Lithium im Fokus: Wie Forscher aus Abfall Werte schaffen wollen

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Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 7 min

Lithium gilt als einer der Schlüsselrohstoffe der Energiewende. Doch ob in den Solebecken des chilenischen Salar de Atacama oder in den Hartgesteinsminen Australiens – bei der Förderung entstehen weit mehr Abraum und Nebenprodukte als eigentlicher Rohstoff. Wie sich diese Ströme künftig nutzen lassen, rückt zunehmend in den Fokus von Forschung, Politik und Industrie.

Konstantin Born bringt für dieses Thema eine besondere Perspektive mit. Er arbeitet beim Bergbaukonzern Anglo American im Bereich Kupfer, Eisenerz sowie Diamanten und forscht parallel an der University of Oxford zur Kreislaufwirtschaft im Rohstoffsektor. Im Gespräch macht er deutlich, warum Kreislaufwirtschaft nicht erst beim Recycling ansetzen darf, welche Rolle Unternehmen wie SQM in Chile einnehmen können und weshalb sowohl Australien als auch Chile die Chance haben, sich als Vorreiter für neue Ansätze im Lithiumsektor zu positionieren.

Sebastian Henßler, Elektroauto-News: Konstantin, danke, dass du dir Zeit nimmst. Stell dich doch bitte kurz vor – was treibt dich aktuell in Forschung und Praxis an?

Konstantin Born: Ich bewege mich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. Beruflich arbeite ich bei Anglo American in London, einem der größten Bergbauunternehmen weltweit, mit Schwerpunkt im Kupfer-, Eisenerz- und Diamantenbereich. Lithium bauen wir dort zwar nicht ab, doch die Prozesse und Herausforderungen sind vergleichbar.

Gleichzeitig forsche ich an der University of Oxford zur Kreislaufwirtschaft im Bergbau. Mich interessiert, wie man Abbauprozesse nachhaltiger gestalten kann – ökologisch wie ökonomisch – und wie sich Nebenprodukte, die in großen Mengen anfallen, sinnvoll nutzen lassen. Im Zentrum stehen dabei Kupfer und Lithium, zwei Rohstoffe, die für die Energiewende unverzichtbar sind.

Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist „Value Sharing“. Was verstehst du darunter?

Value Sharing bedeutet, den Nutzen aus dem Rohstoffabbau breiter zu verteilen. Bergbau bringt zweifellos enorme ökonomische Effekte: Arbeitsplätze, Exporterlöse, Steuereinnahmen. Gleichzeitig verursacht er aber auch erhebliche ökologische Belastungen – sei es durch den Wasserverbrauch bei der Lithiumgewinnung in den Solebecken Nordchiles oder durch den Dieselverbrauch und die Landschaftseingriffe im Hartgesteinabbau in Australien. Value Sharing zielt darauf ab, diese Spannungen aufzulösen. Es geht darum, die Rohstoffe für die globale Energiewende bereitzustellen, gleichzeitig aber sicherzustellen, dass auch die Regionen, in denen abgebaut wird, profitieren – sei es durch Umweltstandards, durch Infrastruktur, durch Beteiligung der lokalen Bevölkerung oder durch neue Industrien, die dort entstehen.

Kreislaufwirtschaft spielt hier eine zentrale Rolle. Sie eröffnet die Möglichkeit, Abbauprozesse so zu gestalten, dass weniger negative ökologische Effekte auftreten und gleichzeitig neue Wertschöpfung in den Regionen entsteht. Anders gesagt: Es geht nicht nur darum, Rohstoffe herauszuholen, sondern auch darum, was mit den übrigen 90 oder 99 Prozent passiert, die heute oft als Abfall gelten.

Du argumentierst in deiner Forschung, dass Kreislaufwirtschaft oft zu spät ansetzt. Was meinst du damit?

Viele Menschen denken bei Kreislaufwirtschaft zuerst an das Ende des Lebenszyklus eines Produkts – also an Recycling, Reparatur oder Wiederverwendung. Das ist wichtig, aber im Rohstoffsektor greift es zu kurz. Ich setze mich dafür ein, die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft schon viel früher einzubringen, nämlich im Abbau selbst.

Nehmen wir Lithium als Beispiel: In den Solebecken des Salar de Atacama liegt der Lithiumgehalt bei gerade einmal 0,05 bis 0,15 Prozent. Mehr als 99 Prozent dessen, was hochgepumpt wird, besteht aus anderen Bestandteilen, die heute meist ungenutzt bleiben. Beim Spodumenabbau in Australien ist der Lithiumgehalt mit ein bis zwei Prozent zwar höher, doch auch hier bleiben fast 98 Prozent als Gesteinsabfall zurück. Meine Forschung zeigt: Wenn wir diese Ströme besser nutzen, können wir Abfall verringern, ökologische Belastungen reduzieren und gleichzeitig neue wirtschaftliche Chancen schaffen.

Das heißt, die Herausforderung liegt auch in der Logistik?

Ganz genau. Lithium ist ein hochpreisiger Rohstoff – seine Nebenprodukte sind es oft nicht. Dadurch wird Transport schnell unwirtschaftlich. Ein Beispiel: In Australien muss das geförderte Spodumen zu großen Teilen nach China verschifft werden. Über 90 Prozent der Masse, die transportiert wird, ist dabei gar kein Lithium, sondern Material, das am Ende als Abfall gilt. Das verursacht hohe Kosten und einen großen ökologischen Fußabdruck.

Es wäre viel sinnvoller, Teile dieser Stoffe vor Ort zu verarbeiten oder alternative Verwendungen zu finden. Genau hier setzen Kreislaufwirtschaftsstrategien an. Wenn Nebenprodukte zu marktfähigen Produkten werden – selbst wenn sie einen geringeren Wert haben als Lithium, verbessert das nicht nur die Ökobilanz, sondern schafft auch neue Einnahmequellen für Unternehmen und Vorteile für die Region.

