Im Werk Salzgitter beginnt für Volkswagen in diesen Tagen ein Abschnitt, den der Konzern als entscheidend für die eigene Zukunft betrachtet, wie die FAZ berichtet. Während politische Diskussionen in Europa über längere Übergangsfristen für Verbrennungsmotoren neue Unklarheiten schaffen, setzt der Hersteller bewusst einen anderen Akzent. Die ersten Batteriezellen aus eigener Fertigung sollen eine neue Generation elektrischer Kleinwagen versorgen und zugleich ein Signal senden, dass der Konzern den strategischen Kern der Elektromobilität nicht anderen überlassen will. Obwohl die Eröffnung ohne öffentliche Inszenierung erfolgt, gilt sie vielen Beobachtern als Wendepunkt, weil der Konzern erstmals den Schritt vom Autohersteller zum Batterieproduzenten vollzieht.
Dieser Schritt erfolgt in einem Umfeld, das von Zurückhaltung geprägt ist. Die europäischen Bemühungen zum Aufbau einer breit aufgestellten Batteriezellenindustrie sind zuletzt ins Stocken geraten, Projekte wurden zurückgefahren oder ganz gestoppt. Auch die Insolvenz des einst hoch bewerteten schwedischen Hoffnungsträgers Northvolt wirkt nach. Gleichzeitig verlagern internationale Wettbewerber ihre Schwerpunkte. Stellantis etwa hat geplante Fabriken in Deutschland (Kaiserslautern) und Italien aufgegeben und sich stattdessen an einer Großanlage des chinesischen Herstellers CATL beteiligt. Vor diesem Hintergrund erhält Volkswagens Engagement besondere Bedeutung. UBS-Analyst Patrick Hummel beschreibt die Lage mit den Worten, VW sei „in Europa the last man standing“, weil kaum ein anderer Konzern im gleichen Umfang an eigenen Kapazitäten festhalte.
Trotz des Anspruchs und trotz des langen Atems, der für eine industrielle Transformation nötig ist, stößt das Vorhaben intern nicht nur auf Zustimmung. Die Eigentümerfamilien äußern Zweifel am hohen finanziellen Risiko, denn die Batterieeinheit PowerCo verzeichnet bislang deutliche Verluste. Konzernchef Oliver Blume verweist dennoch auf die strategische Notwendigkeit. Er erklärte im Gespräch mit der F.A.S., man dürfe sich bei zentralen Technologien nicht dauerhaft von asiatischen Lieferanten abhängig machen. Dieser Gedanke prägt inzwischen große Teile der Unternehmensstrategie, die auch Investitionen in Lieferketten und Rohstoffe umfasst.
Im Werk selbst vollzieht sich parallel ein sichtbarer Wandel. Noch stehen in manchen Bereichen die Relikte der alten Motorenfertigung, während nebenan zwei neue, mehrere hundert Meter lange Hallen für die Zellproduktion entstanden sind. Die geplante Kapazität von 20 Gigawattstunden reicht für etwa 250.000 Elektroautos pro Jahr. Zwei nahezu identische Fabriken in Spanien und Kanada sind bereits im Bau. Damit will sich Volkswagen zumindest teilweise gegen Risiken einer zunehmend von China dominierten Batterieindustrie absichern. Die Abhängigkeit von Importen gilt als Schwachstelle, und die jüngsten Exportbeschränkungen bei bestimmten Materialien haben gezeigt, wie schnell geopolitische Spannungen wirtschaftliche Abläufe beeinflussen können.
Einst große Pläne, heute vorsichtige Schritte in schwierigen Zeiten
Dass europäische Hersteller lange zögerten, spielt für die heutige Lage ebenfalls eine Rolle. Batterieforscher Maximilian Fichtner spricht von einer fehlenden „Tugend des Langmuts“, die für ein technisch anspruchsvolles und kapitalintensives Geschäft jedoch notwendig sei. Mehrere geplante Kapazitäten wurden in jüngerer Zeit deutlich reduziert, und auch Volkswagen hat seine ursprünglichen Ausbauziele nach unten korrigiert. Der Konzern sucht inzwischen externe Investoren, um die Batteriesparte breiter aufzustellen. Ob sich das Erreichen früherer Dimensionen realisieren lässt, bleibt offen.
Der Produktionsstart bringt nun einen langen Anlauf mit sich. Laut Konzernangaben wird die Hochlaufphase bis zu anderthalb Jahre dauern. Entscheidend ist dabei die sogenannte „factory yield“, also der Anteil fehlerfreier Zellen. Werte von mehr als 90 Prozent gelten als notwendig, um die Wirtschaftlichkeit einer Anlage sicherzustellen. Fichtner hält den Erfolg grundsätzlich für erreichbar und verweist auf den erfahrenen Partner Gotion, an dem Volkswagen beteiligt ist. Zudem wurde der Fertigungsprozess in China vorab im kleinen Maßstab getestet, um technische Risiken zu verringern.
Dennoch bleibt die Herausforderung groß, vor allem mit Blick auf Kosten. Der Energiebedarf der Fabrik ist enorm, und die deutschen Strompreise erschweren die Wettbewerbsfähigkeit. Hinzu kommt die Entscheidung, zunächst auf NMC-Zellchemie zu setzen, obwohl sich in China günstigere LFP-Varianten durchsetzen. UBS-Analyst Hummel geht davon aus, dass die Zellen aus Salzgitter im Vergleich zu chinesischen LFP-Produkten deutlich teurer sein werden. Er betont jedoch, die teilweise Eigenfertigung sei notwendig, auch wenn sie höhere Kosten verursache. Gleichzeitig arbeitet die Konkurrenz bereits an neuen Technologien, etwa lithiumfreien Stromspeichern auf Salzbasis.
Europa steht vor der Frage, ob eine Gegenoffensive gelingt
Ob europäische Hersteller dieser Dynamik langfristig etwas entgegensetzen können, hängt nach Einschätzung vieler Branchenexperten stark von politischer Unterstützung ab. Vertreter der Industrie verweisen auf umfangreiche Förderprogramme in Asien und fordern vergleichbare Anstrengungen. Manchen gilt eine paneuropäische Initiative nach dem historischen Vorbild von Airbus als mögliche Antwort. Sie würde allerdings Zeit, Kapital und eine langfristig koordinierte Industriepolitik erfordern.
Quelle: FAZ – VW setzt Milliarden-Meilenstein für deutsche Autoindustrie







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