Wir fahren in Zukunft rein elektrisch – so zumindest der Plan der Politik. Doch wirft der Hype um die Elektromobilität auch viele Fragen auf. Wie sieht es mit Reichweite, Ladeinfrastruktur und Nachhaltigkeit aus? Wie negativ wirkt sich der Verbau großer Hochvoltakkus auf das Ökosystem aus? Und ist das E-Auto wirklich so viel besser als ein moderner Verbrenner? Fragen über Fragen, denen sich jetzt Professor Peter Pfeffer von der Hochschule München im Interview mit dem stern gestellt hat. Wir haben das Thema aufgegriffen.
Der Sinn und Unsinn von Elektroautos wird stark diskutiert. Für die einen sind sie ökologisch notwendig, für die anderen bringen sie Probleme mit sich. Zunächst stellt sich die Frage, wie umweltfreundlich die Elektromobilität denn wirklich ist. Elektroautos werden nicht selten von den Herstellern als “emissionsfrei” bezeichnet, weil sie im Gegensatz zum Verbrennungsmotor keine direkten Emissionen erzeugen. Allerdings darf man hier nicht vergessen dass COâ‚‚-Emissionen sowie Schadstoffe bei der Stromproduktion emittiert werden und folglich in die Gesamtbilanz mit einberechnet werden müssen. Um alle Antriebskonzepte fair miteinander vergleichen zu können, hat der ADAC etwa den Energieverbrauch von Kraftstoffquelle bis zum Rad, auch Well-to-Wheel (WTW) gennant, berücksichtigt. Bei der Lebenszyklus-Analyse kommen die COâ‚‚-Emissionen, die bei der Produktion des jeweiligen Fahrzeugs anfallen, noch hinzu.
Hier zeige sich laut ADAC, dass das Elektroauto einen COâ‚‚-Rucksack mitschleppe, der deutlich größer sei als der von Autos mit einem Verbrennungsmotor. Schuld daran haben die ressourcenintensiven Batteriezellen. Der ADAC hat ausgerechnet, dass der COâ‚‚-Nachteil von Batterieautos erst ab Fahrleistungen von 50.000 bis 100.000 Kilometern ausgeglichen wird. Erst dann seien E-Autos umweltfreundlicher als moderne Verbrenner. Doch warum werde die Elektromobilität dann von der Automobilindustrie so forciert? Professor und Fahrzeugtechnik-Experte Peter Pfeffer von der Hochschule München hat gegenüber dem Magazin stern erklärt, dass dies in der EU-Gesetzgebung begründet liegt. Hier werden nämlich Emissionsziele von momentan 90 Gramm pro Kilometer CO2 gefordert. 2030 soll dieser Wert auf 60 Gramm fallen. “Diese Ziele kann man nur erreichen, wenn man Elektrofahrzeuge in der Flotte hat. Rein mit Verbrennern ist dies jedenfalls nicht bei den Fahrzeugkonzepten möglich, die die Kunden gerne kaufen – nämlich besonders eher große Fahrzeuge. Deswegen ist die Automobilindustrie gezwungen, den Anteil an Elektrofahrzeugen in der Flotte zu steigern, sonst können sie die Gesetze nicht erfüllen”.
Reichweite von verschiedenen Faktoren abhängig
Soweit, so gut. Doch ein weiterer Kritikpunkt für viele, die über ein neues Auto nachdenken, ist die Reichweite. Und die ist von verschiedenen Faktoren abhängig: “Von der Nutzung elektrischer Verbraucher, der jeweiligen Außentemperatur und vor allem vom individuellen Fahrverhalten”, weiß der ADAC. Bedenklich: Die nach dem aktuellen Messverfahren vom Automobilclub getesteten E-Autos erzielen im Durchschnitt 15 bis 20 Prozent höhere Stromverbräuche und demzufolge geringere Reichweiten als die Hersteller nach WLTP-Zyklus angeben. Außerdem sei in sehr kalten oder warmen Monaten mit Einbußen bei der Reichweite zu rechnen – rund zehn bis 30 Prozent. Trotzdem gut: Immer mehr Elektroautos schaffen Reichweiten von 300 bis 400 Kilometern und Schnellladeleistungen von bis zu 150 kW (und mehr) womit auch längere Strecken immer besser rein elektrisch zurückgelegt werden können.
Auf die Frage, wie schwer es sei, den Verbrennungsmotor abzuschaffen, weiß Pfeffer eine klare Antwort: “
Theoretisch ist die Möglichkeit schon da – zumindest bei den Pkws. Da geht’s auch praktisch, auch wenn es teilweise unpraktisch ist für den Endkunden. Bei den Lkws ist es technisch auch möglich, aber macht ökologisch einfach keinen Sinn. Ein moderner Lkw hat 40 Tonnen Gesamtgewicht, davon sind 15 Tonnen Leergewicht des Fahrzeugs und 25 Tonnen Nutzlast. Wenn man den elektrifizieren würde, dann würde man eine riesengroße Batterie brauchen. Dann hätte der Lkw nur noch 20 Tonnen Nutzlast und 20 Tonnen Eigengewicht. Das wäre ein Ladungsverlust von über 25 Prozent und gleichzeitig würde man auch ein viel, viel schwereres Fahrzeug – auch wenn‘s leer ist – durch die Gegend fahren”.
