Warum die Energiewende mehr Batteriespeicher braucht

Warum die Energiewende mehr Batteriespeicher braucht
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Sebastian Henßler
Sebastian Henßler
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Batteriespeicher gelten seit Jahren als wichtiger Baustein der Energiewende, doch im Gespräch mit Benito Becker, CEO von Enorin, wird deutlich, dass ihre Rolle weit über das reine Zwischenspeichern von Strom hinausgeht. Becker beschreibt Batteriespeicher als zentrale Infrastruktur für ein Energiesystem, das zunehmend von Volatilität geprägt ist.

Enorin versteht sich dabei bewusst nicht als klassischer Hardwareanbieter, sondern als Infrastrukturdienstleister, der Speicherprojekte von der Planung über die Software bis hin zum Betrieb und zur Vermarktung begleitet. „Wir platzieren Batteriespeicher im Markt, entwickeln unsere eigene Software und kümmern uns auf Wunsch um Betrieb, Strombeschaffung und Vermarktung“, erklärt Becker. Die Projekte reichen von 250 Kilowattstunden bis in den Gigawattstunden-Bereich – vom lokalen Speicher bis hin zu großskaligen Anlagen, die ganze Regionen stabilisieren können.

Warum Wind und Solar ohne Speicher nicht ausreichen

Ausgangspunkt des Gesprächs mit Elektroauto-News Herausgeber Sebastian Henßler ist die Frage, warum Batteriespeicher überhaupt notwendig sind. Becker widerspricht der Vorstellung der Allgemeinheit, der massive Ausbau von Wind- und Solarenergie allein könne das Energiesystem stabilisieren. „Erneuerbare Energien stehen volatil zur Verfügung, während klassische Grundlastkraftwerke zunehmend wegfallen“, sagt er. Dadurch entstünden Schwankungen im Netz, die ohne Speicher kaum beherrschbar seien. Energie im Überfluss müsse aufgenommen werden, statt sie abzuregeln oder zu verlieren. In Phasen hoher Nachfrage müsse diese Energie wieder verfügbar sein, ohne teure Importe oder instabile Netzzustände in Kauf zu nehmen. Becker fasst es prägnant zusammen: „Das Kraftwerk von gestern ist der Energiespeicher von heute.“ Sinkende Batteriepreise, technologische Fortschritte und leistungsfähige Software hätten Speicher wirtschaftlich gemacht – und erstmals zu einem echten Systembaustein der Energiewende werden lassen.

Besonders deutlich wird dieser Nutzen im Zusammenspiel mit Ladeinfrastruktur. Becker beschreibt Batteriespeicher als entscheidenden Hebel, um Strompreise an Ladesäulen stabil zu halten oder zu senken. „Ein Speicher verursacht zunächst zusätzliche Kosten. Er muss deshalb so eingesetzt werden, dass er einen Mehrwert bringt“, erklärt er. Das könne bedeuten, dass Ladeparks trotz begrenzter Netzanschlüsse realisiert werden oder dass Betreiber gezielt günstigen Strom einkaufen, zwischenspeichern und später an ihre Kunden weitergeben. Gleichzeitig könnten Speicher netzdienlich eingesetzt werden, etwa indem sie nachts Strom ins Netz zurückspeisen, wenn Ladeinfrastruktur kaum genutzt wird. „Das ist ein klassischer Multi-Use-Ansatz“, sagt Becker. Speicher würden damit nicht nur Ladepunkte absichern, sondern aktiv zur Netzstabilität beitragen.

Kritisch äußert sich Becker mit Blick auf das aktuell dominierende Geschäftsmodell vieler Speicherprojekte. Das sogenannte Arbitrage-Modell – Strom günstig einkaufen und zu teuren Zeiten verkaufen – hält er für zeitlich begrenzt. „In vier bis sieben Jahren wird dieses Geschäftsmodell so nicht mehr funktionieren“, sagt Becker. Je mehr Speicher ans Netz gingen, desto geringer würden die Preisunterschiede zwischen Tag und Nacht. Für Banken und Investoren sei das ein erhebliches Risiko, weil die Wirtschaftlichkeit stark von Preisspreads abhänge. „Wenn wir nur noch zwei oder drei Cent Unterschied haben, funktioniert das Modell nicht mehr“, warnt er. Enorin arbeite deshalb an neuen Ansätzen, bei denen nicht der Stromhandel im Vordergrund steht, sondern die Bereitstellung von Verfügbarkeit. Becker zieht einen Vergleich zur digitalen Infrastruktur: „Ich bezahle meinen Internetanschluss nach Leistung, nicht nach Datenmenge. Genau dahin wird sich auch der Energiemarkt entwickeln.“

Netzanschlüsse und Genehmigungen bremsen Speicherprojekte aus

Gleichzeitig beschreibt Becker große strukturelle Hürden beim Ausbau von Batteriespeichern. Während Wind- und PV-Anlagen weiter zügig ans Netz gebracht werden, hinkten Speicherprojekte hinterher. Netzanschlussanfragen würden häufig abgelehnt, Genehmigungsprozesse seien uneinheitlich, und das Verständnis für Speicherprojekte sei bei Behörden, Netzbetreibern und auch Banken oft begrenzt. „Wir sehen aktuell mehr Ablehnung als Zusagen“, sagt Becker. Aus Sicht von Enorin würden rund 95 Prozent der gestellten Netzanfragen nie umgesetzt – auch weil es viele Doppelanfragen gebe und Planungssicherheit fehle. Diese Unsicherheit wirke sich direkt auf Investitionsentscheidungen aus. „Der größte Hebel ist aus meiner Sicht: mehr miteinander reden“, betont Becker. Statt pauschaler Ablehnung brauche es Dialog und tragfähige Geschäftsmodelle, die nicht nur kurzfristige Rendite, sondern langfristige Stabilität ermöglichen.

