Analyse: Deutschland hinkt bei V2G weit hinterher

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Michael Neißendorfer
Michael Neißendorfer
  —  Lesedauer 3 min

Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, gespeist durch Sonne, Wind- und Wasserkraft, tritt ein Problem immer klarer ans Licht: Der überschüssige Ökostrom lässt sich bislang nicht speichern. Das wäre jedoch nötig, um die Netze in sonnen- und windarmen Phasen weiterhin mit grüner Energie versorgen zu können, anstatt fossile Kraftwerke hochzufahren und so die Ökostromziele bis 2030 zu gefährden.

Eine Lösung für das Dilemma: Speicherakkus müssten in großem Umfang aufgebaut werden. Das kostet allerdings viel Zeit und Geld. Der zusätzliche Bedarf an Rohstoffen und deren Gewinnung kratzt zudem am nachhaltigen Image der Technik. Eine Alternative zu stationären Speichern: das E-Auto, genauer seine Batterie. Binden wir die vielen hunderttausend Auto-Akkus intelligent in das Stromnetz ein, entsteht ein enormer Speicher, der das Netz stabilisieren kann.

Die Technologie, Autoakkus nicht nur über das Netz aufzuladen, sondern auch Energie aus den Antriebsbatterien in Haushalte oder Fabriken zurückzuspeisen, wird als V2G (Vehicle to Grid) bezeichnet. Das auf die Automobilindustrie spezialisierte Beratungsunternehmen Berylls hat sich in einer Analyse angeschaut, wie gut verschiedene Nationen auf die V2G-Technologie vorbereitet sind und daraus ein Ranking erstellt. Deutschland liegt hier weit im hinteren Drittel, lediglich Brasilien und Indien sind noch schlechter aufgestellt.

Dabei müsste Deutschland wesentlich mehr Engagement zeigen, um die eigenen Grünstromziele erreichen zu können, wie Dr. Alexander Timmer, Partner bei Berylls Strategy Advisors, veranschaulicht: „Wie viele andere Nationen strebt auch Deutschland die Kohlenstoffneutralität an. Das Ziel ist es, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2030 auf 80 Prozent zu erhöhen. Dieser hohe Anteil an erneuerbaren Energien erfordert nach unserer Auffassung unbedingt die Speicherung von Grünstrom zur Netzstabilisierung.“ Eine herausragende, weil relativ kostengünstige Möglichkeit, ist die Integration von Elektroauto-Batterien in das Stromnetz, zumal Pkw im Schnitt mehr als 23 Stunden am Tag ohnehin im Parkzustand verweilen.

Alternative Möglichkeiten zur Stromspeicherung sind Pumpspeicherkraftwerke, für die es zumindest in Deutschland aber kaum noch geeignete Standorte gibt, oder die genannten großen stationären Batteriespeicher. Lars Behr, Berater bei Berylls: „Viel günstiger käme die V2G-Variante. Die mit speziellen Bezahlmodellen auch für die Elektroauto-Nutzer eine attraktive Idee ist. Denn diejenigen, die ihre Akkus als Pufferspeicher zur Verfügung stellen, könnten mit diesem Service Geld verdienen.“

Deutschland liegt im Ranking abgeschlagen im unteren Drittel

Das ist jedoch in den allermeisten Fällen Zukunftsmusik. Denn bislang ist weder die Mehrzahl der Elektroauto-Modelle bidirektional ladefähig und damit für V2G vorbereitet, noch sind es die Ladestationen und Wallboxen. Auch die Netze müssen ertüchtigt werden, beispielsweise mit intelligenten Stromzählern (Smart-Meter), die sowohl den Stromverbrauch aus dem Netz wie die Rückspeisung bidirektional verarbeiten können. Wie bei der Durchdringung mit E-Autos gibt es hier ebenfalls große Unterschiede in den von Berylls betrachteten Nationen.

Der Berylls V2G-Score gibt nun an, inwieweit ein Land in der Lage ist, das V2G-Potenzial zu nutzen. Die wichtigsten Faktoren dafür sind die Einführung der intelligenten Stromzähler und der Anteil mit bidirektionaler Lademöglichkeit ausgerüstete E-Autos in der Flotte. Die Analyse zeigt, dass das V2G-Potenzial in den meisten Nationen nicht allein durch die Einführung intelligenter Stromzähler, sondern vor allem durch die Anzahl der verfügbaren V2G-fähigen Fahrzeuge begrenzt wird.

V2G-Länder-Ranking-Weltweit
Berylls

Die Studie (verlinkt als PDF) zeigt auch, dass Deutschland in Bezug auf die V2G-Bereitschaft deutlich hinter den führenden Ländern zurückliegt. Vor allem die bisher sehr geringe Verbreitung von intelligenten Zählern in Deutschland ist der Grund dafür. Nur etwa ein Prozent der Haushalte sind derzeit mit einem geeigneten Smart-Meter ausgestattet. Anfang 2023 trat immerhin ein Gesetz in Kraft, das eine nahezu flächendeckende Einführung intelligenter Zähler bis 2032 vorschreibt. Damit ist eine wichtige Entscheidung für die künftige V2G-Fähigkeit Deutschlands getroffen worden – und für ein womöglich besseres Abschneiden beim nächsten Berylls V2G-Score.

