Es ist dem Klimawandel geschuldet, dass hierzulande im Winter die Straßen immer seltener ihre Farbe von Asphalt-Schwarz zu Schnee-Weiß wechseln. Und so können diejenigen aufatmen, denen bei winterlichen Bedingungen immer mindestens ein bisschen mulmig ist – während alle Trauer tragen, die geminderter Bodenhaftung und gepflegtem Heckdrängen durchaus Freudvolles abgewinnen können.
Unabhängig vom eigenen Gefühl ist Fahren bei Glätte auch eine Frage der Technik. Die Antwort darauf hat Rallye-Legende Walter Röhrl schon vor langer Zeit gegeben, als er Autos mit nur zwei angetriebenen Rädern zur „Notlösung“ degradierte. Ein Befund, der auch noch in Zeiten gilt, da immer mehr Sensoren die Bogenfahrt überwachen – und die Elektronik eingreift, sobald etwas aus dem Lenkrad zu laufen droht.
Wohl dem also, der wie beim Nissan Ariya e-4orce auf Kraft und Intelligenz aller vier Räder bauen darf. Und wenn das mit Eis und Schnee in unseren Breiten nicht mehr so hinhaut, muss sich das japanische Elektro-Modell eben in Finnland beweisen. In einem Nest zwischen Tampere und Jyväskylä. Die Temperaturen im Minus, der gefrorene See spiegelglatt im Sinn des Worts. Bestes Geläuf für einen Eis-Tanz der besonderen Art.
Für einen Stromer sind das harte Bedingungen. Die Kälte setzt der 87-kWh-Batterie mächtig zu, die Heizdrähte für Sitz und Scheiben ziehen zusätzlich Energie – und selbstverständlich läuft der Sport-Modus. Sehr viel schlimmer kann’s kaum kommen. Dass der Verbrauch um die 32-kW-Marke mäandert, muss man unter diesen Bedingungen deshalb nicht allzu tragisch nehmen. Allein schon deshalb, weil trotz Spikes nicht alles an Raddrehung auch Vortrieb bedeutet. Hilfreich: An der AC-Wallbox kann der Ariya 22 kW ab, und per Schnelllader lassen sich 300 Kilometer Reichweite in gut einer halben Stunde ziehen.
Mit seinen 225 kW krallt sich der Ariya schön ins Eis. Allerdings sind auch gut 2,2 Tonnen durch die Kurven zu zirkeln, und das möglichst flott und dennoch mit Gefühl – denn jenseits der sauberen Linie lauern Schneewälle, aus denen es auch mit Allrad kein Entrinnen gibt. Allerdings lässt sich mit dem e-4orce-Konzept erfahren, wie souverän man mit zwei getriebenen Achsen unterwegs ist. Vorbeugend eingebremst im „Snow“-Modus – oder eben in Stellung „Sport“, wo man sich die Physik zum Freund macht und erlebt, dass ein drängendes Heck nicht das Ende ist, sondern erst der Anfang. Mit jedem Meter mehr wird daraus ein Spiel mit dem Schwung des Lastwechsels.
Knapp 1000 Mal in der Zeit eines Wimpernschlages berechnet der Ariya e-4orce aus allerlei Fahrdaten die sinnreiche Kraftverteilung zwischen den Achsen und per Bremseingriff zwischen den Rädern. Bis hin zur einseitigen Vollpackung. Intelligenter geht’s kaum – komfortabler ebenfalls nicht. Das einzige, was man hinter dem Steuer spürt, ist das gelungene Ergebnis. Das ausgewogene Fahrwerk hält den Elektro-Nissan dabei ordentlich im Lot, nur die Lenkung dürfte durchaus weniger gedämpft vermelden, dass Volant und Vorderräder in Beziehung stehen.
Zu kurz kommt bei all der Technik zwangsläufig der extreme Drift. Schließlich ist die Elektronik vorrangig auf Stabilisierung programmiert und nicht auf Spaß. Was im Regelfall auch gut ist. Freunde der Hochachs-Drehung kommen daher nicht umhin, im technischen Untermenü die Helferchen zeitweise zu beurlauben. Problem allzu großer Gier-Gier: Die Kraft von 600 Nm ist auf glattem Geläuf derart überfallartig präsent, dass man sich ein wenig nach dem deutlich behäbigeren Ansprechverhalten eines mechanischen Systems aus Lamellen oder Schneckenrädern sehnt. Aber in Sachen Sicherheit zählt nun mal Zeit – und für Rettung in letzter Zehntausendstelsekunde gibt man die dauerhafte Seitwärtsfahrt am Anschlag nur allzu gerne dran.
Als die Dämmerung hereinbricht, haben sich diverse Spikes für die Erkenntnis aufgerieben, dass mit ein bisschen Schwung vieles besser fährt. Und dass ein Ariya sich auch neben der Spur seinen Weg bahnt. Nicht so kompromisslos wie Patrol oder Pathfinder – aber so, dass einem viel Ungemach unter die bis zu 20 Zoll großen Räder kommen darf.
Man hat dabei ein bisschen vergessen, dass da schon ein ordentliches Trumm zu bewegen ist, 4,59 Meter lang, ohne Spiegel 1,85 breit, 1,65 hoch. Kollateralnutzen dieser Abmessungen: Vorne thront man erhaben wie der Tenno. Umgeben von gestepptem Leder, feinem Zierrat – und bestens gefeit gegen Wind- und Fahrgeräusche. Auch in zweiter Reihe gibt es noch auskömmlich Raum und bequemen Zugang. Freunde der Fracht sind ebenfalls gut bedient: Das Gepäckabteil steckt 468 Liter weg, ohne Hintersassen lassen sich 1,35 Kubikmeter verladen.
Dass sich der Ariya e-4orce in 5,7 Sekunden auf Tempo 100 bringen lässt, ist im verschneiten Finnland von eher untergeordneter Bedeutung. Wichtiger schon, dass man behütet von diversen Assistenten dahingleitet. Abseits des Sees hält er Tempo und Spur, sieht Verkehrszeichen, späht in Querverkehr und tote Winkel und bremst im Notfall. Auf Wunsch – und gegen Aufpreis – parkt er obendrein ein oder übernimmt im Stau.
Das alles hat selbstverständlich seinen Preis. Mindestens 57.490 Euro ruft Nissan für den Ariya e-4orce auf. Und nach oben ist Luft. Billiger rollt es sich selbstverständlich ohne Allrad. Aber Eis und Schnee sind dann allenfalls halb so schön.