VDA-Präsidentin warnt: „Ein ‚Weiter so‘ ist nicht möglich“

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Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
  —  Lesedauer 4 min

Im Interview mit der Automobilwoche spricht Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), über die derzeitige Krisenlage der deutschen Automobilindustrie und äußert deutliche Kritik an den politischen Rahmenbedingungen in Deutschland und der EU. Müller stellt klar, dass die aktuellen Standortbedingungen „kein ‚Weiter so‘ mehr erlauben“ und dass zehntausende Arbeitsplätze sowie ganze Wertschöpfungsketten in Gefahr seien. Sie beschreibt die Situation als „wirklich extrem“ und fordert ein schnelles Umdenken seitens der Politik.

Müller verweist darauf, dass die Warnungen der Industrie über Jahre hinweg zwar gehört, aber nicht mit den notwendigen Maßnahmen beantwortet worden seien. In Berlin und Brüssel beobachte sie eine „Realitätsverweigerung“. Sie fordert deshalb eine stärkere Priorisierung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch die neue EU-Kommission. Der kürzlich veröffentlichte Bericht von Mario Draghi zur Zukunft der europäischen Automobilindustrie unterstütze in Teilen diese Forderungen, so Müller. Der Bericht zeige auf, dass die EU in den vergangenen Jahren massiv an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt habe, während gleichzeitig die Regulierung zugenommen habe. Sie betont: „Die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft muss für die neue EU-Kommission höchste Priorität haben.“

Die VDA-Präsidentin spricht sich klar für mehr Technologieoffenheit aus, die sie als „ganz entscheidend“ für das Erreichen der Klimaziele bezeichnet. Sie fordert die Politik auf, CO₂-Reduktionsziele zu setzen, aber auch unterstützende Rahmenbedingungen zu schaffen, insbesondere mit Blick auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Zudem kritisiert sie die hohen Energie- und Arbeitskosten, die zunehmende Bürokratie und die umfangreiche Regulierung durch die Europäische Kommission, die Investitionen hemmen und die Wettbewerbsfähigkeit gefährden. „Die deutsche Automobilwirtschaft ist mit ihren Produkten absolut wettbewerbsfähig, der deutsche Standort aber immer weniger“, erklärt Müller.

Produktionsverlagerung ins Ausland sei „bittere Notwendigkeit“

Auf die Frage, ob die Autohersteller nicht genug getan hätten, um die Verbraucher von der Elektromobilität zu überzeugen, antwortet sie entschieden: „Diese Krise ist in der Hauptsache Folge einer über Jahre falsch gelaufenen Wirtschafts- und Innovationspolitik.“ Sie widerspricht damit dem europäischen Industriekommissar Thierry Breton und anderen Politikern, die die Verantwortung vor allem bei den Herstellern sehen. Müller verweist auf die Transformationsstudie des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), die zeige, dass rund 20 Prozent der deutschen industriellen Wertschöpfung akut bedroht seien.

Hinsichtlich der geopolitischen Herausforderungen wie der lahmenden Konjunktur, anhaltender Zinsbelastungen und Krisen wie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine räumt die Präsidentin des VDA ein, dass diese Faktoren die Lage weiter verschärfen. Doch sie macht auch deutlich, dass viele Unternehmen inzwischen gezwungen seien, ihre Investitionen ins Ausland zu verlagern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie sieht darin keine Drohung, sondern eine „bittere Notwendigkeit“.

Müller betont, dass auch innerhalb Europas ein Verlagerungswettbewerb entstehe, da die EU-Staaten nicht an einem Strang ziehen würden. Besonders kritisiert sie die europäischen Ansätze in der Energiepolitik und bei Regulierungen wie der geplanten Batterie-Verordnung, die Unternehmen aus Europa vertreiben würden. Sie spricht sich gegen den europäischen Ansatz des „Mikromanagements“ aus und fordert stattdessen einen Ordnungsrahmen, der Investitionen anregt. Zur Frage eines europäischen Inflation Reduction Act nach dem Vorbild der USA zeigt sich Müller als überzeugte Europäerin, lehnt jedoch die protektionistischen Elemente solcher Maßnahmen ab. Sie lobt die USA dafür, attraktive Investitionsbedingungen zu schaffen und fordert, dass die EU ebenfalls ihre Politik auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit fokussiert.

Weniger Bürokratie mehr Innovationskraft gefordert

In Bezug auf die Handelsbeziehungen mit China und den USA warnt die VDA-Präsidentin davor, dass die EU sich mit übertriebenen Anforderungen an die Lieferketten selbst schaden könnte. Sie kritisiert die Tendenz in der EU-Politik, Regelungen möglichst perfekt und allumfassend zu gestalten, was oft zu einem Stillstand bei Freihandelsabkommen führe. Abschließend fordert Müller eine drastische Entbürokratisierung und Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland, um die Wirtschaft zu entlasten. Sie verweist auf die 450 konkreten Vorschläge zur Bürokratie-Entlastung, die die deutsche Wirtschaft eingereicht hat, von denen jedoch bisher nur 34 vollständig umgesetzt wurden. „Hier braucht es dringend einen Mentalitätswandel,“ betont sie.

