Der Volkswagen-Konzern startet momentan eine der größten Elektrooffensiven der Automobilindustrie. Ralf Brandstätter, Chief Operating Officer bei Volkswagens Pkw-Sparte, erklärt in einem auf den hauseigenen Unternehmensblog veröffentlichten Interview die Idee von „New Volkswagen“ – und warum gleich nach dem Elektroauto ID.3 schon der neue Golf kommt.
Herr Brandstätter, was heißt „New Volkswagen“? Wofür steht das?
Ralf Brandstätter: Um zu verstehen, wie „New Volkswagen“ entstanden ist, müssen wir einen Schritt zurückgehen, in den Herbst 2015. Die wirtschaftliche Ausgangslage der Marke Volkswagen ist nicht gut: Es fehlt unseren Produkten an Ertragskraft. Und Kernregionen waren seit Jahren im Rückgang. Die Marke muss dringend in Zukunftstechnologien investieren – aber dafür fehlt das Geld. Es ging um die Existenz von Volkswagen. Volkswagen brauchte schnell einen substantiellen Plan, um die Krise zu überstehen und zukunftsfähig zu werden. Mit der damals entwickelten Strategie Transform 2025+ wollen wir „New Volkswagen“ zum Leben erwecken.
Und dann erschüttert auch noch der Diesel-Skandal das Unternehmen …
Genau! Uns allen war klar, das ist nicht nur ein heftiges Beben. Das ist eine Eruption, die uns da erfasst: Nun drohen Strafzahlungen, Milliardenklagen und eine nachhaltige Schädigung unseres wichtigsten Kapitals: des Vertrauens unserer Kunden. Was als fundamentale Krise begann, wurde zugleich zum Katalysator für die Transformation von Volkswagen.
Was waren die wesentlichen Entscheidungen der Krisensitzung im Herbst 2015?
Um die CO2-Ziele ohne die Diesel zu schaffen, ist die Elektrifizierung unserer Fahrzeuge der einzig sinnvolle Weg. Wir wussten, es bringt uns nicht weiter, einfach den Modularen Querbaukasten zu elektrifizieren. Mit ihm wären wir weder hinsichtlich der Kosten noch der Reichweite konkurrenzfähig. Die Idee des MEB, einer reinen Elektroplattform, wurde geboren. Durch den Wegfall des Verbrenner-Antriebsstrangs bekommen wir eine ganz neue Fahrzeug-Architektur: Wir können so bei Golf Außenmaßen im Innenraum Platz wie im Passat anbieten, die Batteriekapazität erhöhen und die Kosten niedrig halten. Der MEB bietet unseren Kunden also einen echten Mehrwert. Um das zu ermöglichen, auch mit den vorhandenen Ressourcen, musste es harte Einschnitte geben. So wurde unter anderem der Phaeton gestoppt – damit die Elektromobilität zum Durchbruch kommen kann.
Sie sprachen von einer wirtschaftlich schwierigen Lage im Herbst 2015. Was haben Sie konkret getan, um die Transformation zu finanzieren?
In der ersten Phase unserer Strategie Transform 2025+ geht es um die radikale Umstrukturierung des Unternehmens. Für mehr Ertragskraft haben wir die SUV-Offensive auf den Weg gebracht. Bis 2025 wird allein die Marke Volkswagen Pkw ihr SUV-Angebot weltweit von derzeit elf auf über 30 Modelle ausweiten. Dann wird jedes zweite Fahrzeug von Volkswagen ein SUV sein.
Auch der Zukunftspakt hat in Deutschland einen Beitrag zur Restrukturierung geleistet. Wir haben die Produktivität verbessert und die Fixkosten erheblich gesenkt. Die geplanten drei Milliarden Euro an Kostensenkungen bis 2020 haben wir schon fast erreicht.
Zudem haben wir den wirtschaftlichen Turn-around in Kernregionen wie Nord- und Südamerika sowie Russland auf den Weg gebracht. Die Kollegen in den Regionen arbeiten mit vollem Engagement daran, diese Ziele zu erreichen. Spätestens 2020 ist es soweit, dass wir den Break-Even erreichen werden.
Und auch organisatorisch hat sich vieles getan: Wir haben die Baureihen-Struktur eingeführt und damit den Unternehmer im Unternehmen etabliert. Wir haben Vorstandsressorts für die wichtigsten Bereiche, wie Digitalisierung und Elektrifizierung, geschaffen sowie für die Region, in der wir die meisten Autos an Kunden ausliefern: für China.
Die sechs Prozent Umsatzrendite 2022 haben wir fest im Blick, drei Jahre früher als ursprünglich geplant. Und wir wollen nachhaltig wirtschaftlicher werden: Die Rendite konnten wir in dieser Zeit von anfangs 1,8 Prozent auf knapp 4 Prozent Ende 2018 steigern.
Volkswagen hat also die schwierigste Phase seiner Geschichte nach der Dieselkrise genutzt, um die Marke stärker, besser und zukunftsfähiger zu machen?
