Maximilian Fichtner, unter anderem Professor für Festkörperchemie an der Uni Ulm und stellvertretender Direktor des Helmholtz-Instituts Ulm für Elektrochemische Energiespeicherung, ist einer der bekanntesten Batterieforscher Deutschlands. In einem Interview mit Heise Online sprach er über den Stand Deutschlands in der weltweiten Forschungslandschaft und die Vor- und Nachteile verschiedener neuartiger Akkutechnologien.
Treue Leser wissen, dass wir häufig über neue Batterietechnologien berichten. Diese klingen zwar oft durchaus aussichtsreich, schaffen es meistens aber nicht über den Labormaßstab hinaus. Fichtner sagt hierzu, dass es „viele, viele Schritte auf dem Weg zur fertigen Batterie“ gebe und dass jeder dieser Schritte scheitern könne. „Deshalb kommt nur ein Bruchteil von dem, was in den Labors gemacht wird, tatsächlich in einem kommerziellen System an.“
Fichtner verdeutlicht dies an einem konkreten Beispiel: Einer Batterie, in der der Konfliktrohstoff Kobalt in der Kathode schrittweise durch Mangan und Nickel ersetzt werden soll. „Dann schauen Sie zunächst, ob Sie die gewünschte Kristallstruktur überhaupt hinbekommen. Als Nächstes machen Sie daraus eine Elektrode für kleine Knopfzellen“. Meist werde dann festgestellt, dass die Kapazität beim Be- und Entladen langsam abnimmt. „Sie müssen also weiter optimieren“. Und wenn man dann der Meinung ist, die perfekte Lösung gefunden zu haben, müsse man erstmal eine „Vollzelle“ in einem größeren Format bauen, was auch wieder „eine Kunst für sich“ sei: „Sie müssen vielleicht noch Zusätze zum Elektrolyten zugeben, die Oberfläche stabilisieren und so weiter“. Irgendwann komme der Punkt, an dem man mit seiner Materialliste zu einer Chemiefirma gehen müsse. „Die sagen dann: ‚Wie soll ich davon bitte eine Tonne herstellen? Ich hab’ ja gar keinen Prozess dafür`“, veranschaulicht Fichtner das Problem. Sollte es trotzdem gelingen, das Vorhaben hochskaliert zu bekommen, könnte sich herausstellen: „Aus irgendeinem Grund hat das Material nicht mehr diese tollen Eigenschaften wie die paar Gramm aus dem Labor. Oder es ist zu teuer und damit vielleicht nicht mehr konkurrenzfähig.“ Und das war es dann auch.
Vielversprechend seien Fortschritte, welche Künstliche Intelligenz (KI) ermöglicht. Mit KI lasse sich schon sehr früh ableiten, „ob ein Material etwa eher für den stationären oder den mobilen Bereich geeignet ist“. Auch die Alterung von Zellen lasse sich damit mittlerweile recht erfolgreich vorhersagen. Aktuell versuchen Forscher wie Fichtner, mit Hilfe von KI auch die Materialentwicklung zu beschleunigen: „In Ulm bauen wir gerade eine riesige, europaweit einzigartige Anlage auf, mit einer autonomen, KI-gestützten Robotik.“ Diese könne gut 1000 verschiedene Materialkombinationen pro Tag erproben. „Sie kriegen in einer Woche eine Anzahl von Proben, für die ein einzelner Forscher sein ganzes aktives Forscherleben bräuchte“, erklärt Fichtner einen der Vorteile von Künstlicher Intelligenz in der Batterieforschung.
„Deutschland hat sich vom Enfant terrible der Batterieproduktion zum Musterknaben entwickelt“
In den vergangenen Jahren galten Deutschland und Europa als hinterher, was Forschung und Entwicklung im Vergleich zu vor allem asiatischen Ländern betrifft. „Es ist in Europa zu großen Teilen gelungen, den Entwicklungsvorsprung der Chinesen einzuholen“, sagt Fichtner. Vor allem deshalb, da die Europäer in den letzten Jahren zwei bis drei Mal mehr investiert haben als China. Und Deutschland habe sich „vom Enfant terrible der Batterieproduktion zum Musterknaben entwickelt“. Es gebe „kein Land in Europa, in dem mehr Gigafactorys geplant oder gebaut werden“. Aktuell „überstürzen“ sich die Ereignisse sogar etwas, so Fichtner: „Es gibt gleichzeitig Verbesserungen bei der Chemie und beim Batteriedesign“.
