Für viele ist ein Trip durch den abwechslungsreichen Westen der USA der absolute Traumurlaub – insbesondere mit der Familie. Bei der Wahl des Mietwagens grübeln immer mehr Urlauber, ob es auch ein Elektroauto sein kann. Wir haben mit einem VW ID.4 den Test gemacht.
Eine Tour durch Kalifornien mit dem Elektroauto
Los Angeles, San Diego, Orange County, Palm Springs, Las Vegas und vielleicht noch ein Abstecher zum Lake Tahoe oder an die Bay Area mit der Metropole San Francisco – da kommen viele bereits bei der Urlaubsplanung ins Schwärmen. Bei einer solchen Tour kommt man um einen Mietwagen nicht herum; und die sind in den USA zumeist deutlich günstiger als in Europa. Immer mehr Firmen bieten hierfür auch Elektroautos an und immer mehr Touristen überlegen, einen solchen Roadtrip mit einem “Steckermobil” zu erleben.
Die Vorteile der Elektromobilität in Kalifornien
Wenn eine Region weltweit dafür bekannt ist, ein Ökostaat zu sein und auf elektrische Fahrzeuge zu setzen, dann ist es der US-Bundesstaat Kalifornien. Für viele mit dem breiten Spektrum aus Meer, Bergen, Menschen und Metropolen eine Urlaubsregion, die man perfekt mit dem Auto erkunden kann. Dabei ist die Infrastruktur mittlerweile so, dass man sich um eine ausreichende Zahl von Ladesäulen keine Gedanken machen muss.
Gerade das Ladenetz von Electrify America ist an Tankstellen, Shopping Malls und den großen Interstates breit und schnell zugleich. Am besten sieht es mit der Zahl der Ladesäulen im Großraum Los Angeles aus. Die Vier-Millionen-Metropole, die kaum als separate Stadt zu erkennen ist, sondern sich als eine Acht-Millionen-Agglomeration weit ins Landesinnere ausgebreitet hat, bietet eine Vielzahl von Ladesäulen. Gerade an großen Supermärkten, Outlets und Shopping Centern gibt es eine Vielzahl von Ladesäulen verschiedenster Anbieter.
Viele stammen von Electrify America und diese kosten an den Hyperchargern in den meisten Fällen 0,48 US-Dollar pro Kilowattstunde Strom. Vor der Abreise muss man sich dabei keine Gedanken um eine Ladekarte machen und kann die Chipkarte des heimischen Elektroautos getrost zu Hause lassen. Auch das Herunterladen spezieller Apps ist für einen Aufenthalt überflüssig. Anders als in Europa lässt sich an allen Ladesäulen ganz einfach per Kreditkarte bezahlen.
Erste Testfahrten und Ladestopps des VW ID.4
Bei der Probe aufs erste Exempel in Huntington Beach gelingt der Ladestopp problemlos. An einem kleinen Einkaufszentrum sind deutlich besser als zumeist in Deutschland vier Ladesäulen ausgeschildert. Zwei bieten 150 kW, die anderen beiden 350 kW – mehr als genug für den VW ID.4, der mit seinem 220 kW / 299 PS starken Allradantrieb gut motorisiert ist. Leider hapert es noch etwas mit der Ladegeschwindigkeit, denn während die europäischen ID-Versionen jüngst auf 170 Kilowatt Ladetempo aufgestockt haben, steht das bei den in Chattanooga produzierten Modellen noch aus.
Die Digitalanzeige auf dem Zentraldisplay zeigt ebenso 126 Kilowatt wie das Anzeigegerät an der Ladesäule. Nach zwei Nächten in Huntington Beach und einem kleinen Abstecher Richtung Süden geht es mit dem einzigen derzeit in den USA gefertigten Elektromodell der Wolfsburger in die wärmere Wüste. Kurz vor Palm Springs gibt es direkt an der Interstate 10 auf dem Parkplatz des Desert Hills Outlet eine ganze Reihe von Lademöglichkeiten. Neben den Tesla Superchargern, die in den USA meistens noch nicht für Fremdmarken geöffnet sind, gibt es weitere Ladestationen am benachbarten Morongo Casino und eben an dem Outlet. Selbst am Freitagnachmittag ist die Ladesituation entspannt und der graue VW ID.4 pumpt sich mit Energie voll, während man sich den Ladestopp mit einem kurzen Shopping-Abstecher verkürzen kann.