Quelle: Berylls – Pressemitteilung vom 27.02.2024

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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Tobias Mader:

Hallo Zusammen, der Artikel ist klar. Wir sind in Deutschland anscheinend zurück bei V2X. Der Grund dafür sind aber nicht nur die Autohersteller sondern die fehlende digitale Infrastruktur im Energiesystem. Mit dem Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende ist allerdings neuer Umsetzungswille in Deutschland eingezogen, wie wir in der letzten Woche auf der E-World in Essen erkennen konnten. Wenn der Vollrollout der Smartmeter jetzt beginnt und wir mit den Steuerboxen die Möglichkeiten erhalten, im Niederspannungsnetz Steuerungen der Last zu bewirken, ist die Tür auf, nicht nur für V2X.
Die Versorger und Netzbetreiber könnten damit den Lastbezug ihrer Stromkunden (positiv und negativ) regeln, wenn ihnen der Speicher (auch im Auto) zur Steuerung durch den Eigentümer freigegeben werden wird.
Mit der Smart Meter Infrastruktur sind wir damit in der Lage alle freigegebenen Speicher im Niederspannungsnetz markt- und netzdienlich zu steuern. Die 100% Energiewende ist damit möglich. Wir können in Deutschland dynamisch steuern, da wir Sensoren und steuerbare Verbrauchseinrichtungen an den Netzverknüpfungspunkten haben.
Auf der Karte im Bericht ist zwar die Verbreitung von Smart Metern dargestellt, nicht aber die Verbreitung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen. Ohne steuerbare Verbraucher kann eine Steuerung nur statistisch auf der Grundlage von historischen Werten erfolge. In Deutschland könne wir über messtechnisch konkret festgestellte Auslastungssituationen steuern. Damit sind wir den meisten Ländern Meilen voraus.
Und das Tolle ist, dass es für die Steuerung von Speichern im Niederspannungsnetz (egal ob Auto oder stationär) ein Patent für eine deutsche Firma gibt. Durch das Patent ist bidirektionales Laden weltweit für Deutschland geschützt. Es wird kein Weg für V2X an uns vorbei gehen.
Allerdings unterstütze ich die Aussage von Tom1 s.u., dass sich unsere Unternehmen lieber sterbende Technologien am Leben erhalten, als neue Technologien zu entwickeln.
Die Voraussetzungen bei den Stromthemen der Zukunft ganz vorne mitzuspielen haben wir aber in Deutschland. Die Technologien sind auch alle schon da. Es fehlt ein größerer Spieler der den Mut hat einem Start-Up unter die Arme zu greifen und durchzustarten.

Wolfbrecht Gösebert:

„… Ankündigungen zu V2X haben meist ein DC-Ladegerät vorausgesetzt. Damit war das im Grunde in Marketing-Gag: schaut, wir können zurückspeisen! Dass eine dazugehörige Wallbox das 3-10fache einer normalen AC-Wallbox gekostet hätte, davon hat niemand gesprochen. Den Erfolg kann man sehen: es gibt keinen.“

+1
Auch die bisher bekannten VW-Angebote setzen ein DC-Ladegerät voraus …
BTW: Die DC-Rückspeisefähigkeit ist für den Hersteller beinahe ein „Pfennigartikel“, im wesentlichen durch Software realisiert!

Tom 1:

Unsere Regierung…….hätte eine möglichkeit gehabt ein Start-up zu unterstützen die genau in diese Richtung gearbeitet haben,nein geht nicht,lieber Geld für die etablierten weiter aus dem Fenster schmeißen.

Manfred:

Ja jede Speichermöglichkeit um Energieüberschüsse zu speichern ist willkommen. Ich selber habe mich jedoch von V2G verabschiedet. Mein E-Auto ist nicht ausspeicherfähig. Dieses Auto werde ich wahrscheinlich etliche Jahre fahren. Um den Akku zu schonen werde ich ihn im Mittel auf 50% Ladestand halten. Ein ständiges auf und entladen dürfte die Lebenszeit verkürzen, da die Anzahl möglicher Ladezyklen begrenzt ist. Auch die Integration in das Hausnetz über eine smarte Wallbox und PV Überschussladen ist eine teure Angelegenheit.

Da ich nicht viel fahre spare ich mir das. Ich lade über eine mobile Wallbox an einer normalen Dreiphasen Steckdose. Die Ladezeiten und die Leistung kann ich so steuern, das ich trotzdem einiges an PV Energie ins Auto bekomme.

Zum speichern von PV Überschuss und für die Netzstabilisierung habe ich im Haus einen extra Speicher installieren lassen. Außerdem nutze ich SG-Ready um den Überschuss, wenn der Hausspeicher voll ist, zur Warmwasseraufbereitung zu nutzen

Holger Wahl:

„Die Technologie, Autoakkus nicht nur über das Netz aufzuladen, sondern auch Energie aus den Antriebsbatterien in Haushalte oder Fabriken zurückzuspeisen, wird als V2G (Vehicle to Grid) bezeichnet.“

Nicht ganz: diese Technologie wird als V2X bezeichnet, also Vehicle to Irgendwas, im genannten Beispiel V2H (Home) und V2W (Work). V2G bezieht sich nur auf Grid, und das bedeutet explizit, dass der Strom ins Netz (grid) abgegeben wird, nicht in die Gebäudeinfrastruktur.

