Bundeskanzler Olaf Scholz muss sein Versprechen einer Klimakanzlerschaft einhalten. Das fordert der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW) gemeinsam mit gut 40 weiteren Verbänden und Organisationen in einem offenen Brief an den Kanzler. Vor allem im Verkehrssektor seien die Anstrengungen zum Erreichen der Klimaziele bisher vollkommen ungenügend. Um die sozial-ökologische Transformation zu ermöglichen, müsse die Mobilitätswende deshalb zur Kanzlersache werden.
Obwohl sich die Bundesregierung per Klimaschutzgesetz zu sektorübergreifenden CO2-Minderungen verpflichtet hat, stehen für den Verkehrsbereich keine ausreichenden Maßnahmen in Aussicht. Der Expertenrat für Klimafragen hat das unlängst festgestellt: Das zuletzt veröffentlichte Sofortprogramm des Bundesverkehrsministeriums reicht selbst im Ansatz nicht aus, um die klimapolitische Zielverfehlung im Verkehrssektor zu verhindern. Es sei „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch“ und erfülle „nicht die Anforderung an ein Sofortprogramm“, kritisierte der Expertenrat die Vorschläge. Im Gegenteil führe es sogar zu einer kumulierten Erfüllungslücke von 261 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente bis zum Jahr 2030.
Dabei hat sich die gesamte Bundesregierung im Koalitionsvertrag und per Gesetz dazu verpflichtet, konkrete und ausreichend wirksame Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen auszugestalten und zu implementieren. In dem offenen Brief an Olaf Scholz fordert der BNW deshalb, dass der Bundeskanzler noch im September ein umfassendes Klimaschutz-Sofortprogramm vorlegt. Das Paket müsse Maßnahmen enthalten, die das Erreichen der Klimaziele im Verkehrssektor sicherstellen.
„Die Klimaschutzziele gelten für alle Sektoren, auch den Verkehrssektor. Es kann nicht sein, dass das Verkehrsministerium konsequent Klimaschutzziele reißt und als Antwort unzureichende Sofortprogramme vorlegt“, unterstreicht BNW-Geschäftsführerin Dr. Katharina Reuter. Mit rund einem Fünftel der Emissionen Deutschlands ist der Verkehrssektor zentral für das Erreichen der Klimaziele. Er ist der einzige Sektor, der seit 1990 seine Emissionen nicht nennenswert verringern konnte. Für das Erreichen des Sektorziels 2030 ist fast eine Halbierung der Verkehrsemissionen gegenüber 2019 notwendig.
Für den Verkehrssektor fordert der BNW gemeinsam mit anderen Organisationen deshalb folgende, laut eigener Aussage „unverzichtbare“ Maßnahmen:
Abbau und ökologische Umgestaltung der Dienstwagenbesteuerung: Die Dienstwagenbesteuerung müsse klimafreundlich umgestaltet und gleichzeitig das Dienstwagenprivileg sozial gerecht abgebaut werden. Die 1-Prozent-Regelung für Verbrenner und die 0,5-Prozent-Regelung für Plug-in-Hybride müssen deutlich erhöht und ökologisch ausgerichtet werden. Zusätzlich sollten die Abschreibungsmöglichkeiten für diese Fahrzeuge schrittweise beendet werden.
Zwei von drei neuen Autos werden in Deutschland als Firmenwagen zugelassen, die hohe Steuervorteile genießen. Gleichzeitig sind diese Autos für drei Viertel der CO2-Emissionen von Neuwagen verantwortlich, weil sie oft recht große und somit emissionsintensive Verbrenner sind. Eine ökologische Reform der 1-Prozent-Regelung und der Abschreibungen könnte den Markthochlauf von vollelektrischen Firmenwagen schon kurzfristig ankurbeln, die CO2-Emissionen senken, sie ist kosteneffektiv und sozialverträglich.
Eine CO2-basierte Neuzulassungssteuer, die als Bonus-Malus-System einmalig bei der Erstzulassung von Verbrennern erhoben wird, sei hochwirksam, um klimaschonende Neuwagen zu befördern: In allen Ländern mit einer solchen Besteuerung liegen die durchschnittlichen CO2-Emissionen bei Neuwagen niedriger als in Deutschland. Um die Emissionen rasch zu reduzieren und den Markthochlauf von E-Autos zu beschleunigen, sollte die Bundesregierung eine nach CO2-Emissionen gestaffelte Neuzulassungssteuer in Anlehnung an das niederländische Modell einführen. Während in Deutschland im Jahr 2020 gut 16 Prozent der Neuwagen besonders klimaschädlich waren, betrug deren Anteil in den Niederlanden weniger als drei Prozent.
