Professor Anders Grauers von der schwedischen Chalmers University of Technology ist sich sicher: Die größten technischen Hürden für die Elektrifizierung des Lkw-Verkehrs sind bereits genommen. „Wir warten nicht auf neue Technologien“, erläuterte der Elektromobilitäts-Experte kürzlich im Gespräch mit dem Branchenportal Electrive. Es gebe eigentlich keine technischen Hürden mehr – entscheidend seien nun wirtschaftliche Faktoren, damit die Kosten sinken. Als wohl wichtigsten Faktor zur Kostensenkung nennt Grauers die Steigerung der Produktionsvolumina.
Grauers zufolge verkennen viele Kritiker bei der Elektrifizierung des Güterverkehrs, wie weit die Branche schon gekommen sei: „Vor 20 Jahren war man sich einig: Für schwere Lkw gibt es keine Lösung – entweder technisch unmöglich oder zu teuer. Heute haben wir zwei, vielleicht drei funktionierende Konzepte für den Fernverkehr: Batterie-Lkw mit stationärem Laden, Wasserstoff-Lkw und vielleicht elektrische Straßensysteme. Alle funktionieren. Die Frage ist nur: Welches passt am besten?“
Grauers: Strompreis an Schnellladesäulen müsste sich etwa halbieren
Bei batterieelektrischen Lkw liegt die Herausforderung jedoch nicht bei den Akkukosten, sondern beim Gewicht, gibt Grauers zu bedenken. „Wenn es nur um Kosten ginge, könnten wir heute schon Akkus kaufen, die eine komplette Tagesfahrt abdecken – zu vertretbaren Preisen. Aber das Gewicht ist die Hürde.“ Für viele Lkw sei Gewicht kein Thema, weil sie nur 300 Kilometer am Tag zurücklegen müssen. „Da kauft man einfach eine Batterie für genau diesen Einsatz“, so Grauers. „Viele denken auch, dass man die Batterie möglichst klein halten muss, um Kosten zu sparen – das ist ein Irrtum. Kleinere Akkus halten kürzer. Etwas größere Akkus sind unterm Strich günstiger, weil sie länger halten. Die 20 bis 25 Prozent Reserve kosten kaum extra – wenn das Gewicht passt.“
Eine weitere zentrale Herausforderung für den Erfolg batterieelektrischer Fernverkehrs-Lkw sei das Laden unterwegs und der Einsatz kluger Ladestrategien, die die Produktivität nicht einschränken. Im Fernverkehr müsse rund 40 bis 50 Prozent der Energie täglich an Schnellladern nachgeladen werden. Damit sich das rechne, müsse der Strompreis „etwa halbiert werden“ und an öffentlichen E-Lkw-Ladepunkten auf rund 25 Cent pro Kilowattstunde sinken, rechnet der Experte vor. „Sonst wird Wasserstoff zur günstigeren Alternative“, so Grauers. „Wenn Laden zu teuer bleibt, wird der Wasserstoffweg attraktiver. Ist es billiger – brauchen wir keinen Wasserstoff.“
Ob – oder wann – dieser Preis erreicht wird, hängt Grauers zufolge von der Auslastung der Ladepunkte ab. Wenn Lkw-Ladestationen zu etwa 20 Prozent ausgelastet sind und auch der Wettbewerb zunimmt, erreiche man das Preisziel.
Preisunterschiede zwischen Wasserstoff- und Elektro-Lkw sind derzeit noch gering
Wasserstoff sieht Grauers in Europa langfristig nur als Nischenthema. Seiner Einschätzung zufolge liegen die Kosten für Wasserstoff-Lkw derzeit etwa auf Diesel-Niveau – batterieelektrische Lkw werden diese Kosten jedoch unterbieten, ist sich der Experte sicher. „Wasserstoff passt vielleicht dort, wo selbst Schnellladen nicht ausreicht oder bei besonders schweren Gütern.“ Es werde diese Nischen also geben, E-Lkw werden Grauers Einschätzung nach aber auch im Fernverkehr dominieren.
Dass Hersteller weiterhin auch in Wasserstoff-Lkw investieren, liegt laut Grauers daran, dass die Preisunterschiede zwischen beiden Antriebstechnologien noch gering sind. „Wenn Wasserstoff nur etwas günstiger ist, gewinnt er. Es ist eine Frage der Annahmen. Viele wissen auch gar nicht, wie viele Probleme bei Batterie-Lkw schon gelöst sind. Es gibt Missverständnisse – etwa, dass Megawatt-Lader unbezahlbar wären. Pro Gerät ja, aber pro Kilowattstunde sind sie nicht teurer als andere Schnelllader.“
„Etwas mehr zu zahlen, spart am Ende oft Geld. Es geht um den Blick aufs Ganze.“
Auch die Frage nach der Netzkapazität sieht Grauers nicht als technische Hürde: „Das ist, als würde man sagen: ‚Wir können keine Häuser bauen, weil es keine Straßen gibt.‘ Natürlich baut man Straßen! Es ist Infrastruktur – die wird bezahlt. Das eigentliche Problem ist der Zeitfaktor. Netze brauchen Zeit.“
Oft höre man, dass der Netzauf- und -ausbau Unsummen verschlingen würde – „und dann ist das Thema durch“, so Grauers. „Dabei wird vergessen: Das Transportsystem, das damit versorgt wird, hat einen Jahreswert von zwei bis drei Milliarden Euro. Gleiches bei Batterien: Etwas mehr zu zahlen, spart am Ende oft Geld. Es geht um den Blick aufs Ganze.“
Anders Grauers ist außerordentlicher Professor an der Chalmers University of Technology und Spezialist für Elektrofahrzeuge am Swedish Electromobility Centre. Grauers war zuvor in der Entwicklung von Sicherheitssystemen und als Spezialist für autonome Fahrassistenzsysteme bei Volvo Cars tätig. Heute forscht er an der Chalmers University zu Elektrofahrzeugen und ihrer Ladeinfrastruktur. Die Chalmers University zählt zu den renommiertesten technischen Hochschulen Skandinaviens und legt im Rahmen ihrer Forschung besonderes Augenmerk auf nachhaltige Technologien.
Quelle: Electrive – „Die Technik ist bereit – jetzt geht es um Kosten und Skalierung“ – Anders Grauers über die Zukunft des E-Lkw