Polestar 2 BST Edition 270: Fahrbericht des Performance-Stromer

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Polestar

Wolfgang Gomoll
Wolfgang Gomoll
  —  Lesedauer 5 min

Der Polestar 2 BST Edition 270 brilliert mit unkomplizierter Agilität. Echtes Rennsport-Feeling kommt mit den speziellen Öhlins-Dämpfer auf, bei denen man per Schraubendreh das Fahrverhalten verändern kann. Quasi eine Playstation 5 für die Mechanical Natives.

Mit Automobil-Designern ist das so eine Sache. Meistens liegen sie mit den Ingenieuren im Clinch, wenn es darum geht, ob ein Bauteil der Funktion oder der Form folgen soll. Polestar-Chef Thomas Ingenlath ist gelernter Formgeber, also sollte bei Volvos Elektro-Tochter bei derartigen Diskussionen die Entscheidung klar sein. Weit gefehlt. „Thomas hat uns herausgefordert, aus seinem Polestar 2 etwas Besonderes zu machen“; erzählt Fahrwerksexperte Joakim Rydholm. Der Rallyefahrer ist bei Polestar das, was Walter Röhrl jahrelang bei Porsche war. Er gibt den E-Mobilen den letzten Abstimmungsschliff.

Also tüftelten die schwedischen Ingenieure herum, um dem schwedischen mehr Agilität einzuhauchen. Die Vorgabe war klar. Bei dem Elektroauto mit 350 kW / 476 PS geht es weniger um ein Aufrüsten der Power, sondern darum, das Vehikel leichtfüßiger zu machen. Angesichts des Lebendgewichts von 2.113 Kilogramm keine ganz triviale Aufgabe. Zumal der Polestar 2 von Haus aus schon eine recht steife Karosserie hat. Frei nach dem Motto: Das Bessere ist der Feind des Guten, hat Joakims Truppe in den Dienstwagen des Chefs eine Domstrebe im Vorderwagen eingezogen, um das Einlenkverhalten zu verbessern, das Fahrwerk mit speziellen Stoßdämpfern auf Angriff getrimmt und Akebono Bremsen eingebaut. Die grundsätzliche Idee war geboren.

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Dieses erste Resultat des Ingenieurs-Dopings haben die Schweden 2020 beim Goodwood Festival of Speed den Hügel hinaufgejagt und mit dem Spitznamen „The Beast“ versehen. Angesichts der Leistung und des Gewichts vielleicht etwas optimistisch. Das ändert nichts an der positiven Resonanz, die der erste Prototyp des Power-Polestar 2, den Thomas Ingenlath übrigens heute noch als Dienstwagen fährt, beim PS-Klassentreffen erhielt. Also gab es im Jahr darauf unter dem Titel Polestar 2 BST Experimental einen Nachschlag, ehe in diesem Jahr die Serienversion des Polestar 2 BST Edition 270 den Gipfelstürmer mimte. Die Domstrebe ist geblieben und die Karosserie saust 25 Millimeter tiefer über den Asphalt, als das beim Standard-Polestar der Fall ist.

Genau in diesem Auto sitzen wir jetzt. Vor uns schlängelt sich das Ascari Race Resort durch die Hochebene der Provinz Málaga. „Motorhaube öffnen, bitte“, lautet die Ansage. Klick, klick, klick. „Wir stellen jetzt die Dämpfer ein“, erklärt Joakim Rydholm. Wir feuern los. Schon nach den ersten Kurven wird klar: Der Polestar 2 BST Edition 270 ist kein Taycan-Gegner. Soll er auch gar nicht sein, sondern ein Auto, mit dem man unkompliziert Spaß haben kann, auf der Straße oder auf einer abgesperrten Rennstrecke. Den haben wir! Der Top-Polestar 2 lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen, weder durch Schikanen, die Lastwechselreaktionen provozieren, noch durch das Räubern über Curbs oder Vollgasecken. Wow!

Wir rollen wieder an die Box und bemängeln eine leichte Untersteuerneigung. Wieder Motorhaube auf, zwei Hände greifen hinein. Klick, klick, klick. Mit den Drehen wird die Einstellung des Öhlins-Dämpfer verändert, die exklusiv für diesen Polestar 2 entwickelt worden sind. Die erste Einstellung justiert die Druckstufe, die zweite die Zugstufe. Beides vorne, wo drei Öl-Kreisläufe pro Dämpfer installiert sind. Zwei externe Reservoir-Zylinder ragen in die Frunk hinein. Die dritte Nummer definiert die Zugstufe für die Dämpfer hinten. Wir haben die erste Runde mit der Alltags-Einstellung 7-7-7 gedreht, mit der wir auch auf der Landstraße unterwegs waren. Die Parameter 4-4-4 sind der nächste Schritt. Das Fahrverhalten spürbar anders. Der Vorderwagen ist leichtfüßiger, auch weil sich das Heck aktiver am Asphaltcarven beteiligt.

