Bolt-CEO fordert stärkeren Fokus auf autonomes Fahren in der EU

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Tobias Stahl
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Wenn es nach Bolt-CEO Markus Villig geht, sollte die EU selbstfahrenden Autos und den Technologien dahinter mindestens genauso viel Aufmerksamkeit zukommen lassen wie der Elektromobilität – zumindest, wenn Europa bei einer der Schlüsseltechnnologien des kommenden Jahrzehnts eine Rolle spielen will. Das erklärte der Chef des estnischen Fahrdienst- und Lieferservice-Anbieters vergangene Woche im Gespräch mit Journalisten.

„Es wird so viel über Elektroautos gesprochen, aber wir haben den Anschluss beim autonomen Fahren verloren”, so Villig. Autonomes Fahren wird in den 2030er-Jahren eine „Kerntechnologie“ sein, ist der Bolt-Chef sich sicher. Aktuell gelten US-Firmen wie Waymo und Tesla sowie die chinesischen Unternehmen Baidu, WeRide und Pony.ai als dominierende Akteure in der Branche – europäische Unternehmen haben dem bislang kaum etwas entgegenzusetzen. Im kommenden Jahr will Waymo sein seinen autonomen Fahrdienst auch in London einführen.

Bolt-Chef Villig kritisiert fehlende Investitionen in digitale Unabhängigkeit

Villig hatte bereits in der Vergangenheit argumentiert, dass sein Unternehmen kräftig von Technologien zum autonomen Fahren und der Einführung der notwendigen Gesetzesgrundlagen profitieren dürfte. Der Bolt-Chef erklärte laut Reuters allerdings, dass die Europäische Union die Investition in autonome Fahrzeuge als strategische Technologie mit Auswirkungen auf die Sicherheit anerkennen und sich nicht nur auf Importe verlassen solle.

Die EU gebe Dutzende Milliarden Euro für verschiedene Teile der Elektroauto-Lieferkette aus, tätige aber keine vergleichbaren Investitionen in die Entwicklung selbstfahrender Software, so Villig. Traditions-Autobauer würden demnach zwar Investitionen tätigen, schienen dem Bolt-Chef zufolge aber nicht bereit zu sein, eigene selbstfahrende Systeme zu entwickeln. Die EU ist wiederum bestrebt, ihre digitale Souveränität zu stärken, indem sie ihre Abhängigkeit von US-amerikanischen Big-Tech-Unternehmen in den Bereichen Cloud- und Netzwerkdienste sowie künstliche Intelligenz verringert.

Villig erklärte, die EU müsse auch vermeiden, dass große ausländische Akteure in den Markt drängen und kleinere lokale Wettbewerber verdrängen, wie es in anderen Technologiebereichen geschehen sei. Er schlug vor, dass aufstrebenden EU-Akteuren Subventionen angeboten und möglicherweise exklusive Lizenzen für den Betrieb von Robotaxis in bestimmten Städten oder Regionen für einen bestimmten Zeitraum gewährt werden könnten, damit sie eine gewisse Größe erreichen können.

Waymo und Tesla wollen den Verkehr in US-Städten umkrempeln

Tatsächlich konnte der US-Marktführer Waymo in den vergangenen Jahren ein beeindruckendes Wachstum erzielen: Vor gut acht Jahren führte das Unternehmen seine ersten Tests auf öffentlichen Straßen in Phoenix, Arizona, durch – im Juli dieses Jahres meldete Waymo dann, dass der autonome Fahrdienst inzwischen 100 Millionen Meilen oder knapp 161 Millionen Kilometer auf öffentlichen Straßen zurückgelegt habe. „Das entspricht mehr als 200 Fahrten zum Mond und zurück“, rechnete Waymo in einer Mitteilung auf X vor. Inzwischen bietet Waymo seinen autonomen Fahrdienst in mehreren Großstädten in den USA an, rund 3 Prozent der US-Bevölkerung könnten den Dienst nutzen, zumindest theoretisch.

Der für seine vollmundigen Versprechen bekannte Tesla-Chef Elon Musk erklärte indes noch im Juni dieses Jahres, dass die autonomen Robotaxis des Unternehmens bis Jahresende wahrscheinlich „für die Hälfte der US-Bevölkerung“ zur Verfügung stehen sollen. Musk sprach vor diesem Hintergrund von einer „hyper-exponentiellen“ Expansionsgeschwindigkeit.

Sicherheitsbedenken und Verkehrschaos: Autonome Fahrdienste stehen immer wieder in der Kritik

Waymo verfolgt eine vergleichsweise vorsichtige Expansionsstrategie, bei der das Unternehmen seine Tätigkeiten Schritt für Schritt auf neue Städte ausweitet. Dabei werden die neuen Städte zunächst umfassend kartiert, anschließend wird der autonome Fahrdienst zunächst mit Sicherheitsfahrern an Bord und Waymo-Mitarbeitern als Testpassagiere getestet. Trotz dieser vorsichtigeren Herangehensweise steht der Fahrdienst aber immer wieder in der Kritik, heißt es in einem weiteren Reuters-Bericht.

Im texanischen Austin, wo Waymo seit März autonome Fahrten über die App des Bolt-Konkurrenten Uber anbietet, haben Behörden demnach häufig beobachtet, dass Waymo-Fahrzeuge die Handzeichen von Polizeibeamten ignorieren und sich in gefährliche Situationen begeben. Im Mai sei ein Waymo-Fahrzeug etwa auf eine überschwemmte Straße gefahren, woraufhin der Passagier sich selbst einen Ausweg aus dem Fahrzeug habe suchen müssen. Im vergangenen Jahr versuchte ein Waymo-Fahrzeug während eines Wohltätigkeitslaufs in der Nähe der Innenstadt von Austin wiederholt, einen Polizeibeamten zu umfahren, der eindeutig die Fahrbahn blockierte. Die Polizei habe das Fahrzeug schließlich außer Gefecht gesetzt, indem sie einen seiner Sensoren mit Klebeband umwickelt habe, so William White, der als Polizeibeamter für die Stadt tätig ist. Die Polizei von Austin habe außerdem ein neues System für Strafzettel einführen müssen, um mit Fällen umgehen zu können, in denen Waymo-Fahrzeuge stehen blieben und den Verkehr blockierten, so White weiter.

Quellen: Reuters – EU needs more focus on self-driving to catch up with rivals, says Bolt CEO / Reuters – How Tesla and Waymo’s radically different robotaxi approaches will shape the industry / Waymo – Beitrag auf X.com vom 15.07.2025

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Tobias Stahl

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Tobias Stahl kann sich für alle Formen der Fortbewegung begeistern, aber nachhaltige Mobilität begeistert ihn besonders. Da ist es kein Wunder, dass er schon seit 2019 über E-Autos, erneuerbare Energien und die Verkehrswende berichtet.

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