Professor Stefan Bratzel leitet das von ihm gegründete Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft und Handel in Bergisch Gladbach. Das CAM arbeitet als unabhängige und wissenschaftliche Einrichtung für empirische Automobil- und Mobilitätsforschung. Professor Bratzel gehört zu den renommiertesten Experten und beschreibt im Gespräch mit dem Auto-Medienportal, wie sich Industrie und Handel in der Corona-Krise behaupten können und wie er die zwischenzeitlich eingebrochenen Verkäufe nach der Krise wieder ankurbeln will.
„Nach unseren Analysen wird der globale Automobilmarkt in diesem Jahr um 17 Prozent einbrechen“, sagt Bratzel. Damit sinke die Nachfrage weltweit um 15 Millionen Pkw auf 68 Millionen Einheiten. In Europa sollen die Verkäufe um 21 Prozent auf 12,5 Millionen Fahrzeuge zurückgehen. Die Entwicklung hänge „aber auch sehr stark von möglichen Fördermaßnahmen ab.“
Wie lange es dauert, bis die Automobilproduktion wieder auf Vor-Corona-Niveau steigt, sei „schwer zu sagen“. Es könnte „einige Monate und wahrscheinlich sogar länger dauern, weil die aktuelle ökonomische Entwicklung das nicht realistisch erscheinen lässt“, so Bratzel. Am CAM gehe man davon aus, „dass die Produktion Ende April, Anfang Mai wieder hochläuft. Alles andere wäre wirtschaftlich nicht länger vertretbar.“ Es würde dann noch einige Wochen dauern, bis wieder ein „normaler Rhythmus“ gefunden wurde. Wobei normal aber nicht bedeute, „dass man dann die Produktionskapazität vollständig ausschöpfen wird.“ Das wiederum hänge „natürlich, und das ist der zentrale Aspekt, auch von der Nachfrage ab.“
Und hier spiele der Handel, „der seine übervollen Lager leeren muss, eine entscheidende Rolle.“ Ob man die Autoverkäufe nach Corona angesichts der wirtschaftlichen Situation noch einmal mit einer Art Abwrackprämie ankurbeln könne sei „fraglich, aber die Autoindustrie muss man im Blick behalten.“ Eine Prämie von „drei- bis fünftausend Euro wird man wohl zur Stimulierung brauchen“, meint Bratzel. Er könnte sich aber „vorstellen, dass man die meisten Gelder in eine Aufstockung der Umweltprämie investiert, um gleichzeitig die Elektromobilität weiter zu unterstützen.“
Um die Corona-Krise für den beschleunigten Wechsel zur E-Mobilität zu nutzen, schlägt Bratzel vor, die momentan 6000 Euro Umweltprämie aufzustocken: „Vielleicht um 4000 Euro, die sich wieder Hersteller und Regierung teilen, sodass die Prämie auf 10.000 Euro wächst und viele Elektrofahrzeuge sehr günstig werden lässt. Das würde einiges bringen.“
Zulieferer „spielen eine überaus wichtige Rolle in der gesamten Wertschöpfungskette“
Während Bratzel die meisten Autohersteller wegen Corona nicht in Gefahr sieht, sehe die Situation bei den Zulieferern „schon ernster aus. Viele Unternehmen sind nicht unbedingt im Fokus der Öffentlichkeit, spielen aber eine überaus wichtige Rolle in der gesamten Wertschöpfungskette.“ Keine Sorgen müsse man sich „trotz ihrer aktuellen Liquiditätsprobleme“ um die großen Konzerne wie Bosch, Continental oder ZF machen. „Aber die kleineren mittelständischen Unternehmen werden Probleme bekommen, wenn die Hilfen der Bundesregierung nicht schnell eintreffen. Sechs bis acht Wochen ist die maximale Länge, die diese Unternehmen überbrücken können, um zu überleben“, so der CAM-Leiter.
Auch für den Handel sei Corona kritisch: Die Branche sei „von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt, und da gab es schon vor Corona wirtschaftliche Probleme“. Bratzel sagt, dass es „viele nicht schaffen werden, über die Runden zu kommen. Rund ein Drittel der Betriebe befanden sich schon vor der Krise in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen, und da wird Corona als Katalysator für eine Konzentration wirken.“
Als Profiteur könnte der Online-Handel aus der Corona-Krise gehen: „Online wird in Zukunft stärker werden, und viele Unternehmen nutzen die Krise zum Ausprobieren“, sagt Bratzel. Zwar werden Hersteller „verstärkt digitale Kanäle nutzen, um mit dem potenziellen Kunden in Kontakt zu treten“. Allerdings zeigen „alle Untersuchungen, dass man nicht auf eine Probefahrt verzichten und den Verkäufer kennen will, dem man am Ende das Geld überweist.“
Quelle: AMPNet — Mit aufgestockter Elektroprämie den Handel beleben