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Jetzt gehen wir mit 2-2-2 all-in und der Polestar 2 legt jegliche skandinavische Zurückhaltung ab und wirbelt über die Rennstrecke. Das Fahrwerk ist noch straffer und das Heck noch lebendiger. Trotzdem verwandelt sich der schwedische Dr. Jekyll nicht vollends in einen ungestümen Mr. Hyde. Der unkomplizierte Spaß steht nach wie vor an erste Stelle. Zudem wacht das ESP stets im Hintergrund, lässt aber dem Hinterteil so viel Twerk-Freiheiten, dass man sogar driften könnte. Im Zusammenspiel mit den 20 Prozent steiferen Federn spielen die Öhlins-Dämpfer ihr ganzes Können aus.

Selbst in der Feuer-frei-Einstellung bleibt der Polestar 2 stets problemlos beherrschbar und malträtiert nicht übermäßig den Rücken, kann aber bei aller Agilität nie ganz sein Gewicht kaschieren. Auch die indifferente Lenkung passt bei aller Präzision nicht zu diesem Auto. Dafür geben die Brembo-Bremsen mit den 375er Scheiben vorne und den Conti 340er Scheiben hinten ein umso besseres Bild ab, lassen sich gut dosieren und lassen auch nach mehreren harten Bremsmanövern nicht nach. Jedenfalls bereitet das händische Abstimmen an den Drehschrauben und das Heraustüfteln der perfekten Einstellung jede Menge Spaß. Vor allem, weil sich das Fahrverhalten spürbar ändert.

Szenenwechsel. Wir sind mit Über-Polestar 2 auf der Landstraße unterwegs. Wieder in der Kompromiss-Komfort-Abstimmung 7-7-7. Diese Eine-für-alles-Abstimmung passt ziemlich gut, aber der Polestar 2 BST Edition 270 ist ein Alltagssportler und dass merkt man ihm auch an. Die Federung ist straff und lässt die Insassen über den Zustand der Straße nicht im Unklaren. Zumal die 245/35 21 Zoll Pneus kein Übermaß an dämpfenden Kautschuk bereitstellen. Der Antritt mit einer Zeit von 4,4 Sekunden von null auf 100 km/h reicht für die Landstraße völlig aus, nur dürfte das Top-Modell der Polestar-2-Baureihe einen höheren Top-Speed als 205 km/h haben. Beim Verbrauch zeigt sich der Schwede dann wieder von seiner besten Seite. Polestar beziffert den durchschnittlichen Stromdurst mit 20,2 kWh/100 km, bei uns spuckte der Bordcomputer nach einer eher zurückhaltenden Fahrweise 20,4 kWh aus. Laut Polestar ist die 78-Kilowattstunden-Batterie (75 kWh netto) für maximal 462 Kilometer Reichweite gut (WLTP). Allerdings ist die maximale Ladegeschwindigkeit von 155 kW nicht gerade überragend.

Fazit: Für einen Preis von 77.400 Euro bietet der Polestar 2 BST Edition 270 jede Menge Spaß fürs Geld. Allerdings wird es bei den 270 Stück bleiben, Deutschland bekommt 30 Exemplare. Die sind alle schon verkauft. Aber Polestar hat schon angekündigt, dass es mehr Sondermodelle dieser Art geben wird.

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Wolfgang Gomoll

Wolfgang Gomoll

Wolfgang Gomoll beschäftigt sich mit dem Thema Elektromobilität und Elektroautos und verfasst für press:inform spannende Einblicke aus der E-Szene. Auf Elektroauto-News.net teilt er diese mit uns. Teils exklusiv!

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Läubli:

Guten Beitrag… hast meine Stimme auch. Muss ja auch mal gesagt sein!

David:

Immerhin ist die Version 2,5 cm tiefer gelegt und so nur noch etwa 1 cm höher, als etwa ein BMW i4 oder, wenn man will, Tesla Model 3. Weiß allerdings nicht, ob der Wagen diese Tieferlegung im Alltagsbetrieb verkraftet. Wenn ja, sollte man alle Versionen so bauen.

David:

Ja, da hast du recht. Trotzdem ist die Info korrekt, dass das Thema Schnellladung bei den Polestar ein Problem ist. Der Akku ist nicht gescheit temperiert, das bedeutet, die maximalen 155 kW werden in der Praxis selten erreicht. Zudem ist die Ladekurve Gurke. Da kommt selbst bei besten Bedingungen keine Freude auf: Von 20 auf 75% fällt sie von 150 kW auf 50 kW.

Perr:

Zitat „Allerdings ist die maximale Ladegeschwindigkeit von 155 kW nicht gerade überragend.“
 
Diese Aussage soll uns was sagen?
 
 
Das entscheidende ist die Ladekurve und die damit einhergehende Funktion der Ladekurve. Bleibt diese lange im Maximum und flacht dann ab, ist das besser als ein kurzzeitiger hoher Ladepeak mit schneller Annäherung an die x-Achse.
 
Jeder der sich mit Elektromobilität beschäftigt ist sich diesem Umstand bewusst, aber es lesen hier ja auch Menschen die sich informieren wollen und noch nicht elektrisch unterwegs sind.
Da helfen solche Aussagen nicht.

Läubli:

Polestar wird nur einen Rekord oder Titel schaffen, den hat er glaube ich auch schon: Stromverbrauchskönig, denn da ist er mit seinem Hunger allen überlegen! ;)

heinr:

die ewig gestrigen sterben nicht aus…

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