Projekt ELCH: Der Weg zum Elektro-Antrieb für Reisebusse

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Daimler Buses

Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 5 min

Das Ziel ist definiert, der Weg dorthin zurzeit noch offen: Ab dem Ende dieses Jahrzehnts will Daimler Buses mit seinen Marken Mercedes-Benz und Setra vollelektrisch angetriebene Reisebusse anbieten. Zur Beschleunigung der Entwicklung hat sich Daimler Buses mit einigen Forschungsinstituten und Praktikern aus der Branche zum Projekt Electrified Coach zusammengeschlossen – kurz ELCH. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert.

Stadtbusse mit vollelektrischem Antrieb wie der Mercedes-Benz eCitaro gehören inzwischen zum gewohnten Straßenbild in vielen deutschen und europäischen Städten. Anders sieht es bei elektrisch angetriebenen Reisebussen für die weitere Fahrten aus. Ihre Entwicklung ist ungleich schwieriger, sind doch für den Einsatz in der Praxis zahlreiche hohe Hürden zu überwinden. Unabdingbar und teils gegensätzlich sind Anforderungen an große Reichweite im Fernverkehr, Flexibilität im Einsatz, Zwischenladungen für Batterien, hohe Zuladung und der Raumbedarf für Fahrgäste und Gepäck. Bisher ist es noch keinem Bushersteller gelungen, einen batterieelektrischen Reisebus zu entwickeln, der praxistaugliche Reichweiten und Verfügbarkeit für ein breites Spektrum der Einsatzbedingungen abdeckt.

Ziel des Projekts Electrified Coach – griffig abgekürzt als ELCH – ist die Entwicklung eines modular aufgebauten Antriebsstrangs einschließlich zweier emissionsfreier und praxisgerechter Demonstrations-Fahrzeuge in den kommenden vier Jahren. Sie sollen im Anschluss unter realen Einsatzbedingungen erprobt werden.

Ganzheitlicher Ansatz: vom Energieverbrauch bis zur Fertigung

Beim Projekt ELCH verfolgen die Partner einen ganzheitlichen Ansatz. Zunächst soll in einer Konzeptphase im Modellversuch ein modular aufgebauter Antriebsbaukasten mit Blick auf Energieverbrauch, Reichweite, Fahrleistung und Batterielebensdauer untersucht werden. Dabei werden Synergien zu Komponenten aus dem Lkw-Bereich von Daimler Truck beachtet.

In die Ergebnisse fließen im zweiten Schritt Faktoren wie die Gesamtkosten, Umweltwirkung und die mögliche Integration in bestehende Betriebskonzepte von Busunternehmen ein. Auf Basis der Konzeptbewertung sollen sodann zwei Prototyp-Antriebsstränge entwickelt und in Demonstrator-Fahrzeuge integriert werden. Damit soll eine Erprobung unter realen Einsatzbedingungen erfolgen.

Die Erkenntnisse aus dem Aufbau der Demonstrationsfahrzeuge bilden die Grundlage für die Planung kostengünstiger Produktions- und Montageprozesse elektrisch angetriebener Reisebusse. Dies ermöglicht in Kombination mit dem modular aufgebauten Produktansatz einen schnellen Produktionsanlauf.

Ziel: praxisgerechte und wirtschaftliche vollelektrisch angetriebene Reisebusse

Die Akzeptanz der Technologie hängt maßgeblich von deren Eignung in der Praxis ab. Sie soll im Vorhaben systematisch erfasst werden und als Referenzmaß dienen für die Auslegung der Antriebsstränge. Der Bauraum der Fahrzeuge soll so weit wie möglich den heutigen Dieselbussen entsprechen. Außer deren Reichweite sind der Erhalt von Fahrgastkapazität inklusive der Zuladung für das Reisegepäck wichtige Voraussetzungen für den Erfolg von E‑Reisebussen. Neben dem Antriebsstrang und der Batterietechnologie messen die Projektpartner den Themen Aerodynamik und Leichtbau eine wesentliche Rolle bei.

Zudem werde die Wirtschaftlichkeit der resultierenden Fahrzeugkonzepte aus Sicht der Betreiber bewertet und in der Konzeptdefinition berücksichtigt. Ziel ist es, kosteneffiziente Konzepte für einzelne Fahrzeuge und ganze Flotten von elektrisch angetriebenen Reisebussen für die verschiedenen Einsatzprofile zu identifizieren. Versuchsfahrten auf realen Kundenzyklen bilden zudem die Grundlage für die Weiterentwicklung der Antriebsstränge hin zur Serienreife.

Projektpartner: Forscher und Praktiker arbeiten Hand in Hand

Koordinator des öffentlich geförderten Projekts ist Daimler Buses. Projektpartner sind das Karlsruher Institut für Technologie KIT (ITIV – Institut für Technik der Informationsverarbeitung); die Universität Mannheim (MISES – Mannheim Institute for Sustainable Energy Studies); die Technische Universität Kaiserslautern (iMAD – Institute for Mechanical and Automotive Design sowie SAM – Lehrstuhl für Strömungsmechanik und Strömungsmaschinen) und der Betreiber Flix SE mit seinen grünen Flix-Fernbussen.

