Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht gehört zu den mächtigsten Gewerkschaftern der Republik. Im Gespräch mit dem Handelsblatt hat Brecht nun – was ungewöhnlich ist für ihn – ordentlich Dampf abgelassen. Der Grund für seine ersichtlich schlechte Laune waren einige Entscheidungen der Daimler-Führungsetage, mit denen der oberste Interessenvertreter von mehr als 170.000 Daimler-Mitarbeitern in Deutschland nicht einverstanden ist.
Zum Beispiel baut Daimler gemeinsam mit seinem chinesischen Investor Geely ab 2024 im großen Stil Vierzylinder-Benzinmotoren. Allerdings nicht hierzulande, sondern in Fernost, obwohl in Deutschland laut Brechts Meinung ausreichend Kapazitäten vorhanden wären: Im Daimler-Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim etwa sollen aufgrund der Antriebswende 4000 Arbeitsplätze wegfallen. Gleichzeitig sei der Standort für die Vierzylinder-Fertigung noch nicht einmal in Erwägung gezogen worden. „Das ist ein schlechter Stil, mit dem wir uns leider immer häufiger konfrontiert sehen“, sagte der sonst als sehr besonnen geltende Brecht dem Handelsblatt. Mit der Folge, dass die Beschäftigten gereizt seien und die Stimmung im Betrieb insgesamt schlecht sei.
„Der Vorstand schießt übers Ziel hinaus. Die Belegschaft ist doch nicht der Feind“, kritisierte Brecht die Entscheidung des Vorstands im Handelsblatt. Es sei für die Mitarbeiter wichtig, „dass die deutschen Standorte bei weitreichenden Produktentscheidungen wie beispielsweise der neuen Motorengeneration eine faire Chance erhalten und beim Zuschlag in Betracht gezogen werden“, erklärte Brecht. Dies sei beim Zuschlag für den Standort in China nicht der Fall gewesen.
Die neuen Vierzylinder-Aggregate hätte Daimler Brecht zufolge auch im Motorenwerk in Berlin-Marienfelde produzieren können, in dem in den kommenden Jahren aufgrund eines weitgehenden Investitionsstopps mehr als die Hälfte der 2500 Arbeitsplätze wegfallen könnten. So polternd wie jetzt sei Brecht noch nie in Erscheinung getreten, so das Handelsblatt weiter. Daimlers Betriebsratschef habe zuvor kritische Themen mit dem Management meist im Vorfeld entschärft und auf diese Weise versucht, jedwede Eskalation zu vermeiden.
Aktuell allerdings würden sich alle Beschäftigten bedroht fühlen, erklärt Brecht seine schlechte Laune und schickt eine deutliche Warnung an die Konzernspitze: „Wenn der Vorstand weiter einseitig Entscheidungen fällt und uns nur noch über das Ergebnis informiert, wird das schwerwiegende Folgen für die Beziehung zu uns Arbeitnehmervertretern haben.“ Brecht sei der Überzeugung, dass Daimlers Wandel zu einem klimaneutralen Fahrzeughersteller bis 2039 nur im Schulterschluss mit der Belegschaft gelingen. Um darauf hinweisen, seien in der kommenden Woche konzertierte Aktionen über alle Standorte und Tochterfirmen hinweg geplant.
„Das gab es bei Daimler noch nie“
„Das gab es bei Daimler noch nie“, sagte Brecht dem Handelsblatt über den bevorstehenden Protest und schob eine weitere Drohung hinterher: „Wenn auch dieser Protest nicht verfängt, werden die Entscheidungen schwerer werden, bei denen der Vorstand unsere Zustimmung benötigt.“
Der nun öffentlich gewordene Dissens zwischen dem Daimler-Betriebsrat und dem Vorstand fußt zwar auf der Produktion von Verbrennungsmotoren, Brecht allerdings hat die Antriebswende im Blick und betont wie wichtig es sei, in neue Technologien und Geschäftsfelder zu investieren. „Wir brauchen mehr Fertigungstiefe bei der Elektromobilität“, zeigt sich Brecht enttäuscht von dem aus seiner Sicht mangelndem Interesse der Daimler-Führungsetage an elektrifizierten Fahrzeugen.
Der Betriebsrat und auch einige Manager seien der Meinung, dass Daimler dringend in eigene Fertigungen für Batteriezellen und andere Komponenten für Elektrofahrzeuge investieren müsse – anstatt sie von Zulieferern einzukaufen. Es sei „ein Irrglaube anzunehmen, draußen wäre alles viel günstiger“, so Brecht. Daimler könne viele Produkte fürs Elektroauto-Zeitalter selbst genauso gut herstellen – sogar besser und billiger, findet Brecht.
Quelle: Handelsblatt – „Absolut beratungsresistent“: Daimler-Betriebsratschef greift Vorstände frontal an