MAN Truck & Bus sieht sich beim Hochlauf der Elektromobilität gut positioniert. „Seit dem ersten Halbjahr sind unsere Vorserien-E-Trucks bei Kunden im Betrieb. Im Juni haben wir die Serienproduktion gestartet“, erklärt Alexander Vlaskamp, CEO von MAN, im Interview mit Business Insider. In den letzten sechs Monaten sei MAN bei schweren E-Lkw der am schnellsten wachsende Hersteller Europas gewesen – über 700 Bestellungen liegen bereits vor.
Dennoch bleibe der Umstieg auf E-Lkw eine Herausforderung – vor allem wegen fehlender Ladeinfrastruktur. „Die Netzbetreiber schaffen es nicht, in den Speditions-Depots schnell Lademöglichkeiten für Lkw mit drei Megawatt Anschlussleistung aufzubauen“, kritisiert Vlaskamp. Zwar sei das Produktportfolio – vom klassischen Lkw bis zum E-Müllwagen – einsatzbereit, doch mangele es an Planungssicherheit für Kunden.
Kostenparität durch Mautbefreiung und CO₂-Bepreisung
Damit sich E-Lkw wirtschaftlich lohnen, fordert Vlaskamp klare politische Maßnahmen. Die geplante Mautbefreiung für Elektro-Lkw bis 2031 müsse in Deutschland rasch umgesetzt werden. Zusammen mit Fahrzeug-Subventionen und der ab 2027 steigenden CO₂-Abgabe auf Diesel ergebe sich eine positive Rechnung: „Ein E-Truck rechnet sich bereits nach zweieinhalb bis drei Jahren Einsatz im Vergleich zum Verbrenner.“
Zur Finanzierung schlägt MAN gemeinsam mit Branchenverbänden vor, die Hälfte der jährlichen Mauteinnahmen – rund sieben Milliarden Euro – in Ladeinfrastruktur und Förderprogramme zu investieren. Besonders mittelständische Unternehmen seien auf solche Unterstützung angewiesen.
Ein zusätzlicher Hebel: Strompreise senken. „Viel besser wäre es, wenn der Strom an den E-Tankstellen und im Depot deutlich günstiger würde – etwa von heute 45 bis 50 Cent auf 20 bis 30 Cent pro Kilowattstunde“, so der MAN-CEO. Dabei fordert er explizit einen Industriestrompreis auch für Logistikunternehmen: „Schließlich transportieren wir die Güter nur, um die Wirtschaft am Laufen zu halten.“
Autonomes Fahren braucht Kapital und europäische Strategie
MAN investiert seit Jahren in die Entwicklung autonomer Fahrtechnologien und zählt laut CEO Vlaskamp zu den Vorreitern auf diesem Gebiet. Ein konkretes Beispiel: In einem Pilotprojekt testet das Unternehmen autonome Lkw auf mehreren Autobahnabschnitten in Bayern – unter realen Bedingungen im öffentlichen Verkehr. Über 10.000 Testkilometer wurden dabei bereits absolviert, auch wenn bisher noch ein Sicherheitsfahrer mit an Bord ist.
Trotz dieser technologischen Fortschritte steht die Skalierung der autonomen Systeme jedoch vor einer zentralen Herausforderung: fehlende finanzielle Mittel. „Für die Skalierung brauchen wir allerdings mehr Investitionskapazitäten“, betont Vlaskamp. Statt jedoch strategisch in zukunftsweisende Technologien investieren zu können, sieht sich MAN gezwungen, Rückstellungen für mögliche Strafzahlungen der EU wegen nicht erreichter CO₂-Ziele zu bilden. Diese finanzielle Vorsicht bremse dringend notwendige Innovationsvorhaben aus.
Vlaskamp kritisiert diesen Zielkonflikt deutlich und fordert einen übergeordneten, europäischen Ansatz: „Gerade beim autonomen Fahren brauchen wir eine europäische Lösung, um Abhängigkeiten von anderen Weltregionen zu vermeiden.“ Damit spielt er auf Entwicklungen etwa in den USA oder China an, wo deutlich aggressiver in autonome Mobilität investiert wird – auch durch staatliche Unterstützung. Ein konzertierter europäischer Fahrplan könne helfen, nicht nur technologisch aufzuschließen, sondern auch strategische Souveränität im Nutzfahrzeugsektor zu sichern. Realistisch sei laut Vlaskamp eine breite Einführung autonomer Lkw auf Autobahnen in drei bis fünf Jahren – sofern die Rahmenbedingungen stimmen.
