Kia EV6 GT: Wie Stinger – nur mit Strom

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Wolfgang Plank
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So lange ist es noch gar nicht her, da war in den Köpfen was mit Tigernase, billig und sieben Jahren Garantie. Doch diese Zeit ist perdu. Ob Design, Sportlichkeit oder Technologie – überall fährt Kia ganz vorne mit. Auch und gerade beim E-Auto. Der EV6 ist nicht ohne Grund „Car of the Year“ 2022. Nun setzen die Koreaner auch da noch einen drauf. Einen, der nicht bloß im Kopf überzeugt, sondern vor allem im Bauch. So etwas wie der Stinger – nur eben mit Strom: der EV6 GT.

Die Spannung haben sie schon mit dem Basismodell auf die Spitze getrieben. Während die E-Autos dieser Welt – auch die Hauptkonkurrenten ID. und Co. – noch mit 400-Volt-Technik unterwegs sind, gönnen sich die Koreaner Faktor 2. Das ist im Markt der Masse schon eine Ansage. Über 800 Volt verfügen sonst nur Porsche Taycan und Audi RS e-tron GT.

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Die Technik ist aufwändiger, aber längst wollen sie bei Kia mit ihren Autos ins Herz treffen. Und wo, wenn nicht bei Reichweite und Ladezeit gelänge das derzeit am besten? Wer, sagt der Verstand, muss sich noch groß um Radien sorgen, wenn er an einer 350-kW-Säule in nicht mal fünf Minuten Strom für 100 Kilometer in die Zellen pressen kann? Selbst notorischen Schwarzmalern gehen da langsam die Argumente aus.

Auch denen, die elektrischen Vortrieb für langweilig halten. Wenn die beiden Motoren – 160 kW vorne, 270 kW hinten – ihre geballte Wucht und 740 Nm Drehmoment freisetzen, schiebt der EV6 GT trotz 2,3 Tonnen in 3,5 Sekunden auf Tempo 100 und rauf bis 260. Das ist fast identisch mit dem Taycan Turbo – nur dass der knapp das Zweieinhalbfache kostet. Apropos Vergleich: Während die Schwaben ein Zwei-Gang-Getriebe an der Hinterachse verbauen, setzen die Koreaner in Sachen Übersetzung auf einen zweiten Inverter. Kleiner Happen für technische Feinschmecker: Der EV6 verfügt über die weltweit erste in Serie gefertigte Achse, bei der Radlager und Antriebswelle eine Einheit bilden.

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Beruhigend in jedem Fall: Das elektronische Sperrdifferenzial leitet die Kraft automatisch an die Räder mit dem stärksten Grip. Und: Hinter den 21-Zöllern greifen neongelbe Bremszangen um belüftete Scheiben im Format einer Familienpizza. Irgendwie muss man ja auch mal wieder runterkommen…

Die Probefahrt findet leider nur auf dem rechten Sitz statt. Kleiner Trost: Am Volant dreht ein Könner. Das zeigt sich spätestens an einer Autobahnabfahrt mit spätem Scheitelpunkt. Nahezu neutral schiebt der GT ganz sanft und jederzeit kontrolliert Richtung Tangente. Da hat die Truppe um Albert Biermann einen richtig guten Job gemacht. Der scheidende Entwicklungs-Vorstand sieht die Basis dafür bei der hausinternen Software. Drehmoment-Steuerung und Fahrdynamik-Regelung seien alles andere als trivial. Das dürfe man nicht nach außen vergeben. „Das ist unser Trumpf.“

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Bedeckt wird die feine Technik von schick bogigem Blech. Mit schwungvoller Haube, dicken Backen und einem Heck mit markanter Abrisskante. Biermanns Philosophie: „Unsere Autos sehen nicht aus wie ein Stück Seife.“ Dies sei ein Luxus, den sich die Marke ganz bewusst gönne. „Wir sind nicht Aerodynamik-Weltmeister – aber mit bester Effizienz und schnellem Laden verdammt gut.“

Das digitale Cockpit vor den Schalensitzen beherrschen zwei 12-Zoll-Bildschirme, die zu einer Art Cinemascope-Display zu verschmelzen scheinen. Ein nicht ganz billiger Trick – aber ein schöner eben auch. Lobenswert: Wichtige Funktionen benötigen kein lästiges Gefummel in Untermenüs. Die identische Tastenreihe lässt sich dabei durch Umschalten fürs Navi ebenso nutzen wie für Heizung und Klima.

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An Laderaum herrscht kein Mangel. Bei voller Bestuhlung stehen im GT bis zu 480 Liter zur Verfügung, mit umgeklappten Rücksitzen 1,26 Kubikmeter. Zusätzlichen Platz – etwa für das Ladekabel – bietet ein 20-Liter-Fach unter der Fronthaube. Nicht mal mehr lenken und bremsen müsste man, weil Kias Jüngster auf Wunsch rundum Obacht gibt, automatisch in der Spur bleibt, das richtige Tempo hält, gebührend Abstand wahrt und – wenn sonst nichts mehr hilft – den Anker wirft.

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Doch wie immer man unterwegs ist – irgendwann ist der Saft im 77,4-kW-Akku alle. Spätestens nach offiziellen 424 Kilometern. Macht aber nix. In gerade mal 18 Minuten steigt der Pegel von 10 auf 80 Prozent – vorausgesetzt natürlich, die passende Säule steht parat. Allerdings kann der EV6 GT auch geben – und zwar bis zu 3,6 kW. Dazu verwandelt man den Ladeanschluss per Adapter in eine Steckdose, an die sich Wohnanhänger, E-Bike oder sogar andere E-Autos anschließen lassen. Bis zur Selbstaufgabe allerdings geht die Stromspende nicht. Sie endet, sobald die eigene Akkuladung unter 20 Prozent sinkt.

Für den EV6 GT ruft Kia knappe 66.000 Euro auf. Das ist zwar kein Schnäppchen, allerdings gibt es jede Menge Auto fürs Geld. Bestellen lässt sich der Starkstromer im zweiten Halbjahr, die ersten Auslieferungen in Europa sind für Ende des Jahres geplant. Wenn es denn der Krieg in der Ukraine zulässt.

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Wolfgang Plank ist freier Journalist und hat ein Faible für Autos, Politik und Motorsport. Tauscht deshalb den Platz am Schreibtisch gerne mal mit dem Schalensitz im Rallyeauto.

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