Fachkräfte für die Energiewende händeringend gesucht

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Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 4 min

In der kriselnden deutschen Automobilindustrie droht der Wegfall Zehntausender Arbeitsplätze: Von 130.000 Jobs weniger bis 2030 im Vergleich zu 2019 spricht die Deutsche Bank, gar 190.000 Stellen weniger bis 2035 hat der Verband der Automobilindustrie vom Forschungsinstitut Prognos errechnen lassen. Um diese Zahlen einzuordnen: In der deutschen Autoindustrie waren Ende 2023 entlang der gesamten Wertschöpfungskette inklusive Zulieferer insgesamt 910.000 Menschen beschäftigt.

Der Wegfall jedes fünften Arbeitsplatzes in Deutschlands Vorzeigeindustrie klingt zunächst schlimm, ohne Frage. Nüchtern betrachtet und etwas überspitzt formuliert könnte einem das aber auch ziemlich egal sein. Denn woanders werden – in sogar deutlich größerem Umfang – händeringend Mitarbeiter in zukunftsfähigen Bereichen gesucht. Denn mehr als eine halbe Million Arbeitskräfte – 550.000 um genau zu sein – werden bis 2030 in den Branchen Photovoltaik, Windkraft und Wasserstoff benötigt, wie ebenfalls Prognos im Auftrag der Deutschen Industrie- und Handelskammer ausgerechnet hat.

Die Energiewende kann nur mit einem konsequenten Ausbau von erneuerbaren Energien gelingen. Die Prognos-Studie (hier als PDF zu finden) verfolgt erstens das Ziel, den zukünftigen Fachkräftebedarf und die damit verbundenen Engpässe entlang der Wertschöpfungsketten in den Branchen Photovoltaik, Windkraft und Wasserstoff zu schätzen. Zweitens wird die praktische Umsetzung in Unternehmen beleuchtet. Der Fachkräftemangel und dessen wirtschaftliche Folgen sowie Strategien zur Fachkräftesicherung stehen dabei im Vordergrund.

Die Ergebnisse dieser Studie liefern Entscheiderinnen und Entscheidern in Politik und Wirtschaft Hinweise, wie die Transformation im Bereich der erneuerbaren Energien personell bewältigt und die Fachkräftesicherung entlang der Wertschöpfungsketten erfolgreich umgesetzt werden kann. Die Analyse der Fachkräftebedarfe zeigt, dass bis 2030 zu den gegenwärtig 200.000 Beschäftigten zusätzlich 300.000 Fachkräfte in den Branchen Photovoltaik und Windenergie benötigt werden. Für die Wasserstoffindustrie sei davon auszugehen, dass etwa 50.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt werden.

Insgesamt steigt damit die Zahl der absehbar notwendigen Beschäftigten in den drei Branchen bis 2030 auf rund 550.000 Personen – und damit um 350.000 mehr als aktuell. Selbst die 190.000 Fachkräfte der Automobilindustrie würden nicht ausreichen, um diesen Bedarf zu decken.

Besonders gesucht in den drei Zukunftsbranchen der Energiewende sind Personen auf Fachkräfteniveau (mit einer Berufsausbildung) sowie Spezialistinnen und Spezialisten (Personen mit einer beruflichen Fortbildung oder Bachelor-Abschluss). Der Ausblick für das Jahr 2035 zeigt, dass sich der Fachkräftemangel aufgrund der demografischen Entwicklung und der Altersstruktur in den relevanten Berufen zusätzlich verschärfen könnte.

Fachkräftemangel bremst Ausbau der erneuerbaren Energien

Die Studie zeigt, dass der Fachkräftemangel in der Praxis angekommen ist: Die Gewinnung von Fachkräften wird für untersuchten Betriebe zunehmend schwieriger, vakante Stellen bleiben länger offen. Außerdem beeinträchtigt der Fachkräftemangel die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Betriebe.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist von vielen Teilschritten abhängig. Daher sei es wichtig, die gesamte Wertschöpfungskette zu betrachten, so Prognos: Nicht nur ein Fachkräftemangel im Kerngeschäft der Energiebranche könne zu Verzögerungen führen, sondern auch Engpässe in Bereichen wie Logistik und Transport können dazu beitragen, dass der Ausbau ausgebremst und die Transformation der Wirtschaft insgesamt gefährdet wird.

