Der Start von Karma könnte leichter sein und bessere Vorzeichen haben. Denn aus dem Modellnamen wurde nach dem Ausstieg von Fisker ein ganzes Unternehmen. Jetzt will der kalifornische Sportwagenhersteller mit chinesischer Hilfe auch in Europa durchstarten.
„Egal, wo wir hinkommen – das erste, was wir gefragt werden, ist, ob wir nicht doch pleite gegangen sind“, sagt Marques McCammon, der kürzlich zum CEO von Karma Automotive ernannt wurde. Die Marke scheint so viele Leben zu haben wie die sprichwörtliche Katze. Dass die Modelle erst jetzt auf die europäischen Straßen rollen, klingt in einer Tonlage zwischen Resignation und Ironie. Das ursprüngliche Auto – bekannt unter dem Namen Karma – wurde 2011 von Fisker auf den Markt gebracht.
Doch die Sache floppte und nach gerade einmal 2000 Einheiten wurde seine Produktion endgültig eingestellt. Die Marke, von der der ehemalige dänische Autodesigner Henrik Fisker geträumt hatte, meldete nach mehreren technischen Problemen bei der Plug-in-Hybrid-Sportlimousine Konkurs an. „Fisker ist ein brillanter Autodesigner, aber für die Rolle des CEO ist er wahrscheinlich weniger geeignet“, gibt McCammon zu, der vor etwa anderthalb Jahren zu Karma Automotive kam, um eine neue globale Strategie umzusetzen.
Die Überreste von Fisker, das heißt das geistige Eigentum und das Design des Fisker Karma, aber auch ein Teil der Plug-in-Hybridmotortechnologie und die kleine Industrieanlage in Delaware, wurden 2014 von der chinesischen Megagruppe Wanxiang bei einer Auktion von bankrotten Unternehmen erworben. Von diesem Moment an existierte die Idee, eine neue Luxusmarke zu entwerfen, die es nach Ansicht des derzeitigen CEOs der Marke in den USA nicht gibt: „Wir schauen uns die Automobilindustrie weltweit an und sehen, dass alle Luxus-Supersportwagenmarken aus Europa kommen: aus Deutschland, Italien, England und sogar Frankreich, und dass es so etwas in den Vereinigten Staaten nicht gibt – Lucid und Tesla, verzeihen Sie mir -, was bedeutet, dass jeder Amerikaner, der ein europäisches Auto besitzt, auf dem Top-Niveau des Sportwagenmarktes sofort als erfolgreiche Person anerkannt wird. Wir wollen, dass Karma in Zukunft diese nordamerikanische Marke ist.“
An Ehrgeiz mangelt es nicht
An Ehrgeiz scheint es dem chinesischen Wanxiang-Konzern nicht zu mangeln, der von Lu Guanqiu gegründet wurde, einem damals bescheidenen Traktormechaniker aus der Provinz Zhejiang. Der – so die Sage – hat es in vier Jahrzehnten mit umgerechnet 600 Dollar in der Tasche zu einem der mittlerweile größten Automobilzulieferer der Welt gebracht: einem globalen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 25 Milliarden Dollar, mehr als 40 aktiven Fabriken in der Welt, Händlerbetrieben in 26 US-Bundesstaaten (inkl. 22 Karma-Händlern) und mehr als 13.500 Mitarbeitern.
„Die Größe und Vision unseres 2017 verstorbenen Gründers lässt sich auch an ganz konkreten Daten ablesen: In jedem zweiten Auto in den Vereinigten Staaten werden Komponenten unserer Gruppe verwendet und Guanqiu war der erste chinesische Geschäftsmann, der in die US-amerikanische Automotive Hall of Fame aufgenommen wurde, wo er einen Platz neben Männern erhielt, die das Automobil zu dem gemacht haben, was es heute ist, wie Henry Ford, Karl Benz oder Ferdinand Porsche“, unterstreicht McCammon.
Im Jahr 2016 wurde bereits unter Karma Automotive der Revero Gen I auf den Markt gebracht, dem 2020 die Gen 2 mit relevanten Verbesserungen folgte. Aber als der neue CEO eingestellt wurde und mit ihm ein neues Team von Führungskräften, beschloss der neue Vorstand, die Produktion erst einmal zu stoppen und das Projekt „zurück aufs Reißbrett“ zu bringen, um einige Komponenten zu überarbeiten und die allgemeine Qualität zu verbessern, während das Unternehmen umstrukturiert wurde.
