Wasserstoff: Welche Importstrategie für Deutschland?

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Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 5 min

Eine im Rahmen des Forschungsprojekts HyPat durchgeführte Metastudie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI hat existierende Studien zu Erzeugung, Produktion und Handel von Wasserstoff ausgewertet. Aus den in einem Impulspapier festgehaltenen Erkenntnissen (verlinkt als PDF) wurden Handlungsempfehlungen für eine deutsche Wasserstoff-Importstrategie abgeleitet, die klar zwischen dem Import reinen Wasserstoffs und von Wasserstoffderivaten unterscheidet.

In ihrer überarbeiteten Wasserstoffstrategie geht die Bundesregierung davon aus, dass rund 50 bis 70 Prozent des für 2030 prognostizierten Wasserstoffbedarfs durch Importe aus dem Ausland gedeckt werden müssen. Vor diesem Hintergrund wertete ein Team von Wissenschaftler:innen des Fraunhofer ISI im vom BMBF geförderten Forschungsprojekt HyPat zahlreiche Studien aus, die sich mit den Kosten für Herstellung und Transport sowie möglichen internationalen Handelsströmen für grünen Wasserstoff und Wasserstoffderivaten befassten. Daraus wurden Handlungsempfehlungen für eine deutsche Importstrategie abgeleitet.

Die Studien gehen von einer globalen Wasserstoffnachfrage bis 2050 von 4 bis 11 Prozent am Endenergiebedarf aus. Stellt man das globale Angebot dem Bedarf gegenüber, so lasse sich diese Nachfrage durch grünen Wasserstoff auch unter stark einschränkenden Annahmen decken, wie etwa dem Ausschluss von Regionen mit Wasserstress oder geopolitischen Instabilitäten. Derzeit bestehen aber eine Reihe an Hemmnissen für einen Markthochlauf, sodass dieser aktuell nur schleppend voranschreitet.

Für die Stromerzeugung zur Herstellung von Wasserstoff bieten sich nach Studienlage Standorte mit guten Photovoltaikbedingungen an, idealerweise kombiniert mit guten Windbedingungen, da in diesem Fall die Herstellkosten am günstigsten sind. Künftige Exportländer sollten zudem Zugang zu kostengünstigen Finanzierungen und nationalen Fonds haben, damit sich Kapitalkosten, die einen hohen Einfluss auf die Gesamtkosten haben, niedrig halten lassen. Aspekte wie Wasserverfügbarkeit, politische Stabilität, technologisches Know-how und Transportdistanzen spielen ebenfalls eine zentrale Rolle. Dass dies nicht immer optimal ist, zeigt auch eine aktuelle Studie von Transport & Environment, die die Bedingungen in sechs aussichtsreichen Wasserstoff-Exportländern untersucht hat.

Der internationale Wasserstoffhandel wird global überschaubar sein

Der globale Handel zwischen 2030 und 2050 wird aber voraussichtlich nur ein Drittel des Gesamtbedarfs ausmachen, weil der Importbedarf für Wasserstoff eher gering sei und viele Länder wie beispielsweise die USA oder China ihren Wasserstoffbedarf überwiegend selbst decken können, so das Fraunhofer ISI. Dies gelte allerdings nicht für Deutschland.

Da grüner Wasserstoff und Wasserstoffderivate kurz- und mittelfristig eher teuer und knapp bleiben werden, sollte sich eine Importstrategie auf Bereiche fokussieren, in denen sich die Klimaziele nur unter Anwendung von Wasserstoff erreichen lassen: Etwa in der Stahl- und Grundstoffchemie, dem internationalen Flug- und Schiffstransport oder Raffinerien.

Potenzielle Exportländer von Wasserstoff und seinen Derivaten verfolgen teilweise Strategien, künftig höhere Anteile an der Wertschöpfungskette im eigenen Land zu behalten und anstelle von Wasserstoff zum Beispiel Eisenschwamm für die Stahlherstellung oder Chemieprodukte wie Ammoniak zu exportieren, was die deutsche Industrie vor Herausforderungen stelle. Länder wie die USA, die über große und günstige Ressourcen zur Herstellung von grünem Wasserstoff verfügen und bereits heute beträchtliche Marktanteile bei industriellen Anwendungen, in denen Wasserstoff künftig eine wichtige Rolle spielen kann, besitzen, könnten durch die Integration von Segmenten der Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff in der Produktion und bei industriellen Anwendungen zu Spitzenreitern werden.

Der Handel mit reinem Wasserstoff soll demnach überwiegend in großräumigen regionalen Märkten mit einem Radius von 2000 bis 3000 Kilometern erfolgen, wobei voraussichtlich der Pipelinetransport aufgrund von Kostenvorteilen die vorherrschende Transportoption darstellt und Schiffsimporte eher die Funktion einer Risikoabsicherung übernehmen. Auf der anderen Seite dürfte für Wasserstoffderivate eher ein internationaler Markt, analog zu den heutigen Ölmärkten, entstehen, wobei hier dem Schiffstransport eine entscheidende Rolle zukomme.

