State of Health: Ein Schreckgespenst verliert seinen Schrecken

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Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 4 min

Im aktuellen Podcast durfte ich zum dritten Mal mit Michael Dittmar sprechen – einem echten Urgestein der Branche. Seit 40 Jahren ist er im Kfz-Gewerbe aktiv, seit 1991 als selbstständiger Kraftfahrzeugmeister in Bochum. Und was viele nicht wissen: Michael gehört zu denjenigen, die sich früh an das Thema Elektromobilität gewagt haben – schon 2010 begann er sich intensiv damit auseinanderzusetzen, 2013 folgten die ersten regelmäßigen Reparaturen an E-Autos, darunter viele StreetScooter der Deutschen Post. Heute betreibt er mit seinem Team aus 15 Leuten eine Werkstatt, die nicht nur Softwarefehler behebt oder Standardreparaturen erledigt – sondern auch tief in die Hochvolttechnik eintaucht. Seine Erfahrungen und sein Wissen machen ihn zu einem unverzichtbaren Experten, wenn es darum geht, freie Werkstätten für die Zukunft zu rüsten.

Diesmal haben wir uns einem Thema gewidmet, das in der Branche oft mit Skepsis oder sogar Angst betrachtet wird: dem State of Health (SOH), also dem Gesundheitszustand der Batterie im E-Auto. Michael bezeichnet ihn augenzwinkernd als „Schreckgespenst“ – denn die Sorge vieler sei, dass Batterien plötzlich kaputtgehen und horrende Kosten verursachen. „Es gibt irgendwie nur Batterie-Totalschäden in den Köpfen – da ist man schnell bei 20.000 oder 30.000 Euro“, erklärt er. Aber diese Angst ist aus seiner Sicht oft übertrieben. Denn ähnlich wie bei einem Verbrennungsmotor ließe sich auch bei der Batterie anhand verschiedener Werte und Testergebnisse gut einschätzen, wie es um ihren Zustand steht – nur eben mit etwas anderem Werkzeug.

„Wenn man einmal verstanden hat, wie so eine Batterie aufgebaut ist, sind die alle ähnlich. Es ist gar kein Hexenwerk.“ Michael bringt es auf den Punkt: In der Batterie stecken Module, in diesen wiederum Zellen – und wenn eine davon schwächelt, wirkt sich das auf die gesamte Kapazität aus. Genau deshalb sei es so wichtig, den SOH nicht nur als abstrakten Wert zu betrachten, sondern im Zusammenhang mit Nutzung, Ladeverhalten und Zellspannungen zu analysieren.

Seine Werkstatt nutzt dafür verschiedene Diagnosegeräte – unter anderem den Autel-Tester, der bis auf Zellebene alle Spannungen anzeigt. „Da sehe ich auf einen Blick, welche Zelle die höchste und welche die niedrigste Spannung hat. Wenn der Unterschied zu groß ist, ist das ein erstes Warnsignal.“ Und ja, es gebe Hersteller, die gar keine Ersatzteile für ihre Batterien anbieten – was Michael kritisch sieht: „Wenn ein Hersteller nicht an sein Produkt glaubt, dann sage ich dem Kunden: Finger weg.“

Besonders relevant wird der State of Health beim Kauf eines gebrauchten Elektroautos. Immer mehr Anbieter – vom TÜV bis zu spezialisierten Werkstätten – bieten entsprechende Prüfberichte an. Denn die Kunden verlangen nach Transparenz: „Wenn man auf Mobile.de schaut, sind ganz oben nur die Autos gelistet, die einen SOH-Test haben. Ohne verkauft man kaum noch was.“ Gleichzeitig warnt Michael aber auch vor zu großer Gläubigkeit: Jeder Test sei eine Momentaufnahme. Die genaue Bewertung müsse immer im Gesamtkontext stehen – inklusive Ladeverhalten, Kilometerstand, Nutzung und Softwareversion. Sollte man so auch bei etwaigen Vorurteilen gegenüber der E-Mobilität angehen.

Interessant fand ich auch seine Einschätzung zu künftigen Entwicklungen: Bald soll es laut EU-Vorgabe verpflichtend sein, dass das Auto selbst den SOH anzeigt – ähnlich wie beim Smartphone. Das würde nicht nur Vertrauen schaffen, sondern auch rechtliche Klarheit: „Wenn das Auto sagt, die Batterie liegt unter 70 Prozent, dann kann der Hersteller nicht mehr sagen, das stimmt nicht. Das ist dann sein eigener Wert.“

Trotzdem – und das ist die vielleicht wichtigste Botschaft dieses Gesprächs – gibt Michael Entwarnung: Die Zahl der tatsächlich defekten Batterien sei verschwindend gering. „Ich arbeite in einer Werkstatt. Ich lebe davon, dass Dinge kaputtgehen. Und trotzdem sage ich: So oft gehen die gar nicht kaputt.“ Die Panik, die rund um das Thema manchmal verbreitet werde, sei häufig unbegründet – und eher ein Relikt aus der Zeit, als Elektromobilität noch belächelt oder gezielt schlechtgeredet wurde. „Wer mit der Einstellung rangeht, dass sowieso alles kaputtgeht, wird auch genau das erleben. Aber die Realität sieht anders aus.“

Für mich war das Gespräch mit Michael wieder ein echtes Highlight – vor allem, weil es zeigt, wie viel Wissen und Erfahrung in der freien Werkstattwelt steckt und wie wichtig es ist, offen und unaufgeregt über solche Themen zu sprechen. Also: Genug der Vorrede – jetzt rein ins Gespräch.

