Seit Sonntag, 7. Juli 2024, sind bei Neuwagen, die in der EU zugelassen werden, eine Vielzahl von Assistenzsystemen vorgeschrieben. Die entsprechende EU-Verordnung liest sich auf den ersten Blick wie jede andere aus Brüssel, von denen es mittlerweile Tausende gibt. Doch die „Verordnung Nr. 2019/2144 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge im Hinblick auf ihre allgemeine Sicherheit und den Schutz der Fahrzeuginsassen und von ungeschützten Verkehrsteilnehmern“ hat es in sich. Denn sie definiert, welche Assistenzsysteme nun in jedem neu zugelassenen Pkw und leichten Nutzfahrzeug vorhanden sein müssen.
Dass man ohne elektrische Helfer keine Höchstwertung beim prestigeträchtigen NCAP-Test erreichen kann, ist die eine Sache, aber dass viele Autos, die diese Anforderung nicht mehr erfüllen, ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zugelassen werden dürfen, eine gänzlich andere. Der Porsche Macan hat sich zum Goldesel für den Zuffenhausener Autobauer gemausert, jetzt ist er mit Verbrennungsmotor in Europa nicht mehr als Neuwagen bestellbar. Will man auf der Porsche-Webseite einen Macan konfigurieren, erscheint folgender Hinweis: „Das gewählte Modell ist nicht mehr als frei konfigurierbarer Neuwagen bestellbar. Im Porsche Finder bieten wir Ihnen allerdings eine Vielzahl von Bestandsfahrzeugen an.“
Wer den kleinen Bruder des Cayenne will, muss zur batterieelektrischen Version greifen. Mit dem Cayman und dem Boxster trifft der Bannstrahl aus Brüssel zwei weitere Porsches. Aus dem VW-Konzern sind zum Beispiel noch der beliebte Großraumvan VW T6.1 und der kleine VW Up betroffen. Die Besitzer von Wohnmobilen können aufatmen, wenn auch nur kurz: Für Vehikel wie den T6.1 California gilt eine Schonfrist bis zum 1. September dieses Jahres. Das führt zu abstrusen Angeboten. Besonders pfiffige Firmen bieten eine Schnellzulassung noch vor dem 7. Juli an – gegen ein entsprechendes Entgelt, versteht sich. Der Countdown läuft. Der Run auf die beliebten Modelle ist groß, und meistens ist die Produktionsmenge schon ausverkauft.
Das Todesurteil für diese konzeptionell älteren Autos ist die Verschärfung der Cybersicherheitsmaßnahmen. Die Fahrzeuge müssen gegen Hackerangriffe aus dem Internet gewappnet sein. Im Zeitalter kabelloser Updates eine nachvollziehbare Maßnahme, die bei Modellen, die auf älteren Architekturen basieren, jedoch mit großem Aufwand und Investitionen in Millionenhöhe verbunden ist. “Wir müssten da sonst noch einmal eine komplett neue Elektronik-Architektur integrieren. Das wäre schlichtweg zu teuer“, bringt es VW-Markenchef Thomas Schäfer laut Tagesschau auf den Punkt.
Die Richtlinie WP.29 der UNECE (United Nations Economic Commission for Europe) gilt seit 6. Juli 2022 für alle neuen Fahrzeugtypen und ab dem 7. Juli 2024 für alle Neufahrzeuge. Unter anderem müssen die Hersteller nachweisen, dass sie bereits bei der Entwicklung der Autos ausreichende Maßnahmen (ein sogenanntes zertifiziertes Managementsystem) gegen Hackerattacken ergriffen haben. Dies schließt übrigens auch die Zulieferer mit ein. Auch drahtlose Updates (OTAs) sind betroffen. Die Autobauer müssen anhand spezieller Identifikationsnummern identifizieren können, welche Software-Version auf der Hardware des Wagens aufgespielt ist und sicherstellen, dass die Updates sicher vorgenommen werden können.
Zudem gibt es eine Reihe von Assistenzsystemen, die ab dem 7. Juli 2024 bei Neuwagen zwingend vorgeschrieben sind:
Intelligent Speed Assistance (ISA) / Geschwindigkeitswarner
Sobald man zu schnell fährt, meldet sich das Auto und weist den Piloten mit einer akustischen oder optischen Warnung (im Kombidisplay) auf diesen Umstand hin. Das Auto bremst nicht ab oder reduziert die Leistung. Der Fahrer ist nach wie vor verantwortlich, wie weit er das Gaspedal durchdrückt. Allerdings sind für ein reibungsloses Funktionieren dieser durchaus sinnvollen Einrichtung aktuelles Kartenmaterial und eine möglichst fehlerfreie Verkehrsschildererkennung notwendig. Gerade letztere funktioniert aber leider nicht immer einwandfrei.