Flix SE bringt in das Projekt seine Kompetenz in der Planung und Steuerung des weltweit größten Fernbusnetzes ein. Dies soll sicherstellen, dass umweltfreundlichere Alternativen auch im Fernbuseinsatz zukünftig zur Verfügung stehen und diese die technischen Anforderungen der Unternehmen erfüllen. So bilden die Einsätze der aktuellen Fahrzeugflotte die Datengrundlage für die Ableitung repräsentativer Fahrzyklen für Fernlinien. Flix will die betrieblichen Eigenschaften der projektierten Lösungen frühzeitig bewerten. Somit kann bereits zur Mitte der Projektlaufzeit eine Aussage zur Machbarkeit der Umstellung auf batterie-elektrische Reisebusse getroffen werden. Des Weiteren ist Flix in die Validierung der Demonstrator-Fahrzeuge unter realen Einsatzbedingungen involviert. Flix hat den Einsatz alternativer Antriebe als wichtigen Teil seiner Strategie in Richtung weiterer Reduktion von CO2 definiert. Dementsprechend hat das Unternehmen großes Interesse an einsatzfähigen Omnibussen unter den Flix-typischen anspruchsvollen Einsatzbedingungen.

Das „Institute for Mechanical and Automotive Design“ (iMAD) und der „Lehrstuhl für Strömungsmechanik und Strömungsmaschinen“ (SAM) der TU Kaiserslautern verfügen jeweils über spezifisches Expertenwissen in den Disziplinen Leichtbau und Aerodynamik. Bei der Entwicklung innovativer Lösungsansätze setzen die Forscher moderne Simulationsmethoden ein und können auf entsprechende Versuchseinrichtungen zurückgreifen. Da beide Themenfelder einen maßgeblichen Einfluss auf den Energieverbrauch haben, kommt ihnen im Rahmen der Elektrifizierung im Reisebus eine besondere Bedeutung zu.

Das „Institut für Technik der Informationsverarbeitung“ (ITIV) des KIT bringt sein Expertenwissen im Umgang mit großen Datenmengen im Rahmen der Analyse von Einsatzbedingungen sowie der Entwicklung einer intelligenten Betriebsstrategie ein. Dabei sollen neben der Minimierung des Energiebedarfs auch Faktoren wie eine optimale Lastverteilung des Antriebsstrangs und der effiziente Einsatz von Rekuperation berücksichtigt werden, wobei Methoden der Künstlichen Intelligenz zum Einsatz kommen.

Das an der Universität Mannheim angesiedelte „Mannheim Institute for Sustainable Energy Studies“ (MISES) wird die Wirtschaftlichkeitsanalyse aus Sicht der Betreiber durchführen und liefert somit einen wichtigen Beitrag für die Konzeptfestlegung. Dies sichert die Marktfähigkeit von Reisebussen mit batterieelektrischem Antriebsstrang bereits in der Entwicklungsphase ab.

Der enge Schulterschluss der beteiligten Projektpartner soll – unterstützt durch die öffentliche Hand – eine ebenso rasche wie praxisgerechte Entwicklung auf dem Weg zum vollelektrisch angetriebenen Reisebus sicherstellen.

Quelle: Daimler Truck – Pressemitteilung vom 21.12.2022

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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Patrick:

WOW! So einfach ist das?!
Sie sollten sich sofort bei Daimler Busses als Chefingenieur bewerben.

Silverbeard:

In Reisebussen ist die Heizung ein viel kleineres Problem als in ÖPNV Bussen. Dort wird durch die häufige Öffnung der Türen ständig die warme gegen kalte Luft ausgetauscht. Das ist im Reisebus nicht so, also muß die Heizenergie und -leistung viel geringer sein. Zusätzlich wäre auch noch ein Wärmerückgewinnungssystem beim Luftaustausch denkbar.

Ein Zusatzheizung, neben der Elektroheizung über die Batterie ist nicht notwendig.

Silverbeard:

Vielleicht sehe ich das jetzt zu einfach, aber beim Reisebus fallen mir keine offensichtlichen Probleme der Elektromobilität ein.

Das Batteriegewicht spielt keine so große Rolle wie beim LKW, weil die ‚Fracht‘, Passagiere und Gepäck, kein optimiertes Gesamtgewicht notwendig machen.

Die Batterie kann, anders als bei ÖPNV Bussen, am Wagenboden installiert werden. In Reisebussen ist eine Treppe in den Passagierbereich üblich, weil darunter noch die Frachtbereiche sind. Ein ebenerdiger Einstieg wird nicht erwartet.

titan:

Sechs einfach bereifte Räder mit sechs Nabenmotoren drin, Batterien dazu und evtl. H2 Range-Extenter auch um die Heizung mitzubedienen, fertig ist der Bus

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