Gerne kannst du mir Fragen zur E-Mobilität, die dich im Alltag beschäftigen, per Mail zukommen lassen. Die Antwort darauf könnte für andere Hörer des Podcasts ebenfalls von Interesse sein. Wie immer gilt: Über Kritik, Kommentare und Co. freue ich mich natürlich. Also gerne melden, auch für etwaige Themenvorschläge. Und über eine positive Bewertung beim Podcast-Anbieter deiner Wahl freue ich mich natürlich auch sehr! Danke.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.
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Manfred:

Die erzielbare Reichweite im Winter lässt nicht so stark nach, wenn die Batterie durch eine Wärmepumpe die eigentlich jedes halbwegs modernes E-Auto an Bord hat temperiert wird. Die meisten Kilometer gehen durch den Betrieb der Wärmepumpe verloren, was aber auch nicht so extrem viel ist. Ich habe vom letzten Winter Einbußen von 460 km auf knapp 400 km in Erinnerung.

Manfred:

Etwas nervös war ich am Anfang auch. So erinnerte ich mich an PV Produkte die ich bereits vor über dreißig Jahren kaufte und wo der Akku nach gut zwei Jahren kaputt war. Ich habe dann erstmal lange Zeit die Finger von so etwas gelassen. Nun hat es offenbar enorme Fortschritte in der Batterietechnik gegeben. Von den neuen Produkten, egal ob E-Auto oder Heimspeicher mit Photovoltaik bin ich absolut begeistert und jede Skepsis ist gewichen. Die Energiewende wird immer noch von neoliberalen und konservativen Kreisen und deren Pressebrigaden fortwährend und ohne jede Evidenz schlecht geredet.

Manfred:

Das dürfte doch sehr stark vom Produkt abhängen. Dies klang ja im Artikel an.

rabo:

Smart for2 EQ Cabrio, EZ 2018 – Fahrleistung ca. 12 Km/Tag – Laden: ca.1 x/Woche langsam und ausschließlich mit AC über Nacht. Nach 4 Jahren und 16.000 Km nahm die HV Batterie keine Ladung mehr an. Diagnose: 3 Zellen (von 96) schadhaft, Mercedes bot keine Reparatur sondern nur Austausch der (€17K teuren) HV Batterie im Rahmen der 8-jährigen Garantie an. 4 1/2 Monate Werkstattaufenthalt, bis eine neue Batterie aus China da war (zum Glück habe ich noch eine treue Diesel C-Klasse). Garantie der neuen Batterie nur für die Restzeit der Originalbatterie, also bis 2026. Nach nur 400 km mußte die OBL für €4.500 leider ohne Kulanz getauscht werden…..und trotzdem liebe ich meinen elektrischen Smart (!), und ich hoffe, daß Geely/Mercedes mir bald den Smart #2 als Folgewagen anbieten können.

brainDotExe:

Wie gesagt, ich habe mich immer vorher informiert, bevor ich einen Gebrauchtwagen gekauft habe und habe das auch bekannten so empfohlen. Weder mit den „guten“ 20d noch 30d Modellen habe ich diesbezüglich je Probleme gehabt, noch von Problemen bei Bekannten gehört.

Montagsautos gibt es immer, das aber unabhängig von der Antriebstechnik.

Ach un die Laufleistung geht es doch beim Elektroauto bzw. Akku kaum noch.
Da gönne ich mir dann auch lieber NMC statt LFP Zellen, selbst die reichen mehr als aus für 300.000+ km.

Worüber ich mir beim Akku eher Gedanken machen würde, ist die kalendarische Alterung.
Wie sieht das nach 10-20 Jahren aus?

Mario:

Und die „guten“ LFP Akkus halten 5000 Zyklen… Das sind selbst bei 300km realer Reichweite 1,5 Millionen km…
Selbst wenn man ein Montagsmodell mit der Hälfte erwischt ist es egal.
Im übrigen schraube ich seit 25 Jahren an Autos, habe auch schon Zahnriemen deutlich vor der Laufleistungen und der Zeit reißen sehen und Motoren gerichtet. Nur weil du eines der „guten“ Modelle hast, heißt das noch gar nichts, nur die Wahrscheinlichkeit ist geringer. Bei einem Akku kannst du die Wahrscheinlichkeit mittlerweile auslesen.
Btw. Hat BMW richtig schlechte und teure Steuergeräte verbaut, Lagerschalen machen auch Probleme, über die Anbauteile vom Motor kannst selbst genug nachlesen mit 5 min Google.

brainDotExe:

Da gibt es aber Erfahrungen zu genau den speziellen Motoren.
Da informiert man sich vorher welche Motoren anfällig sind und welche nicht.

Für einen „guten“ 20d sind 200.000 km überhaupt kein Problem. Die „guten“ 30d schaffen auch locker 300.000 km.

Mario:

Bei deinem 20d kann dir aber morgen schon beim fahren z.B. die Steuerkette überspringen und du hast einen kapitalen Motorschaden, was übrigens bei BMW nicht unüblich ist bei der Laufleistung .

H. W. Westen:

Interessant wäre gewesen, in welchem Rahmen sich die Kosten für eine Reparatur bewegen, wenn Zellen oder Module ausgetauscht werden müssen.

ebertus:

Vergleichbar? Also mein Verbrenner, Xdrive 20d, ist auch bei fast 200.000 Kilometer Laufleistung in gut 14 Jahren nach rund 10 Minuten vollgetankt und macht damit, wie im Neuzustand, immer noch seine fast 1.000 Kilometer; auch im Winter!

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