Dass die Elektromobilität kurz davor ist, ihren Siegeszug auf Deutschlands Straßen anzutreten, daran gibt es kaum noch Zweifel. Eine seit dem vergangenen Jahr geänderte Gesetzeslage wird zusätzlich zu einem Hochlauf beitragen – insbesondere in Mehrfamilienhäusern. Aber wie können diese optimal mit Ladeinfrastruktur nachgerüstet werden? Und wird das Stromnetz den zusätzlichen Belastungen standhalten?
Ergänzend zu theoretischen Modellen spielt der Netzbetreiber Netze BW dies in der Realität, in so genannten NETZlaboren, durch. In einem 16-monatigen Feldtest, dem E-Mobility-Carré in Tamm bei Ludwigsburg, wurde untersucht, ob die bisherige Anschlussleistung auch für nachträglich in der Tiefgarage installierte Ladestationen noch ausreicht. Beziehungsweise wie man bestenfalls ohne zusätzliche Netzverstärkungsmaßnahmen mit dem bestehenden Hausanschluss auskommt – und zwar ohne Komforteinbuße für die Bewohner. Die Untersuchungen sind nun abgeschlossen.
Anlass für diesen Test ist die bevorstehende Mobilitätswende als Teil der Energiewende, die eine gänzlich neue Herausforderung für die Energiewirtschaft und die Stromverteilnetze darstellt. Bis zum Jahr 2030 müssen in Deutschland laut einer Studie des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur rund 15 Millionen E-Fahrzeuge in das Stromnetz integriert werden. In Projekten wie jenem in Tamm werden die Grundlagen dafür geschaffen. Denn damit die Elektromobilität hierzulande eine Erfolgsstory wird, braucht es ein leistungsfähiges und weiterhin zuverlässiges Stromnetz.
„Deutschlands Automobilindustrie befindet sich mitten in einem fundamentalen Transformationsprozess, den die Hersteller allein gar nicht stemmen können. Da sind gleichermaßen Politik und Wissenschaft aber auch andere Wirtschaftszweige wie die Energiebranche gefragt. Wir sind zu diesem Schulterschluss gerne bereit, um einen wichtigen Beitrag zur Mobilitätswende zu leisten.“ – Dr. Martin Konermann, Technischer Geschäftsführer der Netze BW
Für ihr NETZlabor in Tamm hatte Netze BW die Tiefgarage der Wohnanlage Pura Vida mit 58 Ladepunkten ausgestattet und den Teilnehmern 45 E-Autos – BMW i3 sowie VW e-Golf – für den täglichen Gebrauch überlassen. Die restlichen 13 Ladepunkte waren für bereits bestehende E-Autos von Bewohnern reserviert. Ob Familien mit Kindern, Paare oder Rentner, ob Gelegenheits- oder Vielfahrer – sie alle hatten ihren Benziner oder Diesel zeitweise ‚eingemottet‘ und waren von heute auf morgen elektrisch unterwegs. Mit wachsender Begeisterung, wie Netze BW mitteilt. Im Schnitt brachte es jeder dieser Elektropioniere auf eine monatliche Fahrleistung von 1100 Kilometer. Trotz Homeoffice und coronabedingten Einschränkungen ein beachtlicher Wert. Die Projektfahrzeuge wurden inzwischen zwar wieder abgeholt. Viele der Tammer E-Pioniere überlegen aber bereits, sich jetzt ein Elektroauto zuzulegen.
Cleveres Lademanagement glättet Lastspitzen
In dem Projekt ging es im Schwerpunkt darum, wie sich der Hausanschluss von Mehrparteien-Wohnobjekten für den zusätzlichen Verbrauch durch Ladestationen optimieren lässt. Ein idealer Anschluss stellt ausreichend Leistung zur Verfügung, ohne überdimensioniert zu sein. Letzteres wäre allerdings der Fall, wenn man davon ausgehen würde, dass dort alle E-Autos zur selben Zeit geladen werden.
Im E-Mobility-Carré zeigte sich jedoch, dass während der gesamten 16 Monate Projektdauer nie mehr als 13 Ladevorgänge parallel stattfanden – bei insgesamt 58 zur Verfügung stehenden Ladepunkten. Die sich auf das Netz belastend auswirkende „Gleichzeitigkeit“ betrug also lediglich 22 Prozent. Damit lag der Wert noch deutlich unter den bei einem ähnlichen Feldtest in Ostfildern gemessenen 50 Prozent. Fast während der Hälfte der Zeit wurde sogar überhaupt kein Auto geladen. Das zeigt das Potenzial von flexibilisierten Ladevorgängen.
Die maximale verfügbare Leistung der Wohnanlage von 124 kW sei kein einziges Mal vollständig abgerufen worden, teilt Netze BW mit. Während der gesamten Projektphase betrug die maximale Leistungsspitze knapp 98 kW. Leistungsspitzen mit mehr als 80 kW gab es insgesamt nur knapp 15 Stunden lang. Durchschnittlich gaben die 58 Ladepunkte zusammen etwa 240 kWh pro Tag an die E-Autos ab, im Schnitt waren es gut 17 kWh pro Ladevorgang. Um die E-Autos zuverlässig zu laden, reichte eine durchschnittliche Ladeleistung von nur 4,61 kW.
Wichtigstes Instrument dafür die Steuerung der Ladevorgänge war ein für das Projekt installiertes intelligentes Lademanagementsystem. Damit konnten die Anschlussleistung der Ladepunkte abgesenkt und so Lastspitzen reduziert werden. Bestehende Netzanschlüsse von Mehrfamilienhäusern können dadurch optimal ausgenutzt werden, ohne kostspielig erweitert werden zu müssen. Darüber hinaus gibt ein intelligentes Lademanagement Netzbetreibern zukünftig Zeit für sinnvolle, effiziente und nachhaltige Netzverstärkung. Dafür muss lediglich zeitweise eine etwas längere Ladezeit in Kauf genommen werden. Wodurch sich aber über 90 Prozent der Projektteilnehmer überhaupt nicht eingeschränkt fühlten – eine weitere wichtige Erkenntnis aus dem E-Mobility-Carré.
Quelle: Netze BW – Pressemitteilung vom 16.04.2021 / Edison – So wenig Strom brauchen Elektroautos