Standzeit ist Ladezeit. Die meisten Stunden am Tag steht ein E-Auto, entweder über Nacht beim Besitzer und tagsüber beim Arbeitgeber. Beides Gelegenheiten, den Wagen mit Energie zu versorgen. Laut EVBox Mobility Monitor 2021 laden europäische Elektroauto-Fahrer am häufigsten zu Hause (73 Prozent). Am Arbeitsplatz sind es bislang nur 40 Prozent. An der Situation können nur Arbeitgeber etwas ändern. Ein positives Beispiel ist die Otto Group mit Sitz in Hamburg. Auf dem Firmen-Campus im Stadtteil Bramfeld gingen im Mai 27 Ladestationen mit 54 Wechselstromanschlüssen ans Netz.
Beim Besuch in der Unternehmenszentrale wirken die grün markierten Parkplätze in der Tiefgarage als auch im neuen Parkhaus etwas verwaist. Lediglich ein VW ID.3 hat sein Typ 2-Kabel an eine der Wallboxen angeschlossen. “Noch sind die Mitarbeiter im Home Office”, sagt Thomas Radtke entschuldigend. Er verantwortet als Projektleiter die Installation. Während sonst rund 10.000 Mitarbeiter von Bonprix, Hermes, Otto und weiteren Tochtergesellschaften das Gelände bevölkern, sind es aktuell gerade mal 200. Entsprechend leer ist es im Parkhaus, der Tiefgarage sowie den umliegenden Parkplätzen.
Wallboxen als Signal
“Wir haben rund 30 Mitarbeiter, die in einer Vorab-Befragung angaben, dass sie mit einem elektrischen Fahrzeug zur Arbeit kommen”, sagt Radtke, “Aktuell sind wir etwas überversorgt, aber das wird sich bald ändern.” Er versteht die Einrichtung der leuchtend grünen Parkflächen mit den dazugehörigen Wallboxen auch als Signal. “Die Leute soll sehen, dass Elektromobilität im Alltag angekommen ist”, sagt Radkte. Das nächste Auto darf elektrisch fahren, für den Ladeanschluss bei der Arbeit ist gesorgt.
Die Otto Group hat die 27 Wallboxen angeschafft, doch betrieben werden sie vom örtlichen Versorger Hamburg Energie. Sie liefern ausschließlich Ökostrom, übernehmen das Lastmanagement sowie das Abrechnungs-Clearing. Mitarbeiter und Besucher bezahlen den Strom mit gängigen Ladekarten von Hamburg Energie, Shell, Plugsurfing und EnBW. Die Preise entsprechen denen für öffentliches Laden beim jeweiligen Kartenanbieter. Zukünftig wird es noch Bezahllösungen per QR-Code sowie Girocard geben. Mitarbeiter, die einen elektrischen Dienstwagen fahren, erhalten eine Ladekarte vom Unternehmen mit einem monatlich begrenzten Ladevolumen. Die Idee, den Strom als Anreiz für einen Umstieg komplett kostenlos abzugeben, wurde aufgrund von Compliance-Regeln, steuerlichen Vorschriften sowie einer Gleichbehandlung aller Mitarbeiter, verworfen.
Eigenes Ladekabel mitbringen
Bei der Auswahl der Ladepunkt hat sich die Otto Group bewusst für Wechselstromanschlüsse mit bis zu 11 kW Ladeleistung entschieden. “Bei Schnellladern hätten die Nutzer nach kurzer Zeit den Wagen umparken müssen, um den Anschluss für andere frei zu geben”, sagt Radtke. So kann der Wagen die gesamte Arbeitszeit an der Wallbox bleiben. Zudem hätte der Anschluss ans Mittelspannungsnetz deutlich höhere Kosten verursacht. Mit den Typ 2-Anschlüssen können auch Besitzer von Plug-in-Hybriden laden. Die Otto Group hat sich bewusst gegen fest installierte Ladekabel entschieden. Die Erfahrung zeigt, fixe Kabelsysteme nutzen sich schneller ab und müssen häufiger ersetzt werden. Somit müssen Nutzer ein Ladekabel im Auto haben. Immerhin hält der Fahrer aufgrund der überdachten Ladesituation nach dem Ladevorgang kein nasses oder verdrecktes Kabel in den Händen.
Die Hansestadt bietet mit 1.200 Ladepunkten laut BDEW bereits ein gutes Angebot. Damit bildet sie zusammen mit Berlin und München das Top-Trio in Deutschland. Im Unternehmensbereich nimmt nun die Otto Group eine Vorreiterrolle in der Stadt ein. Bislang ist von keinem anderen Unternehmen ein derartiges Ladeangebot in Hamburg bekannt. Wann genau wieder mehr Menschen an ihren Arbeitsplatz auf dem Otto-Campus kommen werden, wird mit Blick auf die pandemische Lage und die dazugehörigen Vorschriften entschieden. Aber Thomas Radtke ist optimistisch und glaubt, dass schon bald ein Großteil der hellgrünen Parkflächen belegt sein wird.