Der VW-Konzern hat sich spät, aber dafür umso klarer zur Elektromobilität bekannt. Mit dem Audi e-tron, einem Luxus-SUV im Segment zwischen Q5 und Q7 konnten wir ein Wochenende lang einen Pionier dieser neuen Epoche testen.
Samstag 11 Uhr: Sebastian von Elektroauto-News, York und ich von bytes‘n batteries rollen voller Vorfreude mit Yorks Renault Zoe auf den Kundenparkplatz des Autohaus Jung in Sinsheim. Dunkle Limousinen und schwere SUVs bestimmen das Bild auf dem Hof des Audi- und VW-Händlers.
Unser Testobjekt für das vor uns liegende Wochenende sehen wir dennoch gleich: Der Audi „e-tron quattro 55“ hängt noch am Ladekabel. „Mythosschwarz Metallic“ steht er da — Audi-typisches Markengesicht, der üppig verchromte Kühlergrill, beim e-tron nur noch ein Designelement, glänzt verheißungsvoll in der Sonne.
Tobias Langer, der Standortleiter des Autohauses empfängt uns freudig im Verkaufsraum. Man kennt sich. Schon im April, beim zweiten E-Mobilitätstag der Stadt Sinsheim kamen wir ins Gespräch. Beim Thema E-Auto Podcast zeigte er sich schon damals sofort aufgeschlossen uns eines seiner Fahrzeuge für einen Praxistest zur Verfügung zu stellen. Einige Mails und Telefonate später war alles unter Dach und Fach. Nach einem kurzen Gespräch und zwei Unterschriften später übergibt er uns die Schlüssel.
Bereits nach wenigen Metern fahren wir auf die (dem Samstag sei Dank) ungewohnt freie A6 zurück in Richtung unserer kurpfälzischen Heimat. Schon beim sachten Antippen des Strompedals auf der Auffahrt gibt der Audi e-tron einen ersten Vorgeschmack auf das, was unter der Haube, oder vielmehr unter unseren Füßen steckt. Nach wenigen Kilometern ist es endlich soweit: Das Schild, das deutsche Schnellstraßen von den allermeisten anderen unterscheidet, erscheint am Straßenrand. Das Tempolimit ist aufgehoben.
Um für E-Autos nicht ständig den Vergleich mit dem (mittlerweile endgültig überstrapazierten) „unsichtbaren Gummiband“ bemühen zu müssen, fällt uns als Referenz höchstens noch die Beschleunigung einer Achterbahn ein.
Die zwei Elektromotoren mit ihren insgesamt 300 kW (408 PS) Systemleistung schieben den mehr als zweieinhalb Tonnen schweren SUV mühelos in unter 6 Sekunden auf Tempo 100. Mit nahezu unvermindertem Elan geht das so weiter, bis die Elektronik dem Treiben aus Rücksicht auf den Akku bei 200 km/h ein Ende setzt.
Anders als etwa beim Tesla Model 3, dessen brachiale Wucht unsere Köpfe beim Beschleunigungstest Schleudertrauma-verdächtig an die Kopfstützen nagelte, fühlt sich die Leistungsentfaltung des e-tron dabei linear und natürlich an. Auch wenn der Vergleich des bayrischen Luxus SUVs mit dem Mittelklasse Kalifornier sicher nicht ganz fair ist, müssen wir außerdem feststellen, dass im Model 3 ab Tempo 100 auch die Windgeräusche störender wurden, während wir im Audi e-tron fast bis weit über 150 eine nahezu gespenstische Ruhe erleben. Oberklasse eben.
Klar ist auch: Beim Verbrenner kann das Motorgeräusch vieles andere kaschieren, nicht so beim E-Mobil. Hier gilt es zunächst einmal jedes noch so kleine Knarzen und bei höherem Tempo vor allem Windgeräusche zu identifizieren und zu eliminieren. Die Audi-Ingenieure haben hier ganze Arbeit geleistet. Später erfahren wir, dass sogar die Windschutzscheibe schallisoliert ist.