Unfalldatenspeicher
„Na vielen Dank auch“, wird sich jetzt der eine oder andere denken. „Eine Blackbox, die ständig meine Daten speichert, möchte ich nicht im Auto haben.“ Allerdings holt man sich bei diesem Aufzeichnungsgerät keinen Big Brother in den Wagen, da die Daten nach wenigen Sekunden wieder überschrieben werden. Lediglich im Fall eines Unfalls verbleiben die Aufzeichnungen im Speicher. Deswegen wird dieses System auch als Ereignisbezogene Datenaufzeichnung (Black-Box) bezeichnet. Folgende Daten werden unter anderem gesammelt: Position, Bremsen, Geschwindigkeit, Neigung und Aufzeichnungen aus dem eCall-System.
Notbremsassistent
Wie der Name schon verdeutlicht, bremst das System selbstständig, sobald eine Kollision droht. Die dafür notwendige Hardware ist in vielen Autos bereits verbaut und kommt bei adaptiven Tempomaten zum Einsatz, bei denen das Fahrzeug je nach Verkehrssituation automatisch bremst und beschleunigt.
Notfall-Spurhalteassistent
Ähnlich wie beim zuvor genannten Notbremsassistenten greift der Spurhalte-Assistent aktiv mit einer automatischen Lenkbewegung (nicht nur mit Warnungen per vibrierendem Lenkrad) ein, sobald das Vehikel Gefahr läuft, die Fahrspur zu verlassen. Auch dieses System ist schon bei vielen vor allem höherpreisigen Neuwagen verbaut. Allerdings ist das kein Freifahrtschein, da die Kameras und Sensoren nicht immer funktionieren, etwa bei schlechten Straßenmarkierungen. Das meldet dann das System per Display. Bei jedem Anlassen des Autos ist das System wieder scharf.
Müdigkeits- und Aufmerksamkeitswarner
Der Mensch ist keine Maschine. Das ist nichts Neues. Je länger man Auto fährt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man ermattet. Das System überwacht zum Beispiel die Lenkbewegungen. Werden diese ruckartiger, geht der Algorithmus von einer nachlassenden Aufmerksamkeit aus. Dann schreitet der Müdigkeits- und Aufmerksamkeitswarner ein und weist den Piloten darauf hin, eine Pause einzulegen. Bei einigen modernen Autos überwacht auch eine Kamera das Gesicht des Fahrers, ermahnt ihn mit Sätzen wie „Bleiben Sie konzentriert“, sobald er häufiger blinzelt und die Augen zu lange geschlossen bleiben.
Notbremslicht
Ähnliches wie für den Notbremsassistenten gilt für das Notbremslicht. Manchen dürfte schon aufgefallen sein, dass beim Vordermann die Bremslichter ähnlich wie bei einer Alarmblinkanlage manchmal anfangen zu flackern und so den nachfolgenden Verkehr vor einer starken Geschwindigkeitsreduzierung warnen. Diese sinnvolle Einrichtung hat schon einige Auffahrunfälle verhindert.
Vorrichtung zum Einbau einer alkoholempfindlichen Wegfahrsperre
Nach dem Willen der EU müssen alle Neuwagen lediglich über eine standardisierte Schnittstelle verfügen, die das Nachrüsten einer alkoholempfindlichen Wegfahrsperre ermöglicht. Also ist eine solche Vorrichtung, die Hersteller wie Volvo schon seit Längerem unter der Bezeichnung Alcoguard führen, keine Pflicht.
Rückfahrassistent
Wie der Name schon sagt, hilft der Rückfahrassistent dem Fahrer beim Rangieren, um eine Kollision zu vermeiden. Das geschieht bei modernen Autos häufig im Zusammenspiel mit einer Kamera und Ultraschallsensoren.
Reifendrucküberwachung
Ein platter Reifen kann bei hoher Geschwindigkeit fatale Auswirkungen haben. Deswegen überwachen Sensoren den Reifendruck aller vier Pneus kontinuierlich und melden auch geringe Abweichungen sofort. Das ist vor allem bei sogenannten Runflat-Reifen wichtig, da der Fahrer ohne die Technik den Druckabfall zu spät bemerken würde oder der Reifen ihm bereits um die Ohren fliegt. Auch dieses System ist schon seit einiger Zeit in vielen Pkws verbaut.