Mit Blick auf Handlungsempfehlungen sollte der Metastudie zufolge eine deutsche Importstrategie klar zwischen Wasserstoff und Wasserstoffderivaten unterscheiden. Beim Import reinen Wasserstoffs seien folgende Aspekte zu beachten:

  • Infrastrukturaufbau: Der Aufbau eines Pipelinenetzes ist zeit- und kapitalintensiv, ließe sich aber aufgrund eines langsam anlaufenden Markthochlaufes realisieren.
  • Aus Erfahrungen lernen: Fehler beim Auf- und Ausbau des Gasnetzes wie die starke Fokussierung auf wenige Anbieter wie Russland gelte es zu vermeiden. Daher sollte nicht automatisch der kosteneffizienteste Importpfad gewählt werden.
  • Nachfragereduzierung: Durch Effizienz und Fokus auf wirklich notwendige Wasserstoff-Anwendungen werde die Nachfrage von vornherein begrenzt. Im Pkw- und Lkw-Bereich etwa gilt Wasserstoff allenfalls als Nischenlösung.
  • Diversifizierung: Durch verschiedene Lieferanten, Routen und Verkehrsträger sowie heimische Produktion gewisser Mengen würden Abhängigkeiten reduziert.
  • Widerstandsfähigkeit stärken: Diese lasse sich durch heimische Speicherung von Wasserstoff erhöhen, die Vorbereitung auf Versorgungsengpässe sollte ausgeweitet werden.
  • Marktdifferenzierung: Unterschiedliche Anforderungen an die Herstellung von Wasserstoff, etwa bezüglich Umweltstandards, begünstigten die Entstehung kleiner Märkte und höherer Preise, was aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sowie der Investitions- und Versorgungssicherheit zu vermeiden sei.
  • Importe aus der EU und EU-Anrainerstaaten bevorzugen: Deutschland sollte sich aus einer wirtschaftlichen Perspektive auf EU-Staaten mit guten Erneuerbaren-Potenzialen wie Spanien und EU-Anrainerstaaten wie Norwegen konzentrieren. Diese seien verlässliche Partner und die EU würde insgesamt gestärkt.

Für die Importstrategie für Wasserstoffderivate sei folgendes zu berücksichtigen:

  • Konkurrenz und Kooperation: Deutschland sollte insbesondere Japan und Südkorea – die beiden anderen Länder mit hohen Importbedarfen – als Konkurrenten, aber auch als mögliche Kooperationspartner betrachten.
  • Wasserstoff-Allianz: Aus Gründen der Marktmacht sollte eine gemeinsame Position mit EU-Importländern wie der Niederlande und Belgien beziehungsweise der EU insgesamt gesucht werden, etwa in einer europäischen Wasserstoff-Allianz.
  • Differenzierung nach Derivatien: Eine Importstrategie sollte die Spezifika bei Wasserstoffderivaten wie E-Kerosin, Ammoniak oder Methanol berücksichtigen.
  • E-Kerosin wird zum Erreichen der Klimaschutzziele im Flugverkehr benötigt, Alternativen gibt es so gut wie keine. Bestehende Importinfrastrukturen können weiter genutzt werden.
  • Methanol lässt sich als Treibstoff und in der chemischen Industrie als Grundstoff einsetzen. Bisher gibt es aber nur wenig Infrastruktur und Schiffe zum Transport.
  • Ammoniak ließe sich als Träger für Wasserstoff nutzen, was jedoch mit hohen Umwandlungsverlusten verbunden und daher kostspielig ist. Für eine Direktnutzung kommt künftig der Schiffsverkehr und unter Umständen auch die Stromerzeugung in Frage, wobei für letzteres noch ein hoher Entwicklungsaufwand nötig ist.

Deutschland sollte schon jetzt auf potenzielle Exportländer zugehen

Prof. Dr. Martin Wietschel, der am Fraunhofer ISI das Competence Center Energietechnologien und Energiesysteme leitet und Mitautor des HyPat-Impulspapiers ist, fasst mit Blick auf die Metastudie zusammen: „Die Bundesregierung wird im Frühjahr ihre Wasserstoff-Importstrategie vorstellen. Dafür gilt es eine Reihe von Aspekten zu beachten, allen voran Wasserstoff und Wasserstoffderivate separat zu betrachten. Gerade weil der Importbedarf international begrenzt sein wird, muss Deutschland in Abstimmung mit der EU schon jetzt auf potenzielle Exportländer zugehen, die mittelfristig eine bedeutende Marktmacht erlangen werden“.