Als ein wichtiges Batteriematerial der Zukunft gilt, etwas überraschend, Lithium-Eisenphosphat. Überraschend deshalb, da es sich nicht um etwas wirklich Neues handelt. Lithium-Eisenphosphat aber habe „Vorteile bei Kosten, Nachhaltigkeit und Sicherheit“, so der Batterieforscher: „Sie können einen Nagel in die Batterie reinschlagen und es passiert nichts“. Zudem koste das Material nur etwa ein Achtel des herkömmlichen NMC-Materials. Das heißt laut Fichtner: „Das Ziel von unter 100 Dollar Zellkosten pro Kilowattstunde, bei dem das Batterieauto billiger wird als der Verbrenner, wurde im Prinzip letztes Jahr erreicht.“
Lithium-Eisenphosphat hat zwar eine recht geringe Energiedichte als Nachteil, weshalb theoretisch mehr als das doppelte Volumen an Lithium-Eisenphosphat für die gleiche Kapazität im Vergleich zu anderen Technologien notwendig wäre. Da aber das eigentliche Speichermaterial nur etwa 25 Prozent und die Kathode nur 15 Prozent von einem Batteriepack ausmache, könne dieser Nachteil durch Innovationen im Bereich der Kollektorfolien, Gehäuse, Verdrahtung, Elektrolyt und Grafit zum Beispiel ausgeglichen werden, was Unternehmen wie Tesla und CATL bereits umsetzen, wie Fichtner erklärt: „Statt kleinteiliger Zellen in Schokoladentafelgröße bauen sie eine Zelle, die man als Folie über den ganzen Pack ziehen kann“. Die chinesische Version des Tesla Model 3 habe dadurch nur noch 4 statt 16 Module. „CATL sagt, sie gewinnen dadurch 20 Prozent Raum für die Speichermaterialien und sparen 40 Prozent an Aufbau- und Verbindungstechnik. Das ist gigantisch“, so der Batterieforscher.
Ein weiterer Vorteil von Lithium-Eisenphosphat sei die hohe Lebensdauer von gut 10.000 Ladezyklen. „Bei 400 Kilometern Reichweite sind das vier Millionen Kilometer“, so Fichtner. Das mache die Technologie für häufig eingesetzte Fahrzeuge wie etwa autonome Autos interessant: „Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass man autonome Autos per App bestellen kann, dann sind die fast rund um die Uhr unterwegs“, sagt Fichtner, was einer Fahrleistung von 150.000 bis 200.000 Kilometern pro Jahr entspreche. „Als Flottenbetreiber kann ich mich zwischen einem Verbrenner entscheiden, der nach zwei Jahren schon das Ende seiner Lebensdauer erreicht, und einem Elektroauto, das mindestens fünf Jahre fahren kann“.
„Ich verfolge das mit großen Augen wie ein kleines Kind“
Bei Festkörperbatterien, die laut Fichtner „durchaus ihre Berechtigung“ haben, ist der Batterieforscher kritisch: „Ich sehe nicht alles so rosig wie ihre Befürworter“, sagt er, „da sich auf der Oberfläche des Lithiums beim fortgesetzten Be- und Entladen Nadeln bilden, die dann durch die Zelle wachsen und einen Kurzschluss verursachen“. Er sei sich nicht sicher, „ob so ein System im alltäglichen Betrieb sicher und robust genug sein wird. Und vor allem: Bei der klassischen Batterie haben wir einen dramatischen Abfall der Kosten. Das wissen wir bei der Feststoffzelle noch nicht“.
Große Fortschritte erwartet Fichtner auch im „unglaublich“ boomenden Bereich der Stationärspeicher, also etwa Hausspeicher oder Pufferspeicher für das Stromnetz. Er verzeichne ein Wachstum von gut 40 Prozent pro Jahr. Da Batterien in den vergangenen zehn Jahren um 90 Prozent billiger geworden seien, könne man langsam auch „über Speicher nachdenken, die eine Versorgung über mehrere Tage ermöglichen“. Dafür allerdings müsse „eine andere Chemie her, auf der Basis von Rohstoffen, die häufiger vorkommen“, etwa Natrium-Ionen, deren Material zwei bis drei Mal billiger ist als Lithium-Eisenphosphat. „Ich glaube, wir werden uns noch wundern, was noch alles möglich sein wird“, sagt Fichtner am Schluss des Interviews. „Ich verfolge das mit großen Augen wie ein kleines Kind.“
Quelle: Heise Online – Forscher zum Batteriemarkt: „Deutschland hat sich zum Musterknaben entwickelt“