Mit Blick auf die Zukunft zeigt sich die VDA-Präsidentin dennoch optimistisch und glaubt, dass die deutsche Automobilindustrie ihre Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit auch in einem schwierigen Jahr wie 2025 beweisen wird. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass keine neuen unerwarteten Schwierigkeiten hinzukommen.

Quelle: Automobilwoche – VDA-Präsidentin Müller: „In Berlin und Brüssel gibt es zu viel Realitätsverweigerung“

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.
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Gewerkschafter:

Preise 10 Prozent runter und Löhne 7 Prozent rauf! Ist das so schwer zu verstehn?

M3:

zu Selige: Genau, stimme voll zu!
Jetzt ist die Regierung schuld und die Blechbieger sind das Opfer. Vielleicht lerne die bald mal wie man Autos baut…bei Berlin anstellen und nicht so hochnäsig sein. Es war schon mal ein „Müller“ am Werk. Matthias hiess der und der ließ 2017 richtig Dampf ab…Beifall von den gekauften Lobbyisten war ja sicher.
Wenn man die derzeitigen VW-Pressemeldungen liest, hilft dieser Clip zu verstehen, warum Autoland D bald passee ist.
https://www.youtube.com/watch?v=wSklSKRkIpk

Robert:

„Die deutsche Automobilwirtschaft ist mit ihren Produkten absolut wettbewerbsfähig“
da hast du recht wenn sie das wären dann gäbe es diese Krise bei VW nicht.

Sledge:

Der VDA hat schon nicht kapiert, wie die Märkte sich entwickeln werden (und jahrelang gegen E-Mobilität und insbesondere Tesla geschossen)

Sehr guter Punkt. Der VDA reiht sich nahtlos ein in das Versagen der Topmanager der Automobilindustrie in Deutschland. Der Einzige der eine andere Meinung dazu hatte und diese Situation verändern wollte, wurde gefeuert, Problem gelöst. (Ironie off)

Robert:

„Die deutsche Automobilwirtschaft ist mit ihren Produkten absolut wettbewerbsfähig“ ja wo den? Ja wenn die deutschen Produkte erstmal den Preis um 10.000 Euro senkt dann wären sie wettbewerbsfähig aber nicht bei den jetzt aufgerufenen Mondpreisen

Gerd:

Als Lobbyistin wird man sicher nicht für Objektivität bezahlt, aber der VDA schafft sich mit dieser Strategie und Frontfrau seit Jahren selbst ab. Der VDA hat schon nicht kapiert, wie die Märkte sich entwickeln werden (und jahrelang gegen E-Mobilität und insbesondere Tesla geschossen), dann die öffentliche Meinung falsch eingeschätzt (halbgare hybrid-IAAs als weder Fisch noch Fleisch waren ein Reinfall) und nun kann man nur noch mit dem Rücken zur Wand verteidigen und gegen die Politik schießen, um wenigstens Aktivität zu zeigen. Obendrein die Strategiekonflikte zwischen VW einerseits und BMW/Mercedes andererseits. Ein „VDA“ müsste da eigentlich für einen Konsenz sorgen.

Andere Denkrichtung: Hat irgendwer in den letzten fünf Jahren eine VDA-Initiative oder -Kommunikation gesehen, die nicht darauf ausgerichtet ist, dass andere etwas tun müssen?

Johannes:

Die vorherrschenden wischi waschi Rahmenbedingungen mit 1000enden Ausnahmen hat sich insbesondere die Autoindustrie selbst herbei lobbiiert.

Yoyo:

Frau Müllwer war früher mal beim RWE. Man kann gerne nachfragen, was man heute von Ihrem Emgagemant dort hält.

Sledge:

Die VDA-Präsidentin spricht sich klar für mehr Technologieoffenheit aus.

Diese Technologieoffenheit wird direkt in den Untergang der deutschen Automobilindustrie führen. Wer es bis heute noch nicht verstanden hat,
dass die Elektromobilität die einzige Option für die Zukunft ist, wird es wohl nie verstehen.

Die deutsche Automobilwirtschaft ist mit ihren Produkten absolut wettbewerbsfähig

Auch in diesem Punkt ist die VDA Präsidentin leider nicht auf dem Stand der Dinge.
Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie sieht man ganz deutlich an den aktuellen Verkaufszahlen in China.
BMW im August 24 minus 40%

Und dann noch der Klassiker, alle sind Schuld an der Misere doch wir waschen unsere Händen in Unschuld

Der VDA wäre mittlerweile gut beraten sich eine kompetentere Person an die Spitze zu berufen.

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