Ein weiterer zentraler Punkt im Gespräch ist die technische Auslegung von Batteriespeichern. Becker kritisiert, dass Wirkungsgrade im Markt häufig unterschätzt werden. „Viele Anlagen laufen mit etwa 75 Prozent Wirkungsgrad“, sagt er. Das bedeute, dass ein Viertel der eingespeisten Energie verloren gehe – mit massiven Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit. Enorin zielt auf Wirkungsgrade zwischen 80 und 87 Prozent und setzt dafür auf eine sorgfältige Auswahl der Komponenten sowie auf tief integrierte Software. „Je schlechter der Wirkungsgrad, desto schneller schmilzt die Rendite“, so Becker. Entscheidend sei außerdem, dass Speicher von Anfang an für verschiedene Geschäftsmodelle ausgelegt werden, etwa für die Kombination aus Börsenvermarktung und langfristigen Stromlieferverträgen.

Datenhoheit als zentraler Sicherheitsfaktor für Speicher

Ein klares Alleinstellungsmerkmal sieht Becker in der Datenhoheit. Enorin betreibt Server in Deutschland, hält die Kontrolle über die Steuerung der Speicher und prüft Software-Updates, bevor sie eingespielt werden. „Der Hersteller hat nicht mehr die Hoheit – die haben wir“, sagt Becker. Das schaffe Sicherheit für Kunden und Investoren, gerade bei kritischer Infrastruktur. Zwar arbeite Enorin auch mit asiatischen Herstellern zusammen, doch entscheidend sei der Umgang mit Daten und Steuerung. „Es geht nicht darum, woher die Hardware kommt, sondern wer die Kontrolle hat.“

Auch Themen wie Ausfallsicherheit, Versicherung und Lebensdauer spielen für Becker eine zentrale Rolle. Batteriespeicher seien komplexe Systeme, bei denen es zwangsläufig zu Defekten kommen könne. Die eigentlichen Kosten entstünden jedoch nicht durch den Austausch einzelner Module, sondern durch Stillstand und Folgekosten. Enorin habe deshalb gemeinsam mit einem großen Rückversicherer Modelle entwickelt, um Erträge auch bei Ausfällen abzusichern. „Der Kunde soll sicher sein, dass seine Finanzierung und seine Rendite nicht durch unvorhergesehene Kosten zerstört werden“, erklärt Becker. Wirtschaftlich rechneten sich Speicher meist nach vier bis sieben Jahren, bei positivem Cashflow ab dem ersten Monat. Die Lebensdauer liege bei rund 15 Jahren, nach zehn Jahren seien etwa 80 Prozent der Kapazität noch verfügbar.

Mit Blick auf die Zukunft beschreibt Becker ein weiteres zentrales Problem: die mangelnde Vernetzung der Speicher untereinander. Deutschland verfüge über rund 870 Netzbetreiber, die weitgehend isoliert planten. Speicher kommunizierten nicht miteinander, Erfahrungen würden nicht geteilt. „Der Speicher in Hamburg weiß nicht, was der Speicher in München macht“, sagt Becker. Enorin arbeitet daher an einer Plattform, über die Speicher in Echtzeit vernetzt werden sollen. Ziel sei es, Netze intelligenter auszulasten, Kosten zu senken und den Netzausbau zu begrenzen. Dieser Ansatz reiche vom Home-Energy-Management-System im Einfamilienhaus bis zum Großspeicher im industriellen Maßstab.

Langfristig versteht Becker Enorin als offenen, transparenten Energiedienstleister, der Komplexität aus dem System nimmt. „Wir wollen Mehrwert für alle schaffen – für Industrie, Privatkunden und den Wirtschaftsstandort“. Statt Abschottung setzt Enorin auf Offenheit und Kooperation. In zehn Jahren, so Beckers Vision, solle das Unternehmen als Plattform wahrgenommen werden, die Akteure zusammenbringt und die Energiewende praktikabler macht – nicht durch Ideologie, sondern durch funktionierende Infrastruktur und wirtschaftlich tragfähige Modelle.

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Sebastian Henßler

Sebastian Henßler

Sebastian Henßler hat Elektroauto-News.net im Juni 2016 übernommen und veröffentlicht seitdem interessante Nachrichten und Hintergrundberichte rund um die Elektromobilität. Vor allem stehen hierbei batterieelektrische PKW im Fokus, aber auch andere alternative Antriebe werden betrachtet.

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