Strom oder Wasserstoff? Über kaum eine Frage wird beim Klimaschutz so leidenschaftlich gestritten wie über diese. Dr. Felix Matthes ist Forschungskoordinator für Energiepolitik beim Ökoinstitut und Mitglied des nationalen Wasserstoffrates. Er forscht unter anderem zu Dekarbonisierungsstrategien, Kohleausstieg, Emissionshandel und Strommarkt-Regulierung. In einem vom Autohersteller Volkswagen im Rahmen der Reihe „Inter/view“ veröffentlichten Gespräch erklärt er, welche Technologie in welchen Bereichen sinnvoll ist und wie die Energiewende gelingen kann.
Matthes zufolge ist die EU nur „teilweise“ auf dem richtigen Weg, um wie geplant bis zum Jahr 2050 die Klimaneutralität zu erreichen. Beim Emissionshandel liege die EU „mit ihren Zwischenzielen für 2030 auf Kurs“, so der Experte. Dies betreffe „den CO2-Ausstoß der Energiewirtschaft, der energieintensiven Industrie und des innereuropäischen Luftverkehrs.“ In anderen Sektoren jedoch, „im Verkehr, bei Gebäuden und in der Landwirtschaft muss die EU nachlegen, um bis 2050 auf Null zu kommen“, so Matthes.
Wichtige Hebel, um auch in den hinterherhinkenden Bereichen CO2 einsparen zu können, seien zum Beispiel „Investitionsanreize für klimafreundliche Autos und die Sanierung von Gebäuden“. Matthes fordert auch, die laufenden Kosten von Fahrzeugen und Heizungen „stärker an den CO2-Ausstoß“ zu koppeln: „Eine Möglichkeit für eine solche CO2-Bepreisung wäre ein europäischer Emissionshandel für Mineralölprodukte – der allerdings separat bzw. neben dem bestehenden System aufgesetzt werden sollte“.
Um eine klimaneutrale Energieversorgung aufbauen zu können, führe kein Weg an erneuerbaren Energien vorbei. Um mit ihnen auf Kurs zur Klimaneutralität zu kommen, müsse Deutschland „den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2030 auf 70 bis 75 Prozent steigern“, so Matthes. Um dies zu erreichen, sollten „die verfügbaren Flächen für Windkraft und Solarenergie möglichst vollständig“ erschlossen werden. Zudem gelte es, „Zuwächse wie in Spitzenjahren“ zu erreichen.
Aktuell aber hake es daran, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) „den Anforderungen nicht gerecht“ werde, wie Matthes erklärt. Zwar habe die beschlossene Novelle „Stärken bei der regenerativen Stromerzeugung für den Eigenverbrauch, etwa bei der Förderung von Solaranlagen auf Privatdächern“, so der Experte. In anderen Bereichen der Solarenergie und der Windkraft sei jedoch „immer noch die Bremse drin“. Eine „wichtige Stellschraube“, um hier Verbesserungen zu erreichen, wäre zum Beispiel auch „einfachere Planungsverfahren“. Matthes fordert für „spätestens 2022“ eine weitere EEG-Reform, „um auf den notwendigen Ausbaupfad zu kommen.“
„So viel elektrifizieren wie möglich, so viel Wasserstoff wie nötig“
Der „volkswirtschaftlich preiswerteste klimaneutrale Energieträger“ sei Strom, so Matthes, weshalb dort „der Ausbau am schnellsten geschehen“ müsse. Klimaneutralen Wasserstoff sieht der Experte „ebenfalls als eine Säule der Energiewende“. Wasserstoff werde jedoch „auch auf lange Sicht nicht billig werden – wegen der Umwandlungsverluste, wegen der Investitionskosten, wegen der Transportkosten beim Import“, gibt Matthes zu bedenken. „Die Devise sollte sein: So viel elektrifizieren wie möglich, so viel Wasserstoff wie nötig.“
Bei Pkw, findet Matthes, sei „das Rennen zugunsten des E-Antriebs gelaufen“ und es sei nicht sinnvoll, weiteres Geld „für Experimente auszugeben“ und in Bereiche zu investieren, „wo Wasserstoff erkennbar keine Zukunft hat“. In anderen Sektoren jedoch, etwa bei den Lkw, „steht die beste Lösung noch nicht fest“, weshalb hier ein „Suchprozess“ organisiert werden sollte. Es gebe auch noch „einen dritten Bereich, in dem es ohne Wasserstoff nicht geht. Das gilt etwa für den Eisen- und Stahlsektor oder die Chemieindustrie“, so Matthes.
Andere Lösungen, wie etwa synthetische Kraftstoffe, seien in Nischen ebenfalls sinnvoll, etwa „im Flugverkehr und Teilen des Schiffsverkehrs, wo es keine Alternative gibt“. Matthes findet allerdings, E-Fuels seien „kein Pfad, den man großflächig vorantreiben sollte. Dazu sind die Umwandlungstechnologien zu ineffizient und auch längerfristig zu kostspielig.“
Es gebe mehrere Bereiche, in denen es jetzt wichtig sei, „so schnell wie möglich voranzukommen“. Ein „plastisches Beispiel“ dafür sei die Ladeinfrastruktur für Elektroautos, findet Matthes: Zumindest in Großstädten wie Berlin sei Deutschland „heute noch ordentlich aufgestellt – aber für starkes Wachstum fehlen Ladesäulen“, welche „zügig entstehen“ sollten.
Quelle: Volkswagen – Energie-Experte: So viel Strom wie möglich, so viel Wasserstoff wie nötig