„Ich habe Leute mit enormer Erfahrung in diesem Marktsegment geholt, wie zum Beispiel den Projektleiter des Ford GT oder den ehemaligen Designchef von Acura“, erläutert Marques McCammon, „dabei habe ich mir die Tatsache zunutze gemacht, dass ich seit drei Jahrzehnten in dieser Branche tätig bin und bei Unternehmen wie Chrysler, Saleen und Start-Ups wie Intel und Ricardo Engineering gearbeitet habe“. Jetzt ist alles vorbereitet, die Revero-Produktion wird wieder aufgenommen und der Plan, nach Europa zu kommen – der ursprünglich für 2020 geplant war, aber wegen der Covid-Pandemie abgebrochen wurde – kann umgesetzt werden.
Für eine nordamerikanische Marke könnte eine so deutliche Verbindung zu China in dem Land als starke Bedrohung gesehen werden, aber der Karma-CEO glaubt, dass dies ein falsch eingeschätzt wird: „Wir haben den Anteil chinesischer Teile beim Revero stark reduziert, und dieser Trend wird sich bei künftigen Modellen noch verstärken. Andererseits kaufen fast alle globalen Automobilhersteller Teile ein, und viele haben chinesisches Kapital in ihrer Aktionärsstruktur.“
Karma arbeitet in Europa mit etablierten Einzelhandelspartnern zusammen. Die Vertriebsspezialisten Kroymans aus den Niederlanden fungieren dabei als Dreh- und Angelpunkt. Rogier Kroymans, Sohn des Firmengründers und Generaldirektor von Karma Europe: „Ab dem vierten Quartal dieses Jahres wird der Revero bei europäischen Händlern vorgestellt werden, und zwar in den Niederlanden, Spanien, Frankreich, Island und Lettland, wo wir bereits Partnerschaften aufgebaut haben, während in anderen Ländern, wie z. B. Deutschland, derzeit Gespräche geführt werden. Die Idee ist, ein funktionierendes Vertriebsmodell zu schaffen, so dass bei der Markteinführung der kommenden Fahrzeuge, die derzeit in der Pipeline sind, die Maschine gut ‘geölt’ ist.“
Nächstes Jahr soll der Karma Gyesera kommen
Nächstes Jahr soll der Karma Gyesera auf den Markt kommen, eine viersitzige Sportlimousine, die die neue Designsprache für die Zukunft und die 3.0-Plattform vorstellt, die die Technikebene des Revero ablösen wird. Der Gyesera wird wohl als reine Elektroversion und als Variante mit Range-Extender angeboten – je nachdem, wie sich die Kundennachfrage entwickelt. 2026 folgt der Karma Kaveya (siehe Titelbild), nachdem dieser Ende des Jahres seine Premiere beim Las Vegas Concours d’Elegance feiern soll. Er soll das Vorzeigemodell von Karma werden. Technische Höhepunkte sollen mehr als 1000 PS Motorleistung und Flügeltüren sein.
Nach den derzeitigen Plänen soll bis zum Ende des Jahrzehnts alle 12 bis 18 Monate ein neues Auto auf den Markt kommen. Dennoch versichert McCammon, dass „die Produktionskapazität von 15.000 Autos pro Jahr in der Fabrik in Moreno Valley mittelfristig nicht voll ausgelastet sein wird und dass der Break-even-Punkt des Geschäftsplans von Karma bei weniger als einem Drittel dieses Volumens liegt“. Die Fabrik, in die jüngst 150 Millionen Dollar investiert wurden, erstreckt sich über eine überdachte Fläche von 51.000 Quadratmetern, wie der CEO von Karma erläutert: „Sie ist etwas größer als die neue Montagelinie von Ferrari und erinnert mich ein wenig an das Konzept von Magna Steyr in Österreich, in dem Sinne, dass sie für niedrige Produktionsvolumina, aber einen hohen Grad an Roboterisierung konzipiert wurde. Die Lackiererei ist voll automatisiert, die Karosseriewerkstatt ist teilweise automatisiert und in der Fahrwerks- und Endprüfungslinie haben wir mehr direkte menschliche Eingriffe“, schließt er.