Qualifikation als Schlüsselfaktor gegen den Fachkräftemangel

Die Betriebe in den Branchen Photovoltaik- und Windenergie sowie Wasserstoff nutzen nach eigenen Angaben eine Reihe von Maßnahmen, um den unmittelbaren Fachkräftemangel abzufedern:

  • Ausbildung: Attraktive Ausbildungen sind ein zentraler Baustein, um dem Rückgang des Arbeitsangebots entgegenzuwirken. Die aktuellen Bilanzen der abgeschlossenen Ausbildungsverträge zeigen ein ambivalentes Bild für die untersuchten Wertschöpfungsketten. Einige Ausbildungsberufe liegen im Trend (z. B. in den Bereichen Fachinformatik, Anlagenmechanik oder Baugerätführung), andere verlieren an Attraktivität (z. B. kaufmännische Angestellte für Spedition und Logistikdienstleistung, Hochbaufacharbeit sowie Berufskraftfahrende).
  • Weiterbildung: Fortbildungsangebote sind ein weiteres Instrument, um bestehende Fachkräfte für relevante Tätigkeiten zu qualifizieren. Die hohe Geschwindigkeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien erfordert hier schnelle Lösungen.
  • Ausländische Fachkräfte: Ein weiterer Hebel ist die Rekrutierung und Integration internationaler Fachkräfte. Großteil der Betriebe bewertet diese Maßnahme als relevant, die dafür notwendigen Anerkennungsverfahren aber als zu langwierig und aufwandsintensiv.
  • Neue Zielgruppen: Neben internationalen Fachkräften bieten Zielgruppen wie Quereinsteigende und ältere Beschäftigte ebenfalls unausgeschöpfte Potenziale.

Mixed-Methods-Ansatz für ganzheitlichen Blick

Grundlage für diese Studie war ein Mixed-Methods-Ansatz. Dieser kombiniert eine Datenauswertung bestehender Arbeitsmarktzahlen und einer Prognose des zukünftigen Fachkräfteangebots mit einer tiefgreifenden Literaturanalyse sowie 25 Interviews mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Photovoltaik, Windenergie und Wasserstoff. Um die Entwicklung des Arbeitsangebots bis 2035 abzubilden, wurde das Prognos-eigene Fachkräftemodell verwendet. Die Erkenntnisse dieser Analysen hat das Forschungsteam für die Studie abschließend mit weiteren Fachexpertinnen und -experten aus wissenschaftlichen Instituten, Branchenverbänden sowie Unternehmen gespiegelt.

Quelle: Prognos – Pressemitteilung vom 10.12.2024

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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pionierska:

Es ist in der Studie von Produktion, Installation und Wartung die Rede. Die Produktion hat dabei nur einen geringen Anteil (siehe Abbildung 7). Sie ist aber der einzige für die Wertschöpfung relevante Anteil und dürfte auch noch durch asiatische Konkurrenz schrumpfen oder gänzlich verschwinden. Und ohne Wertschöpfung wird auch der Rest Probleme bekommen, denn die Mittel dafür müssen ja irgendwo her kommen. Vorübergehend wird das die Gelddruckerei erledigen, bis zum Kollaps des Fiat-Geldes.

Johannes:

Dass über 100.000 Arbeitsplätze in der PV und später der Windkraftindustrie wegfielen konnte man seinerzeit höchstens in Fachmedien lesen. Wenns um die Autoindustrie geht ist das dann der große Skandal.
Machen wir uns nichts vor, wenn die Autoindustrie im eigenen Land schwächer wird, sinkt auch der Lobbyismus gegen andere Mobilitätsformen. Von daher kann ich der Vorstellung einiges abgewinnen.

Daniel W.:

—–
In der … deutschen Automobilindustrie … 130.000 Jobs weniger bis 2030 im Vergleich zu 2019 spricht die Deutsche Bank, …

… woanders werden … händeringend Mitarbeiter … gesucht. … 550.000 … bis 2030 in den Branchen Photovoltaik, Windkraft und Wasserstoff …
—–

Mitarbeiter der Autoindustrie müssen sich umschulen und nicht am alten Arbeitsplatz festklammern, um auch in Zukunft ein gutes Einkommen zu haben.

Die deutsche Autoindustrie kann gar nicht anders als die Autoproduktion in Billiglohnländer zu verlagern, um konkurrenz- und zukunftsfähig zu bleiben.

Also werden sich Politik und die Mitarbeiter am Auto-Fliessband wohl mit einem Ende der deutschen Autoindustrie anfreuden und weiterbilden müssen.

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