Doch die mehr als 180 Geschäfte sind so umfang- und zahlreich, dass man nach einer halben Stunde kurz zum Abstecken des Fahrzeugs muss, um keine Strafgebühren zu riskieren. Besser als die Europäer hat der Amerikaner es verstanden, Ladepunkte auf den Parkplätzen der Einkaufszentren zu errichten. Weil der Akku noch zu mehr als 60 Prozent gefüllt ist, pumpt sich der VW ID.4 mit rund 100, 80 und später nur noch mit 55 Kilowatt voll.
Das Nachladen für 0,42 US-Dollar pro Kilowattstunde hätte man sich getrost sparen können, denn das Hotel in Palm Springs bietet seinen Gästen einen angenehmen Service. Im Übernachtungspreis ist das kostenlose Nachladen an einem der beiden 10-kW-Lader kostenlos. „Es kommen immer mehr mit einem Elektroauto; daher überlegen wir, ob wir zwei weitere Ladepunkte installieren“, erzählt Hotelbetreiberin Rita. Am übernächsten Tag geht es nach Las Vegas, jedoch nicht über die Interstate-Route via San Bernadino und Barstow, sondern vorbei am Joshua Tree National Park, Twenty Nine Palms und über die alte Route 66. Hier wird es dünn mit den Ladepunkten, doch in Goffs und in der Nähe von Needles zeigt das Navigationsgerät ebensolche nebst Belegung an.
Früh morgens geht es los und einmal mehr weiß man in der düsteren Finsternis die exzellenten LED-Scheinwerfer des ID.4 zu schätzen und die komfortablen Sitze mit Massagefunktion sind auf den langen Touren eine Wohltat. Das gilt nur eingeschränkt für den Plastikcharme des Elektro-Crossovers im Innern, denn hier dominiert trotz schicker Ziernähte und des zentralen 12-Zoll-Bildschirms ein Ambiente, dass man allenfalls von lieblosen US-Innenräumen kennt. Die Navigation nebst Bedienung ist exzellent; das einzige, was fehlt, ist das Head-up-Display, das der Fahrer allzu gerne statt der blauen LED-Balken bei Abbiegevorgängen genutzt hätte.
Die Ladestopps entlang der Route
Den Ladestopp an der Historic Route 66 in der Nähe von Goffs ist mehr ein Getränkestopp, denn anders als erwartet, setzen die Höhenzüge von Ostkalifornien und Nevada dem VW ID.4 mit seinem 82-kWh-Akkupaket trotz des flotten Fahrtempos kaum zu. Der Allradler aus Chattanooga hätte es auch ohne Ladestopp bis nach Las Vegas geschafft. Dabei zeigt die kurze Zwischenladung in der Wüste einen häufigen Kritikpunkt an dem landesweiten Ladenetzbetreiber Electrify America – eine Vielzahl der Ladesäulen ist defekt und so verhält es sich auch an der Tankstelle im kalifornischen Niemandsland. Die beiden 350-kW-Lader wollen nicht und so erstarkt das Elektromobil am benachbarten 150-kW-Stecker. Mit zunehmender Uhrzeit wird es wärmer und wärmer – bis in der Nähe von Henderson die 100-Grad-Fahrenheit-Marke geknackt wird und man sich eine Sitzklimatisierung wünscht. Das überdimensionale Panoramadach wurde über die elektrische Jalousie längst verschattet und so bleibt es angenehm kühl im Inneren.