Daran, dass wir hier nicht nur in Deutschland weit zurückliegen, haben nicht nur die Netzbetreiber schuld, sondern auch die Automobilhersteller, allen voran die deutsche: alle Ankündigungen zu V2X haben meist ein DC-Ladegerät vorausgesetzt. Damit war das im Grunde in Marketing-Gag: schaut, wir können zurückspeisen! Dass eine dazugehörige Wallbox das 3-10fache einer normalen AC-Wallbox gekostet hätte, davon hat niemand gesprochen. Den Erfolg kann man sehen: es gibt keinen. Regulierungsseitig kam dazu, dass der über lange Zeit der Wechselrichter als „Netzadresse“ für die Energieversorger galt, was bei AC Wallboxen der fahrzeugseitige Lader ist, damit Mobil und nicht oder kaum zu identifizieren. Erst vor rund einem Jahr konnte man sich meines Wissens darauf einigen, dass immer die Ladestation die Netzadresse ist, nicht der Wechselrichter, egal ob AC oder DC.

Fahrzeugseitig haben es bisher nur wenige Unternehmen „richtig“ gemacht. Hyundai und Kia z.B. haben von Beginn an auf Rückspeisung via AC gesetzt, womit eine Basis für ein Volumen diesseits der grossen Fuhrparks erzeugt werden kann. Wenn Energieversorger, Regulierung und Hersteller jetzt einmal an einem Strick ziehen würden, könnte aus dem Thema noch etwas werden. Wenn… Aktuell würde ich es schon begrüssen, wenn die Industrie auch nur simples V2H, also die Rückspeisung ins Haus, serienmässig umsetzen würde. Das würde auch dem e-Fahrzeug einen Schub geben, weil der Zusatznutzen als Hausspeicher einen Vorteil gegenüber dem Verbrenner darstellt. Würde…

Wolfbrecht Gösebert:

Zwei der wichtigsten Sätze im Artikel:
„Das Ziel ist es, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung bis 2030 auf 80 Prozent zu erhöhen. Dieser hohe Anteil an erneuerbaren Energien erfordert nach unserer Auffassung unbedingt die Speicherung von Grünstrom zur Netzstabilisierung.“
„Binden wir die vielen hunderttausend Auto-Akkus intelligent in das Stromnetz ein, entsteht ein enormer Speicher, der das Netz stabilisieren kann.“

Für den privaten Nutzer bleibt es eine Kosten-/Nutzen-Rechnung: Wenn der Autohersteller V2G durch z.B. innovative Inverterbauweise auch in *preiswerten* Autos anbieten kann (wie künftig beim Renault 5-E) UND z.B. eine 11-kW-fähige Wallbox gerade mal 10-20% Aufpreis kostet, dann ist die Amortisationszeit soo kurz, dass sich sicher viele E-Auto-Nutzer beteiligen.
Auch für Arbeitgeber kann die Ausrüstung einer großen Zahl von Stellplätzen mit so preiswerten Wallboxen dazu führen, dass sie den Ladestrom dafür im Gegenzug evtl. sogar (nahezu?) kostenlos anbieten könnten.

Nebei gibt es – neben den im Artikel genannten Nutzungen – noch mind. eine weitere Verwendung für Ökostromüberschüsse:
Die Speicherung durch „Power-to-Heat“ (P2H), praktisch die konkurrenzlos *billige Speicherung* von Wärme bei Stromüberschuss –> Heißwasserspeicher, die recht einfach vom Einzelhaus über ganze Wohnanlagen bis hin zu großen überregionalen Anlagen (z.B. Karoline in HH mit 45 MW Speicherleistung) skalierbar sind!

Randbemerkung: Solche Kleinanlagen sind für Einzelhäuser mit rel. geringem Aufwand und mit hohem möglichen Eigenarbeitsanteil recht einfach und kostengünstig auch als Ergänzung zur eigenen Solaranlage herstellbar: Ein isolierter Wassertank (meist im Erdreich vergraben) und ein „Tauchsieder“ genügen fast schon als wesentliche Bauteile – so etwas kenne ich inzwischen schon auf zwei Einzelhausgrundstücken in meinem persönlichen Umkreis!

c&p–> energie-experten.org/erneuerbare-energien/oekostrom/sektorkopplung/power-to-heat

Der wirtschaftliche Hintergrund für größere Anlagen ist dabei, den Strom für die Power-to-Heat-Anlage an der Strombörse speziell in Situationen von stark negativen Preisen zu kaufen, in denen sonst eben gerade Erneuerbare Energien, die in der Direktvermarktung sind, abgeregelt würden. Die Reduktion negativer Preise hat zudem noch einen *deutlich* kostendämpfenden Effekt auf die EEG-Umlage.

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