Eine Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket: Das 9-Euro-Ticket war mit rund 52 Millionen verkauften Fahrscheinen und rund 1,8 Millionen Tonnen eingespartem CO2 auch klimapolitisch ein enormer Erfolg. Es zeigt eindrücklich, dass der ÖPNV dann attraktiv ist, wenn er günstig und einfach zu nutzen ist. Umso entscheidender sei, dass die Nachfolgeregelung des 9-Euro- Tickets zeitnah umgesetzt werde.
Ein dauerhaft bundesweit gültiges Nah- und Regionalverkehrsticket ermögliche erschwingliche Mobilität für alle und erlaubt, mehr Wege klimafreundlicher zurückzulegen. Um Gelegenheitsnutzende zu einem dauerhaften Umstieg zu bewegen und einen merkbaren Klimaeffekt zu bewirken, sollte es deutlich günstiger als
bestehende Tarife sein und müsse zudem auch Menschen mit niedrigen Einkommen soziale Teilhabe ermöglichen. Dafür sollte sich der Bund mit aller Kraft und den notwendigen finanziellen Mitteln einsetzen. Um ein solches Ticket und den dringend notwendigen Kapazitätsausbau an Zügen und Infrastruktur zu finanzieren, müssen die klimaschädlichen Subventionen im Verkehrssektor endlich gestrichen werden.
Der BNW setzt sich laut eigener Aussage schon seit langem für unternehmerische Mobilitätslösungen ein. Als ökologisch orientierter Unternehmensverband gehen die BNW-Mitgliedsunternehmen als Vorbild für eine nachhaltige Mobilität voran und fordern Anreize zum Wandel. Zu den BNW-Kernforderungen zählen deshalb unter anderem die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, um Wege zu sparen und den ÖPNV zu entlasten. Darüber hinaus müsse die Bundesregierung Rahmenbedingungen für eine klimaneutrale, vernetzte und moderne Mobilität schaffen.
„Beim Thema Mobilität herrscht in der Wirtschaft längst Aufbruchsstimmung“
„Beim Thema Mobilität herrscht in der Wirtschaft längst Aufbruchsstimmung. Leider vernachlässigt die Bundesregierung wichtige Maßnahmen, um die Mobilitätswende voranzutreiben. Es braucht jetzt den massiven Ausbau der Infrastruktur für emissionsfreie Transportmittel, viel mehr Platz für Rad- und Fußverkehr und die Förderung des ÖPNV“, betont Dr. Sandra Wolf, CEO von Riese & Müller und BNW‑Vorständin.
Es brauche „erhebliche Veränderungen in allen Bereichen der Mobilität“, heißt es in dem offenen Brief: Die Verlagerung von Verkehr auf den ÖPNV, Fuß- und Radverkehr und beim Güterverkehr von der Straße auf die Schiene müsse mit Entschlossenheit und ausreichender Finanzierung vorangetrieben werden. Ebenso brauche es einen schnelleren Hochlauf der Elektromobilität in allen Bereichen, was sich eben nicht mehr wie bislang allein durch kostenintensive Subventionen für E-Autos herbeifördern lasse.
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern werden in Deutschland klimaschädliche Verbrenner mit hohen Emissionswerten noch immer subventioniert und zu gering besteuert. Es brauche eine ökologisch ausgerichtete Steuerpolitik, die eine Lenkungswirkung hin zu klimafreundlichen und nachhaltigeren Autos und weg von Verbrennern entfaltet.
Mit den Worten „Wir fordern Sie auf, Ihr Versprechen einer Klimakanzlerschaft einzulösen“, schließt der offene Brief. „Nehmen Sie den Bundesverkehrsminister und das gesamte Kabinett in die Verantwortung, das Klimaschutzgesetz einzuhalten und dazu effektive und schnell wirksame Maßnahmen vorzulegen“. Die notwendige Ernsthaftigkeit bei der Umsetzung geeigneter Maßnahmen sei „mehr denn je geboten“.
Quelle: BNW – Pressemitteilung vom 14.09.2022