Das will ich hoffen. Mit „New Volkswagen“ erfinden wir uns neu und bleiben doch unserem Markenkern treu. Volkswagen bringt emissionsfreie Mobilität für alle.
Aber eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Volkswagen aus der Dieselkrise gezogen hat, ist, dass wir eine andere Unternehmenskultur benötigen. Wir haben daher einen fundamentalen Kulturwandel angestoßen. Ich bin überzeugt, dass nur, wenn wir im Unternehmen ehrlich und anständig miteinander umgehen, wir als Gesamtunternehmen das Vertrauen unserer Kunden, Händler und Gesellschaft zurückgewinnen werden.
Mit „New Volkswagen“ kommen in den nächsten Monaten zwei komplett neue Fahrzeuge für die Kompaktklasse auf den Markt: der ID.3 und der neue Golf. Warum bieten Sie fast zeitgleich ein voll elektrifiziertes und ein Verbrenner-Fahrzeug?
Das widerspricht sich nicht. Denn noch lange Zeit brauchen wir beides: Moderne Verbrennungsmotoren und den E-Antrieb. Die Präsentation der neuen Golf-Generation ist nach wie vor ein besonderes Ereignis für unsere Mannschaft. Er ist der Bestseller und Benchmark im Kompaktsegment, das Lieblingsauto vieler Menschen weltweit und Testsieger. Und das soll auch so bleiben. Der neue Golf wird die Erfolgsgeschichte weiter fortschreiben.
Der Golf wird ein hochmodernes Aggregate-Portfolio haben und seinen Beitrag zu einer umweltfreundlichen Mobilität leisten. Dazu gehört ein elektrifizierter Ottomotor, ein Mildhybrid, der erstmalig im Golf zum Einsatz kommt. Darüber hinaus wird es zwei Plug-In-Hybrid Varianten geben, mit denen der Golf bis zu 60 Kilometer rein elektrisch fährt. Der ID.3 schafft Reichweiten bis zu 550 Kilometern rein elektrisch. Wir sprechen mit den beiden Autos unterschiedliche Zielgruppen an.
Während der neue Golf also auf der weiterentwickelten MQB-Plattform produziert wird, kommt der ID.3 von der komplett neuentwickelten MEB-Plattform. Mit welchem Ergebnis?
Der ID.3 ist das erste vollelektrische, CO2-neutrale Elektroauto. Der ID.3 wird so viel kosten wie ein vergleichbarer Golf: Los geht es für unter 30.000 Euro. Die Reichweite beträgt zwischen 330 und 550 Kilometer. Damit decken wir die Bedürfnisse unserer Kunden ab. Es ist richtig: Der ID.3 ist das erste E-Auto, das unsere neue MEB-Plattform nutzt. Mit ihr können wir von SUVs über Limousinen bis hin zum Bulli alle Elektroauto-Varianten weltweit auf einer Plattform abbilden.
Der MEB ist damit der Inbegriff der Transformation unseres Produktportfolios. Und er markiert den Startpunkt hin zum Weltmarktführer der E-Mobilität bis 2025.
Der Volkswagen Konzern bietet den MEB inzwischen auch anderen Autoproduzenten zur Nutzung an. Mit welchem Ziel?
Der MEB soll als Standard der E-Mobilität etabliert werden. Auf seiner Basis machen wir die individuelle Mobilität CO2-neutral, sicher, komfortabel und zugänglich für möglichst viele Menschen. Durch eine möglichst umfangreiche Verbreitung des MEB und die damit verbundenen Skaleneffekte können die Kosten der E-Mobilität deutlich gesenkt werden.
Damit soll individuelle Mobilität auch in Zukunft für viele Menschen bezahlbar und nutzbar werden. Ich traue dem MEB zu, dass er zum Industriestandard wird. Mit dem MEB möchte die Marke Volkswagen bis 2025 Weltmarktführer in der E-Mobilität werden. Wir wollen dann eine Million Elektrofahrzeuge jährlich produzieren. Das ist sozusagen der Fixstern unserer Strategie.
Ist der ID.3 nach Käfer und Golf nun die dritte komplette Neuerfindung der Marke?
So könnte man es sagen. Mit dem Käfer haben wir die individuelle Mobilität für jedermann geschaffen. Familien konnten dadurch erstmals im eigenen Auto in den Urlaub – viele nach Italien – fahren. Das war ein ganz neues Gefühl von Freiheit. Mit dem Golf haben wir neue Technologien demokratisiert. Was Kunden sich vorher nur in der Oberklasse leisten konnten, haben wir in den Golf gebracht – etwa ESP und ABS in Serie. Käfer und Golf – beide sind typisch Volkswagen. Sie haben weltweit die Volkswagen DNA geprägt.
Mit dem ID.3 wird es genauso werden. Volkswagen ist auf dem Weg zu emissionsfreier Mobilität für alle – das ist unser Kompass, der unser Handeln bestimmt. Das alles elektrisiert und motiviert uns sehr.
Quelle: VW – Pressemitteilung vom 26.08.2019