Starker Auftritt im E-Bus-Markt: MAN trotzt chinesischem Wettbewerb
Im Segment der batterieelektrischen Stadtbusse ist MAN nach eigener Aussage gut aufgestellt – auch im internationalen Wettbewerb. Laut Vlaskamp hat das Unternehmen inzwischen mehr als 2500 vollelektrische Busse in europäischen Städten im Einsatz. Diese Flotte hat zusammen über 100 Millionen Kilometer zurückgelegt – ein Beweis für Zuverlässigkeit und Marktreife.
Gerade in Südeuropa sieht der MAN-Chef klare Erfolge gegenüber chinesischen Herstellern, die in den vergangenen Jahren durch schnelle Lieferfähigkeit und aggressive Preise europaweit Marktanteile gewinnen konnten. „Vor allem in Südeuropa gewinnen wir sogar Marktanteile mit E-Bussen – und holen den ein oder anderen Kunden von den Chinesen zurück“, erklärt der MAN-CEO. MAN profitiert hier nicht nur vom Vertrauen in die eigene Marke, sondern auch von der Service-Infrastruktur, die chinesischen Wettbewerbern oft noch fehlt.
Trotz des starken Wettbewerbs sieht er keine Veranlassung für Zurückhaltung: MAN habe sich erfolgreich behauptet und wolle seine Position weiter ausbauen. Die Marktführerschaft in Europa sei kein Zufall, sondern Ergebnis langfristiger Entwicklung, praktischer Betriebserfahrung und verlässlicher Partnerschaften mit Städten und Verkehrsbetrieben.
Wirtschaftlich sei MAN trotz anhaltender Herausforderungen stabil. „Im ersten Halbjahr war der Auftragseingang 43 Prozent besser als vor einem Jahr.“ Die gestiegene Lkw-Maut 2023 habe Investitionen der Speditionen jedoch ausgebremst. Mit dem Transformationsprogramm „Future Lion“ habe man gegengesteuert: „Im zweiten Quartal 2025 haben wir fast acht Prozent Umsatzrendite erreicht – bei sechs Prozent weniger Umsatz.“
MAN wolle weiterhin investieren – über eine Milliarde Euro in den kommenden Jahren allein in Deutschland, inklusive Weiterbildung der Belegschaft für Elektromobilität und autonome Technologien.
Wasserstoffverbrenner nur für ausgewählte Märkte
Während MAN den Fokus klar auf batterieelektrische Antriebe legt, verfolgt das Unternehmen auch alternative Technologien weiter – allen voran den Wasserstoffverbrennungsmotor. Dabei handelt es sich nicht um eine Lösung für den europäischen Massenmarkt, sondern um ein gezieltes Angebot für Regionen mit besonderen Rahmenbedingungen. Vor allem im Nahen Osten sieht MAN aktuell Potenzial: „Dort wollen viele Staaten CO₂-Neutralität über CO₂-Abscheidung erreichen. In dem Prozess entsteht Wasserstoff, der günstig ist und genutzt werden soll“, so der CEO von MAN.
In diesen Ländern kann Wasserstoff als lokal verfügbarer Energieträger sinnvoll eingesetzt werden – und das ohne aufwändige Infrastrukturumstellungen. Erste Bestellungen für Wasserstoffverbrenner liegen bereits vor, auch wenn sie sich aktuell nur im dreistelligen Bereich bewegen. Trotzdem bleibt er überzeugt: Die Investitionen lohnen sich – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch strategisch. Denn der Entwicklungsaufwand sei vergleichsweise gering: Die Wasserstoffmotoren basieren auf bestehenden Antriebskonzepten wie Methangas-Verbrennern und Dieselmotoren. Dabei arbeitet MAN eng mit deutschen Zulieferern wie Mahle, Bosch und Voith zusammen.
„Ich könnte natürlich kurzfristig Geld sparen, wenn ich das stoppen würde – aber zulasten unserer Zukunftsfähigkeit“, betont Vlaskamp. Für ihn ist klar: Wer langfristig eine Rolle im globalen Nutzfahrzeuggeschäft spielen will, muss technologische Breite bieten – auch wenn einzelne Technologien zunächst nur in ausgewählten Märkten zur Anwendung kommen.
MAN bleibt eigenständig innerhalb von Traton
Trotz enger Zusammenarbeit innerhalb der VW-Konzerntochter Traton sieht Vlaskamp keine Gefahr für die Eigenständigkeit von MAN. Vielmehr erhoffe man sich Effizienzgewinne durch gemeinsame Entwicklung und Plattformstrategien mit Scania, Navistar und VW Truck & Bus. Das sichere auch Arbeitsplätze in Deutschland: „In Nürnberg und Salzgitter fertigen wir inzwischen Komponenten für die USA.“ Zölle seien bislang kein großes Thema für Nutzfahrzeuge, so Vlaskamp abschließend: „Wir vertrauen auf das richtige Maß an Pragmatismus.“