Betrachtet man sich die Bruttolistenpreise von Elektroautos, so sind sie recht teuer – wäre der Umweltbonus nicht. Denn damit werden E-Autos wiederum recht günstig. Auch in der Gesamtbetrachtung aller Betriebskosten (mit Steuern, Versicherung, Wartung, Energiekosten, Verschleiß) und aufgrund der Förderung fahren Elektroautos oft günstiger als Autos mit konventionellem Verbrennermotor. Fakt ist, dass sich E-Autos laut ADAC durchaus rechnen können. Dies sei aber abhängig vom persönlichem Nutzungsszenario, vor allem bei höheren Jahresfahrleistungen und mit günstigem Ladestrom. Und hier liegt die Krux: Nicht nur dass die Ladeinfrastruktur für Viele noch zu Wünschen übrig lässt, sind zudem die Preise undurchsichtig und nicht selten überteuert.
Wer zuhause an einer Wallbox und etwa auf der Arbeit laden kann, der fährt am günstigsten und auch am besten. Strompreise von 79 Cent pro kWh an öffentlichen Schnellladesäulen sind jedenfalls keine Seltenheit, während es sich zu Hause zumeist zum Haushaltsstrom-Tarif (ca. 34 kWh Cent pro kWh) laden lässt. Marcus Fendt von “The Mobility House” weiß im Interview mit dem stern, warum das so ist: “Das liegt daran, dass es ein freier Markt ist. So hat Ionity zu Beginn des Jahres den Preis für eine Kilowattstunde an einer CCS-Schnellladesäule auf 79 Cent erhöht. Das gilt aber nicht für die Fahrer der Automarken, die an Ionity beteiligt sind: BMW, Ford, Daimler AG, die Volkswagen Group inklusive Porsche sowie Hyundai und Kia. Jene bezahlen einen deutlich geringeren Tarif, der unter 30 Cent liegt. Der Konkurrent EnBW verlangt die Kilowattstunde an Normalladestationen 39 Cent und an Schnellladestationen 49 Cent – und das ohne Grundgebühr.”
Doppelt so viele Ladepunkte nötig
Laut ADAC sei inzwischen ein in Stadt, auf Land und Autobahnen gut ausgebautes Ladenetz aus über 35.000 Normal- und 5.700 Schnellladepunkten entstanden – Tendenz steigend. “Betrachtet man die Verteilung der Ladepunkte, fällt auf, dass im Osten Deutschlands die Dichte der Ladesäulen abnimmt. Nach Schätzungen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (bdew) sind für eine Million E-Autos 70.000 Normalladepunkte und 7.000 Schnellladepunkte nötig”, erklärt Professor Pfeffer weiter. Einer der größten Nachteile von Elektroautos bleiben die langen Ladezeiten, weshalb für viele die Elektromobilität noch nicht praxistauglich erscheint. Selbst ein hochtechnologisierter Porsche Taycan, der mit bis zu 270 kW laden kann, braucht im besten Fall für eine Ladung auf 80 Prozent mehr als eine halbe Stunde. Darüber hinaus nimmt die Ladeleistung ab 80 Prozent (SoC) zum Schutz der Batterie rapide ab. Für viele Interessenten ist dies bereits zu viel, weshalb hier ein Umdenken vonnöten ist.
“Aktuell sind noch verschiedene Stecker bei Ladestationen im Einsatz. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Säulen, die mit Wechselstrom (AC) laden, und solchen, bei denen Gleichstrom (DC) ins Auto fließt. Wenn man gleich mit Gleichstrom (DC) lädt, ist der On-Board Lader des E-Autos überflüssig, weil sich die Batterie und die Ladesäule auf der gleichen Wellenlänge befinden und damit kann schnell Strom in die Akkus gepumpt werden”, weiß Pfeffer. Wussten Sie, dass die Ladesäulendichte bei Städten mit 100.000 bis 500.000 Einwohnern statistisch gesehen am besten ist? So sichert sich Wolfsburg mit 493 Ladepunkten die Spitzenposition, darauf folgen Regensburg mit 282 Ladepunkten und Karlsruhe mit 260 Ladepunkten. Schaut man weiter in den Osten, so dünnt sich das Ladenetz deutlich aus. Hier ist Nachholbedarf nötig.