Viel zu schnell kommt schon unsere Ausfahrt in Sicht: Positiv fällt uns beim Abfahren die gute Kurvenlage auf. Mit dem 700 kg schweren Akku im Boden klebt der (immerhin 162 cm hohe) e-tron auf der Straße und lässt sich wie einen Sportwagen durch enge Kurven zirkeln.
Vor uns liegen nun noch einige Kilometer Landstraße bis zum ersten Stopp. Zeit für eine nähere Beschäftigung mit der verbauten Elektronik. Obwohl der Wagen laut Liste „schon“ ab 79 900€ zu haben ist, orientiert sich unser Testfahrzeug preislich eher an den 100K. Das zeigt sich auch am Cockpit: Bis auf die virtuellen Außenspiegel ist nahezu alles verbaut, was das Audi-Regal zu bieten hat.
Über zwei übereinander platzierte und leicht zum Fahrer gedrehte Touchscreens, das sogenannte „MMI touch response“ lassen sich sämtliche Klima- und Entertainment-Funktionen steuern und Navigationsziele sogar direkt mit dem Finger auf ein Touchfeld schreiben. In der gleißenden Juli-Sonne zeigt sich aber auch, dass die Bedienung der Touch-Oberflächen oft unschöne Fingerabdrücke hinterlässt.
Zusätzlich zum digitalen Tacho (auch hier ist natürlich ein hochauflösendes Multifunktionsdisplay verbaut) werden Geschwindigkeit und aktuelles Tempolimit über ein kleines Head-up-Display direkt auf die Windschutzscheibe gespiegelt. Das sieht nicht nur schick aus, sondern wird von allen als eine sinnvolle Ergänzung des übrigen Informationssystems gelobt.
Ohne je die Handauflage auf der Mittelkonsole verlassen zu müssen, steuert die Rechte des Fahrers nicht nur Automatikschaltung, sondern auch das Entertainment-System. Das macht längere Fahrten ebenso angenehm wie die hervorragenden Sitze. Das feine Ledergestühl kann nicht nur beheizt und belüftet werden, sondern verfügt außerdem über diverse, für unseren Geschmack jedoch etwas zu zaghafte Massagefunktionen.
Fazit zum Innenraum: Materialien und Verarbeitung sorgen für eine mustergültige Qualitätsanmutung im Cockpit. Die schiere Masse an Einstellungen und Funktionalitäten in möglichst intuitiven Tastenlayouts und Nutzer-Oberflächen unterzubringen, wirkte stellenweise jedoch etwas bemüht. Es muss nicht das „hyper-cleane“ Cockpit vom Model 3 sein, aber noch ein wenig mehr „Apple“ und etwas weniger „Blackberry“ würde hier meinen Geschmack eher treffen.
Zurück in Wiesloch legen wir eine kurze Rast ein. Yorks Dreijähriger stürmt aus der Tür und will am liebsten gleich einsteigen. Mehr aus Neugier, denn aus akkutechnischer Notwendigkeit (Restreichweite noch bei 360Km) hängen wir den Wagen für einen Moment an die Wallbox. Den Wechselstrom (AC) saugt der e-tron wie erwartet mit bis zu 22 kw. Rechnerisch lässt er sich damit in knapp viereinhalb Stunden vollladen.
Nach einem Espresso geht es zurück auf die Piste. Wir wollen den IONITY HPC (High Performance Charger) an der Raststätte Bruchsal Ost testen. Um dort eine brauchbare Ladeleistung zu erzielen ist der Akku aber gerade noch zu voll. Jetzt gilt es noch ein paar Kilometer „abzureißen“. Unterwegs testen wir einige Assistenzsysteme.
Am besten hat uns hier die intelligente Rekuperationsautomatik gefallen. Sie erkennt den Vordermann und den Streckenverlauf und nutzt die Bremsvorgänge optimal zur Energie-Rückgewinnung aus. Der Spurhalteassistent verrichtet auch in Baustellen zuverlässig seinen Dienst, orientiert sich jedoch (wie schon beim Hyundai E-Niro gesehen) nicht in der Mitte der Spur, sondern lenkt erst beim touchieren der Spurbegrenzung wieder ein. Das machen andere schon besser.
