Zu den großen Herausforderungen der Elektromobilität gehört die nachhaltige Gewinnung der Rohstoffe. In einer Serie von Hackathons* sucht der Autohersteller Volkswagen gemeinsam mit Start-ups und weiteren Partnern nach Lösungen. In einem von VW selbst veröffentlichten Interview spricht Marco Philippi, Leiter Beschaffungsstrategie, über die Probleme des Kobaltabbaus, Lieferanten-Ratings und Gemeinsamkeiten mit der Modebranche.
Herr Philippi, schon zum zweiten Mal engagiert sich Volkswagen in einer Serie von Hackathons. Was versprechen Sie sich davon?
Marco Philippi: Bei den Hackathons geht es um zwei Dinge. Zum Ersten arbeiten wir an Konzepten, um bestmögliche Transparenz in unsere Lieferketten zu bringen. Der Grund: Wir wollen nur Rohstoffe verwenden, die unter menschenwürdigen, nachhaltigen Bedingungen abgebaut wurden. Zum Zweiten wollen wir den Einsatz unserer Mitarbeiter für gesellschaftliche Belange unterstützen – das ist Teil guter Corporate Citizenship. Unter beiden Gesichtspunkten waren die Hackathons 2018 ein Erfolg. Deshalb beteiligen wir uns an der Neuauflage.
Welche Ergebnisse gibt es bisher?
Mehr als 100 Mitarbeiter aus dem Volkswagen Konzern haben sich im vergangenen Jahr aus eigener Motivation an den Hackathons beteiligt: Für jeweils einen Tag standen sie Start-ups als Sparringspartner zur Verfügung, um zu helfen, Innovationen und Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln. Das hat viele gute Konzepte ergeben, um die Transparenz von Lieferketten zu erhöhen. Ein Beispiel ist die Blockchain-Lösung von Minespider. Gemeinsam mit dem Start-up haben wir nach den Hackathons ein Projekt gestartet, um den Weg der Rohstoffe von der Mine bis ins Auto besser nachvollziehen zu können. Ende 2019 werden die Ergebnisse vorliegen.
Was sind die größten Schwierigkeiten beim Einkauf sauberer Rohstoffe?
Viele Lieferketten sind lang und verzweigt. Einige Rohstoffe durchlaufen neun Stufen, bevor sie zu uns kommen. Eine Vertragsbeziehung haben wir aber in der Regel nur mit dem direkten Lieferanten. Das macht es äußerst schwierig, für jede Stufe die Einhaltung aller Umwelt- und Sozial-Standards zu garantieren. Hinzu kommt, dass sich Lieferketten häufig verändern: Unternehmen scheiden aus, andere Anbieter übernehmen ihren Platz. Dadurch ist es extrem schwierig, jederzeit ein aktuelles Bild der kompletten Lieferkette zu haben.
Wie gehen Sie damit um?
Zum einen verpflichten wir unsere Lieferanten, die Einhaltung sämtlicher Nachhaltigkeitsstandards sicherzustellen. Diese Verpflichtung müssen sie nicht nur selbst einhalten, sondern auch an ihre Sub-Lieferanten weitergeben. Wer sich daran nicht hält, verliert den Auftrag. Zum anderen arbeiten wir an technischen Lösungen, um jederzeit über Veränderungen in der Lieferkette informiert zu sein – unter anderem durch Blockchain-Ansätze wie von Minespider. Unser Ziel: Wir wollen bestmögliche Transparenz – und das am liebsten auf Knopfdruck.
Wie stellen Sie sicher, dass sich Lieferanten an ihre Verpflichtungen halten?
Wir haben ein obligatorisches Nachhaltigkeits-Rating eingeführt, um zum Beispiel Risiken bei Menschenrechten, Umweltschutz und Korruption frühzeitig zu erkennen und auszuschließen. Grundlage dafür sind Dokumente, die jeder Lieferant bei uns abgeben muss. Volkswagen beauftragt unabhängige Fachleute, die alle Angaben überprüfen – im Zweifel auch mit Kontrollen vor Ort. Stellen die Experten Verfehlungen fest, schließen wir den Lieferanten von der Auftragsvergabe aus. Unsere Haltung ist klar: Wir wollen für unsere Elektroautos nur saubere Rohstoffe.
Gerade beim Kobaltabbau gibt es immer wieder Kritik an Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Kinderarbeit. Woher bekommen Sie das Kobalt für Ihre Elektroautos?
Man muss zwei Arten des Kobaltabbaus unterscheiden: den Kleinbergbau, in dem Kinderarbeit tatsächlich ein verbreitetes Problem ist, und den industriellen Bergbau. Wir kaufen unser Kobalt ausschließlich von industriellen Lieferanten, denn von Kinderarbeit wollen wir in keiner Weise profitieren. Langfristig arbeiten wir daran, den Kobaltanteil in unseren Batterien deutlich zu reduzieren. Allerdings ist das Problem damit nicht gelöst, denn die Not der Kinder und ihrer Familien bleibt bestehen. Deshalb setzen wir uns für Lösungen ein, die einen nachhaltigen Kleinbergbau ermöglichen.
Es gibt viele Aktivitäten, um tragfähige Nachhaltigkeitslösungen zu finden. Welchen Beitrag leisten gerade die Hackathons?
Gemeinsame Teams aus Start-ups und Konzernen ergänzen sich hervorragend. Vereinfacht gesagt: Die einen haben die unkonventionellen Ideen, die anderen wissen, was in der Praxis funktioniert. Auch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Branchen ist fruchtbar. In der Regel gibt es zwischen Automobilherstellern und Modeunternehmen wenige Berührungspunkte. Bei ihren Lieferketten jedoch stehen sie vor ähnlichen Herausforderungen.
Welche Themen sind für die Teilnehmer der diesjährigen Hackathons besonders erfolgversprechend?
Nachhaltige, transparente Lieferketten stehen unverändert im Mittelpunkt. Wer dafür praxistaugliche Lösungen anbieten oder gemeinsam entwickeln kann, dem steht ein großes Geschäftsfeld offen.
* Was ist eigentlich ein „Hackathon“?
Ein Hackathon (Wortschöpfung aus „Hack“ und „Marathon“) ist eine Veranstaltung zur gleichzeitigen Entwicklung von Soft- und Hardware. Ziel eines Hackathons ist, gemeinsam nützliche, kreative oder unterhaltsame Softwareprodukte herzustellen oder, allgemeiner gesagt, Lösungen für gegebene Probleme zu finden. Die Teilnehmer kommen bei Software-Hackathons üblicherweise aus verschiedenen Gebieten der Software- oder Hardwareindustrie und bearbeiten ihre Projekte häufig in funktionsübergreifenden Teams. Hackathons haben immer ein spezifisches Thema oder sind technologiebezogen.
Quelle: Volkswagen – Pressemitteilung vom 08.08.2019