Als am nächsten Tag in Las Vegas nachgeladen werden soll, zeigt sich ein weiteres Problem vieler US-Ladepunkte. In der Woche laden die meisten Amerikaner in der heimischen Garage, doch am Wochenende geht es mit dem Auto zu Einkauf, Abendessen und Entertainment. Folglich bilden sich an den großen Einkaufszentren lange Schlangen vor den Ladestationen – und zwar nicht nur an den Tesla Superchargern. Fast identisch sieht es an den großen Hotels aus, die sich in der Spielermetropole kaum auf Elektroautos eingestellt haben. Am Wochenende sollte man sich daher tagsüber auf Wartezeiten einstellen. Auch, weil viele Elektroautos in Kaufpreis oder der monatlichen Leasingpauschale zwei bis drei Jahre freies Laden für mindestens 30 Minuten pro Session inkludiert haben.
Rückfahrt und abschließendes Urteil zum VW ID.4-Roadtrip
Auf dem Weg zurück Richtung Los Angeles und die Pazifikküste gibt es an der Interstate 15 mehrere Schnellladesäulen. Besonders schnell und zudem günstig lässt es sich in Baker, gleich neben dem größten Thermometer der Welt laden. Bei EV-Go ist es in den Morgenstunden günstiger und bei Bedarf erstarkt das Akkupaket für gerade einmal 0,31 US-Dollar pro Kilowattstunde. Eine gute Stunde später bietet der Walmart in der ehemaligen Eisenbahnermetropole Barstow einen weiteren Schnellladestopp. Hier haken wieder zwei der nur vier Ladesäulen und so zieht sich der VW ID.4 zu 80 Prozent den Akku voll, ehe die Ladegeschwindigkeit auf unter 50 kW absackt und es weiter nach Los Angeles geht. Erst einmal im San Bernadino Valley angekommen, muss man sich um die Ladesituation keinerlei Gedanken machen – die langsamen Säulen laufen mit 50 kW, die meisten mit 350 kW – da kommen selbst Ladeturbos wie der Audi E-tron GT oder ein Porsche Taycan gleich nebenan in Malibu, Santa Monica oder dem Beverly Hills auf ihre Kosten.
Mit dem Elektroauto durch den Westen der USA – das geht problemlos und gerade auch in den abgelegenen Regionen besser als gedacht. Über die generelle Infrastruktur muss man sich nicht sorgen; auch wenn der Druck auf die Ladesäulen zu Spitzenzeiten größer wird. Das lässt sich zumeist nur am Wochenende und an den Einkaufszentren spüren. Das ganze Ladehandling in den USA mit dem kontaktlosen Bezahlen per Kreditkarte ist vorbildlich und ebenso wie beim flüssigen Kraftstoff ist auch der Ladestrom deutlich günstiger als in Europa. Wo lässt es sich schon ohne einen bestehenden Vertrag zwischen 0,31 und 0,48 US-Dollar pro Kilowattstunde laden?
So konnte für den Roadtrip der VW ID.4 AWD als Reisemobil mehr als überzeugen. Er verbrauchte auf 100 Kilometern umgerechnet nicht einmal 18 kWh und erreicht mit einem vollen Akkupaket locker 270 Meilen (ca. 435 km) oder mehr – selbst bei Berg- und Talfahrten, heißen wie kühlen Temperaturen. Was nicht überzeugen kann, ist das automatisierte Fahren, denn bereits nach wenigen Sekunden zwingt einen der Crossover zu leichten Lenkkorrekturen, da das Berühren des Kunstlederlenkrades nicht ausreicht.
Wenn es für den nächsten Roadtrip kein alter US-Klassiker von Rent a Wreck wie ein Cadillac Eldorado oder ein Ford Thunderbird vergangener Tage sein soll, dann gerne einen elektrischen VW ID.4. Der startet in den USA mit dem kleinen 62-kWh-Akkupaket und Hinterradantrieb bei knapp 39.000 US-Dollar. Besser man entscheidet sich für die knapp 300 PS starke Allradversion in der Pro-S-Variante mit der großen Batterie für knapp 53.000 US-Dollar. Da machen die USA keinen Unterschied zu Europa – um das große Akkupaket und den Allradantrieb sollte kein Weg vorbeiführen.