Knapp 80 km später erreichen wir den IONITY HPC (High Performance Charger) Bruchsal Ost. Nur einer von vier Ladespunkten ist gerade noch durch einen Hyundai Ioniq belegt. IONITY, ein Joint-Venture aus den drei großen deutschen Herstellern plus Ford peilt bis 2020 die Errichtung von über 400 Ladesäulen (jeweils mehrere Ladepunkte) mit Spitzen-Leistungen von bis zu 350 kw an. In Europa ist das derzeit so ziemlich die schnellste Möglichkeit Langstrecke elektrisch zu fahren.
Heute nimmt unsere Ladeleistung durch den noch immer zu vollen Akku nach einem kurzen „Peak“ von 170 kw leider ziemlich rasch wieder ab. Trotzdem stehen nach knapp 15 Minuten wieder 90% Ladestand auf dem Tacho. Kostenpunkt: Pauschal 8€. Das hätte es auch bei leerem Akku gekostet. Noch ist die vom Gesetzgeber geforderte Abrechnung nach tatsächlicher Ladeleistung nicht umgesetzt! Mit gemischtem Gefühl machen wir uns auf den Heimweg.
Sonntagmorgen in Wiesloch: Jetzt noch schnell mit dem e-tron zum Sonntags-Bäcker. Als Vater von zwei Kleinkindern nutzt York die Gelegenheit, um jetzt noch die Familientauglichkeit, unseren letzten Programmpunkt beim Fahrzeugtest, unter die Lupe zu nehmen. Die potentielle Audi e-tron-Zielgruppe „finanzkräftige junge Familie“ bekäme auch hier einiges geboten:
5 Sterne im NCAP-Test und nahezu alles, was man sich an aktivem und passiven Sicherheitsfeatures vorstellen kann, lassen auch die besorgtesten Helikopter-Eltern ruhig schlafen. Mühelos lassen sich die beiden Kindersitze an den ISOFIX-Haltern auf der Rückbank arretieren. In unserem Testwagen steht der Kindersitz-Standard (noch ein Extra) sogar auf dem Beifahrersitz zur Verfügung. Seiten und Kopfairbags vorne und hinten sorgen laut NCAP sowohl für Kinder als auch für erwachsene Passagiere für ein geringes bis sehr geringes Verletzungsrisiko.
Unser Fazit zum Audi e-tron
Mit mustergültiger Qualitätsanmutung, High-End-Ausstattung und einem umfangreichen Sicherheitspaket reiht sich der Audi e-tron wie erwartet standesgemäß in den Kanon der Luxus-SUV innerhalb seines Preissegments.
Beim Verhältnis von Reichweite zum Anschaffungspreis steht das Modell nach unserer Meinung noch etwas zwischen den Stühlen: Die junge Familie, für die sowohl Raumangebot als auch tatsächliche Reichweite von 350 bis 400 km absolut angemessen wäre, würde so viel Geld, wenn es denn zur Verfügung steht, wohl eher in die eigene Immobilie, denn in ein Luxus-Auto stecken.
Der Geschäftsführer als klassische Zielgruppe eines solchen Fahrzeuges wird hingegen wenig Bedürfnis verspüren, den sowieso vollen Terminplaner auch noch mit Aufenthalten an der Ladesäule zu ergänzen. Für ihn (oder sie) klingen „1000 km Dieselreichweite in 5 Minuten Tankstopp“ auch in Zeiten von „Fridays for Future“ womöglich noch immer sehr verlockend.
So lange der Aufbau einer lückenlosen Hochgeschwindigkeits-Ladeinfrastruktur wie z.B. von IONITY noch nicht abgeschlossen ist, kann hier nur die eigene Lademöglichkeit am Arbeitsplatz und oder zuhause ein vergleichbar attraktives Nutzenversprechen liefern. Hier liegt es unserer Meinung nach auch an Herstellern wie Audi eine attraktive 360°-Betreuung anzubieten, die auch die Installation und Nutzung eigener Lade-Infrastruktur einschließt.