt eine wesentliche Rolle bei der globalen Dekarbonisierung“, sagt auch BMW-Vorstandsmitglied Joachim Post bei einer Veranstaltung in New York. „Deshalb treiben wir die Technologie weiter voran.“ Ein Auto in fünf Antriebsvarianten – Batterie, Brennstoffzelle, Plug-in-Hybrid, Diesel und Benzin – demonstriere einmal mehr die Führungsrolle von BMW als Technologie-Pionier. Und Aufbruch ist mehr denn je gefragt. Keine zehn Gehminuten entfernt, am Union Square, tickt weithin sichtbar und in bedrohlichem Rot die Climate Clock. Deutlich weniger als vier Jahre bleiben dort noch, dann wird die Begrenzung auf maximal zwei Grad Temperaturanstieg zum vorindustriellen Zeitalter nicht mehr zu schaffen sein.

Jedenfalls dann, wenn sich nicht Grundlegendes ändert. Das sieht auch Rath so. Ohne Speicher seien die derzeitigen Klimaziele schlicht nicht zu erreichen, sagt er. „Wasserstoff ist derzeit das einzige Medium, um zeitlich und örtlich eine Balance bei erneuerbaren Energien herzustellen.“ Soll heißen: Lässt sich nahezu überall gewinnen und mit Tankwagen an nahezu jeden Ort bringen.
Exakt das nicht zu tun, hält Rath für pure Verschwendung. Geschätzt fünf bis sechs Terawattstunden sauberen Strom, in windreichen Jahren sogar noch deutlich mehr, verliert Deutschland jährlich durch Stillstand, weil Windkraft-Anlagen bei Sturm gestoppt werden. Nicht etwa, um sie vor Schaden zu bewahren, sondern weil sie sonst zu viel Elektrizität produzieren würden. Eine Million Wasserstoffautos, sagen Experten, könnten allein damit ein Jahr lang fahren. Bei derart viel Gratisenergie rechnen sich selbst die enormen Verluste bei der Umwandlung von Wasserstoff.
Reichweite bei Wasserstofffahrzeugen steigt
Außerdem gibt es Fortschritte bei Reichweite und Leistung. Gegenüber der ersten Generation, die noch vollständig von Partner Toyota stammte, sei bereits bei der Pilotflotte des X5 Hydrogen das System von BMW selbst entwickelt worden, lediglich die einzelnen Brennstoffzellen stammten noch von den Japanern. Dank gesteigerter Leistungsdichte sei die nunmehr dritte Generation um rund ein Viertel kompakter und lasse sich so besser in künftige Fahrzeugarchitekturen integrieren.
Skeptiker angesichts der Betriebsdrücke von 700 bar kann Rath beruhigen. „Die Fahrzeuge mit Brennstoffzelle haben die klassischen Crash-Tests durchlaufen wie alle anderen Modelle auch.“ Die Tanks seien mit Kohlefaser verstärkt, diverse Sicherheitseinrichtungen sorgten im Fall des Falles für gezielten Druckabbau. Alles in allem ein Niveau, das man ohne jede Einschränkung an den Kunden geben könne.

Noch hat die Technik ihren Preis. Angefangen beim Platin in den Brennstoffzellen bis hin zu den geringen Stückzahlen, in denen aktuelle Wasserstoffautos gebaut werden. Rath sieht auch hier Besserung. Die Brennstoff-BMW würden nicht in Handarbeit gefertigt, verspricht er. Und: „Die Technik lässt sich auf alle Modelle der Neuen Klasse ausrollen.“
Vielleicht kommt das Wasserstoffauto von BMW ja zum richtigen Zeitpunkt. Denn so sehr alle den Akku derzeit preisen – er ist trotz aller technischen Fortschritte immer noch schwer, verschlingt massiv Rohstoffe und macht in der Folge politisch abhängig. Auch bei den Lieferketten. Rath sieht noch ein weiteres Problem: „Bei einem starken Zuwachs an batterieelektrischen Fahrzeugen kommen wir um eine Verstärkung der Netze nicht herum. Eine zweite Struktur ist da deutlich hilfreicher, als eine einzige zu 100 Prozent auszulasten.“

Doch genau hier lauert die nächste Herausforderung. Das deutsche Netz an geeigneten Tankstellen ist mit grobmaschig nicht böswillig beschrieben. Aktuell kommt Wasserstoff aus gerade mal rund 60 Zapfsäulen – es sollten nach allen bisherigen Planungen längst deutlich mehr sein. Neben der Entwicklung des neuen iX5 Hydrogen engagiert sich BMW daher aktiv beim Aufbau von Wasserstoff-Tankstellen. In diesem Rahmen wurde die Initiative HyMoS („Hydrogen Mobility at Scale“) gegründet, ein Kooperationsprojekt von Industriepartnern und Institutionen.
Womöglich könnte auch die Politik helfen. Um die 1000 Säulen hält der Gas-Hersteller Linde für erforderlich. Bei Kosten von rund einer Million Euro pro Stück käme ein auskömmliches Netz auf eine Milliarde Euro. Selbst zwei Milliarden oder drei wären angesichts sonstiger Posten im Bundeshaushalt eine geradezu bescheidene Summe. Nicht nur am Union Square tickt die Uhr.