Da stellt sich auch die Frage, woher der ganze Strom kommen soll. Brechen irgendwann die Netze zusammen? Der ADAC erklärt: “Basierend auf der aktuellen Situation des Strommarktes in Deutschland sind mittelfristig wohl keine größeren Probleme zu erwarten. 10 Millionen Elektroautos würden etwa einen zusätzlichen Strombedarf von 5,6 Prozent, beziehungsweise 30 TWh bedeuten. (…)  2020 wurde aber ein Stromüberschuss von 18 TWh exportiert. Damit hätten rein rechnerisch sechs Millionen Elektroautos betrieben werden können. Zudem dürften stetige Effizienzsteigerungen und Energieeinsparungen bei Beleuchtung, Gebäuden und Industrieanlagen einen Teil des Mehrbedarfs für Elektromobilität kompensieren”. Doch mit dem Atom- und Kohleausstieg werden zukünftig der Ausbau an Wind- und Photovoltaikanlagen sowie zusätzliche Speicherlösungen nötig sein. Denn mit steigender Zahl von Elektrofahrzeugen steigt auch die Gefahr der Netzüberlastung. Aus diesem Grund wurde für Ladestationen zu Hause bis 11 kW Leistung eine Meldepflicht, über 12 kW sogar eine Genehmigungspflicht eingeführt.
Die Batterie als Unsicherheitsfaktor
Hersteller werben zudem mit langen Gewährleistungen und Garantien für Batterien. Acht Jahre und/oder 160.000 Kilometer sollen sie sicher halten. Trotzdem wird im Verlauf eines Batterielebens die Leistungsfähigkeit und deren Speicherkapazität sinken. Dies hängt von der normalen physischen Alterung und auch der Anzahl der Ladungen ab. Die Antriebsbatterie ist das mit Abstand teuerste Bauteil eines Elektroautos. Tritt ein Defekt nach Ablauf der Garantie ein, versprechen die meisten Hersteller, einzelne Zellmodule austauschen zu können. Die Batterie müsste in dem Fall nicht komplett ersetzt werden – was äußerst teuer werden könnte und für die meisten Elektroautos einem wirtschaftlichen Totalschaden gleich käme. “Erst unter 70 Prozent wäre ein Austausch des Akkus überhaupt wirtschaftlich sinnvoll. Die meisten Autofahrer in Deutschland fahren weniger als 15.000 Kilometer pro Jahr. Theoretisch müsste sich diese Gruppe also erst nach 14 Jahren mehr Gedanken über einen neuen Akku machen”, erklärt Professor Pfeffer. Dennoch sollten Fahrzeughersteller zukünftig Reparaturlösungen anbieten, weil nicht verwertbare Batterien entsorgt werden müssen und diese als Sondermüll gelten.
Laut ADAC sind Recyclingverfahren für Lithium-Ionen-Antriebsbatterien bereits heute möglich und verfügbar. Durch Recycling können aus den Antriebsbatterien bis zu 95 Prozent der relevanten Funktionsmaterialien Kobalt, Nickel und Kupfer zurückgewonnen werden. Auch sei die Rückgewinnung von Lithium möglich, aber aufgrund günstiger Rohstoffpreise derzeit noch unwirtschaftlich. Ausgediente Antriebsbatterien können übrigens noch viele Jahre als stationäre Stromspeicher (Second Life) genutzt werden. Doch gibt es eigentlich genügend Rohstoffe für all die Batterien, die nun benötigt werden? Laut Öko-Institut e.V. übersteigen die weltweiten Vorkommen von Lithium, Kobalt, Nickel, Grafit und Platin den Bedarf deutlich. Engpässe könnte es aber geben, wenn die Förderstätten nicht rechtzeitig erschlossen werden. Der ADAC weiß auch: “Die Förderung von Rohstoffen für den Bau von Elektroautos ist jedoch mit Umwelt- und Sozialproblemen verbunden – wie die Förderung vieler Rohstoffe für andere Verwendungszwecke auch.” Dazu zählen etwa einer hoher Energiebedarf, begrenzte Wasservorkommen oder fragwürdige Arbeitsbedingungen in Minen. Auch sollte man wissen, dass das Erdöl für Verbrennungsmotoren verbraucht wird, die Rohstoffe einer Batterie können hingegen am Lebensende recycelt und wiederverwendet werden. Ein wichtiger Punkt, der für Elektroautos spricht.
Abschließend lässt sich ganz klar sagen: Die aktuelle Elektromobilität steckt in vielen Dingen noch in den Kinderschuhen. So war das aber schon immer mit neuer Technik, die sich erst einmal entwicklen und etablieren musste. Und trotzdem zeichnen sich bereits jetzt einige Vorteile ab. Wer viel fährt – vor allem Kurzstrecken – und häufig die Möglichkeit hat, bestenfalls mit Grünstrom nachzuladen, der kommt in den Genuss eines ökologisch sinnvollen Antriebs. Für alle anderen Anwendungsgebiete wie dem Schwerlastverkehr oder häufige Langstrecken empfiehlt sich nach wie vor der konventionelle Verbrenner. Aber auch das könnte sich in Zukunft ändern. Man muss zudem bedenken, dass bei Batterien, Ladeinfrastruktur, Ladedauer et cetera noch einiges passieren wird. Schon jetzt hat die Politik gemeinsam mit der Automobilindustrie Anreize geschaffen, umzusteigen. Stichwort: Umweltbonus. Im Übrigen wurde am 13. Dezember 2021 auch offiziell, dass die Innovationsprämie in bisheriger Form bis Ende 2022 verlängert wird. So gibt es weiterhin bis zu 9.000 Euro für E-Autos und bis zu 6.750 Euro für PHEVs.