Verhandlungen, so Wietschel weiter, sollten „nicht in die Länge gezogen werden, damit Erstanbieter nicht andere Importeure in Betracht ziehen. Daher gilt es mit Exportländern gemeinsam und auf Augenhöhe Technologien und Geschäftsmodelle zu entwickeln und Risiken fair zu verteilen. Dies schafft nicht nur lokale Wertschöpfung, sondern treibt zugleich lokale Energiewenden voran – und hilft am Ende vor allem auch Deutschland bei der Erreichung seiner eigenen Klimaziele.“

Quelle: Fraunhofer ISI – Pressemitteilung vom 12.02.2024

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.
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Tom 1:

Am Anfang war es Wunschdenken, Wasserstoff toll,mit grünem Strom herstellen…woher soll der kommen?, mit riesen Abhängigkeit der Erzeuger,toll.
Landfahrzeuge ?????? Nee.

Jakob Sperling:

Bis vor Kurzem habt ihr gesagt, Wasserstoff für E-Mobilität gehe nicht (technisch, zu teuer, zu gefährlich).
Nun heisst es auf einmal, man dürfe nicht.
Das ist das Eingeständnis, dass ihr mit dem ‚Nicht-gehen‘ falsch gelegen seid.
q.e.d.

Daniel W.:

—–
Wir haben doch im Normalfall immer noch Marktwirtschaft, oder nicht?
—–

Ich würde „Marktwirtschaft“ mit „Interesse der Konzerne an der Gewinnmaximierung“ übersetzen und deshalb auch so viel Lobbyarbeit „Pro Wasserstoff“.

Batterie-elektrische Fahrzeuge lassen sich günstig mit Ökostrom versorgen, wenn man die großen Konzerne mit ihren Schnellladern links liegen lässt.

Beim Wasserstoff geht das nicht so einfach, da man dafür das 2,5-Fache an Anlagen für die Ökostromerzeugung gegenüber BEV braucht und dazu noch die teueren Elektrolyseanlagen, Kompressoren, Kühlungsanlagen usw. – während bei BEV das 1-Fache plus Stromleitungen und Ladegeräte ausreichen.

Wolfbrecht Gösebert:

„Der Wasserstoff wird einen bestimmten Preis haben. […] Wenn er dafür nachgefragt wird, wird er auch (zusätzlich) produziert werden.“

»lach« Er kostet doch JETZT schon bei 15 €/l. Du möchtest also, dass er noch weitaus teurer wird? – er ist doch jetzt schon mit BEV-Strom für Landfahrzeuge nicht mal ansatzweise konkurrenzfähig!

„Wir haben doch im Normalfall immer noch Marktwirtschaft, oder nicht?“

Für Dich heute erstmal KOSTENLOS –> 3 Punkte aus dem Kleinen Einmaleins der Marktwirtschaft:

1• Die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist die SOZIALE Marktwirtschaft.
2• Darin wird die Regelung der Wettbewerbs- und Umweltpolitik auch als ORDNUNGS-Politik bezeichnet.
3• Direkte Eingriffe von Seiten des Staates sind aber ebenso möglich und werden der PROZESS-Politik zugeordnet.

Und gern bis morgen noch 100 Mal meinen jahrealten Satz ins Heft schreiben:
»Für landgebundene Fahrzeuge gilt Wasserstoff ALLENFALLS als Nischenanwendung.«

Jakob Sperling:

Der Wasserstoff wird einen bestimmten Preis haben. Zu diesem Preis wird er für gewisse Mobilitäts-Anwendungen interessant sein oder nicht. Wenn er dafür nachgefragt wird, wird er auch (zusätzlich) produziert werden.

Wir haben doch im Normalfall immer noch Marktwirtschaft, oder nicht? Planwirtschaft ist weiter östlich.

Wolfbrecht Gösebert:

Im für EAN-Themen relevanten Bereich finde ich den wichtigsten Satz dieser Metastudie … und er wirkt hier auch besonders deutlich:

Zitat: „Nachfragereduzierung: Durch Effizienz und Fokus auf WIRKLICH notwendige Wasserstoff-Anwendungen werde die Nachfrage von vornherein begrenzt. Im Pkw- und Lkw-Bereich etwa gilt Wasserstoff ALLENFALLS als Nischenlösung.“ (Hervorhebungen von mir!)

Diesen Satz schreiben sich die üblichen Verdächtigen gern mal „hinter die Ohren“ oder auch auf ihr Federkleid!

Und diesen Satz schrieb ich im Juni 2022 hier auf EAN: c&p–>
elektroauto-news.net/news/clean-logistics-wasserstoff-lkw-fyuriant#comment-155560

„Ja, H2 brauchen wir für die Industrie künftig in Mengen, allerdings eben auch in solchen Mengen, die die Verfügbarkeit von Grünstrom schon jetzt *weit, weit* überschreitet – nur brauchen wir H2 eben NICHT für Landfahrzeuge – die können künftig akkubasiert mit rd. 1/3 Stromverbrauch und besonders günstigen TCO fahren! – von Nischenanwendungen mal abgesehen!“

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