SQM in Chile ist ein gutes Beispiel: Das Unternehmen produziert Magnesiumchlorid, ein Nebenprodukt der Soleförderung, das mittlerweile zur Staubunterdrückung auf unbefestigten Straßen im Norden Chiles eingesetzt wird. Das senkt den Wasserverbrauch, verbessert die Luftqualität und bringt zugleich ein neues Geschäftsmodell hervor.

Welche Rolle spielen Produzenten wie SQM oder große australische Unternehmen dabei?

Es ist immer ein Zusammenspiel aus Politik, Unternehmen und Märkten. Regierungen können durch Industriepolitik und Regulierung Rahmenbedingungen schaffen – etwa durch erweiterte Herstellerverantwortung, die Unternehmen verpflichtet, sich auch um die Entsorgung oder Weiterverwendung von Abfällen zu kümmern. Chile hat hier erste Schritte unternommen, zum Beispiel mit Vorgaben zur Wiederverwertung von Reifen im Bergbau. Solche Initiativen zeigen, wie Regulierung Kreislaufwirtschaft in den Abbaugebieten anstoßen kann.

Aber auch die Unternehmen selbst sind gefragt. Sie müssen nicht nur ihre Produktionsprozesse optimieren, sondern auch das Potenzial von Nebenprodukten systematisch erschließen. SQM etwa nutzt bereits Nebenströme wie Magnesiumchlorid, um Straßen im Norden Chiles zu stabilisieren – ein Beispiel, wie Abfall zu einem marktfähigen Produkt werden kann. Hinzu kommen die Märkte, allen voran Batterie- und Autohersteller, die durch ihre Nachfrage Standards setzen können. Wenn sie stärker nach ökologischen Kennzahlen wie Wasserverbrauch oder Abfallströmen fragen, verändert das die Spielregeln. So entsteht ein Dreiklang, in dem Politik, Industrie und Abnehmer gemeinsam die Richtung vorgeben – und Kreislaufwirtschaft von der Randnotiz zum integralen Bestandteil des Rohstoffsektors wird.

Ein Thema, das derzeit viel diskutiert wird, ist die direkte Lithiumextraktion (DLE). Welche Chancen siehst du darin?

DLE hat großes Potenzial, auch wenn die Technologie noch nicht marktreif ist. Sie basiert auf Verfahren aus der Wasserentsalzung und könnte es ermöglichen, Salze gezielter zu trennen. Damit ließen sich Abfallströme verringern und die Effizienz steigern. Gerade bei Soleprojekten in Chile oder Argentinien ist das interessant. Aber wichtig ist auch: DLE hilft nur dort.

Beim Hartgesteinsabbau in Australien oder China entstehen weiterhin riesige Mengen an Abraum, die mit dieser Technologie nicht adressiert werden können. Hier braucht es andere Ansätze, etwa die Nutzung von Gesteinsabfällen als Baumaterialien oder für die Zementindustrie.

In deiner Forschung sprichst du von strukturellen Hürden – Enklavenlogik, schwache regionale Linkages, fehlende Infrastruktur. Was steckt dahinter?

Viele Bergbauregionen sind klassische Enklaven. Sie sind hoch spezialisiert auf eine Industrie, verfügen über wenig andere Wirtschaftszweige und haben oft schwache lokale Netzwerke. Im Norden Chiles beispielsweise gibt es kaum Abnehmer für Nebenprodukte des Lithiumbergbaus. Salze wie Natrium, Kalium und Magnesium fallen beim Lithiumabbau dort in Millionen Tonnen an – aber der Transport in den Süden des Landes, wo es Abnehmer gäbe, ist wirtschaftlich nicht darstellbar.

Fehlende Infrastruktur verschärft das Problem. Straßen, Schienen, Verarbeitungsanlagen – all das ist entscheidend, wenn Nebenprodukte in andere Industrien eingespeist werden sollen. Und schließlich spielt die Kultur eine Rolle: Bergbauunternehmen arbeiten traditionell sehr isoliert. Kooperationen, etwa beim Teilen von Infrastruktur wie Wasserleitungen oder Transportwegen, sind noch immer selten. Das bremst Innovationen massiv aus.

Und wenn du nach vorne blickst – welche Hebel sind entscheidend?

Ich sehe drei zentrale Hebel. Erstens braucht es eine aktive Industriepolitik, die Koordination und Anreize schafft. Regierungen müssen als Partner auftreten, die unterschiedliche Akteure zusammenbringen und die Ansiedlung neuer Industrien fördern, die Nebenprodukte nutzen können.

Zweitens sind die Unternehmen gefragt. Sie müssen besser verstehen, was in ihren Abfallprodukten steckt, und daraus Businessmodelle entwickeln. In vielen Abraumhalden und Aufbereitungsrückständen schlummert wertvolles Material, oft mit höheren Gehalten als in heutigen Erzen – doch das Wissen darum ist kaum vorhanden.

Drittens ist Infrastruktur entscheidend. Je besser Transport- und Verarbeitungswege sind, desto leichter lassen sich Nebenprodukte wirtschaftlich nutzen. Das gilt für Chile ebenso wie für Australien. Wenn diese drei Elemente zusammenspielen, können beide Länder im globalen Kontext Vorreiter werden und zeigen, dass Lithiumförderung nicht nur Abfall produziert, sondern neue Kreisläufe ermöglicht.

Vielen Dank, Konstantin. Das war sehr aufschlussreich – und ich freue mich schon auf unser nächstes Gespräch.

Danke dir, ich freue mich auch.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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