100 Tage Bundesregierung: ACE vermisst klare Signale für die Verkehrswende

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Michael Neißendorfer
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Die neue Bundesregierung ist 100 Tage im Amt – für den ACE (Auto Club Europa) ein Anlass, eine erste verkehrspolitische Zwischenbilanz zu ziehen. Einige Ankündigungen und Maßnahmen im Bereich Verkehr und Mobilität bewertet der Club positiv, insgesamt bleibt der verkehrspolitische Aufbruch jedoch aus. Viele zentrale Forderungen des ACE wurden bisher nur unzureichend aufgegriffen.

„Die ersten 100 Tage zeigen: Einzelne Schritte gehen in die richtige Richtung – etwa beim Führerschein oder der Nutzung des Sondervermögens. Für eine echte Verkehrswende braucht es jedoch eine klare Strategie, Mut zu Entscheidungen und vor allem den politischen Willen, Mobilität nachhaltig, sicher und bezahlbar für alle zu gestalten“, bilanziert Sven-Peter Rudolph, Vorsitzender des ACE, dem die Maßnahmen noch nicht weit genug gehen. Der ACE sei aber „zuversichtlich, dass die Bundesregierung in den kommenden Monaten wegweisende Maßnahmen in Angriff nimmt, um dieses Ziel zu erreichen.“

Sondervermögen darf kein Etikettenschwindel sein

Die Einrichtung eines Sondervermögens für Verkehrsinfrastruktur wird vom ACE grundsätzlich begrüßt. Es kann Planungssicherheit schaffen und die Sanierung dringend benötigter Infrastruktur beschleunigen – insbesondere von Brücken, Straßen und Schienen. Aus Sicht des ACE dürfen die Mittel jedoch nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden. Priorität müsse die Bestandssanierung haben – besonders die Sanierung maroder Brücken ist ein gewaltiges Infrastrukturprojekt, das seit Jahrzehnten vernachlässigt wurde.

Kritisch sieht der ACE allerdings, dass reguläre Haushaltsmittel durch das Sondervermögen ersetzt werden. Statt echten Mehreinnahmen für die Infrastruktur droht lediglich eine Umschichtung. Das Versprechen zusätzlicher Mittel wird so nicht erfüllt. Auch für den Haushalt 2026 zeichnet sich diese Tendenz bereits ab.

E-Mobilität für alle ermöglichen – nicht nur für Besserverdienende

Der ACE setzt sich dafür ein, dass Elektromobilität für alle Bevölkerungsschichten bezahlbar wird, jedoch bleibt die Bundesregierung hier bislang mit ihren Vorhaben beziehungsweise Gesetzesinitiativen deutlich hinter den Erwartungen zurück. Es fehlt eine gezielte Förderung für Haushalte mit niedrigerem Einkommen, etwa in Form einer sozial gestaffelten Kaufprämie oder einem sozial ausgestalteten Leasingmodell.

Während Unternehmen von steuerlichen Vergünstigungen für hochpreisige E-Dienstwagen profitieren, wird der Zugang zu alltagstauglichen E-Autos für Privatpersonen mit kleinem Budget nicht ausreichend unterstützt. Der ACE fordert: Elektromobilität muss für alle zugänglich werden – nicht nur für wenige.

Vision Zero braucht konkrete Maßnahmen

Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag zur Vision Zero bekannt, die das Ziel hat, die Zahl der Verkehrstoten langfristig auf null zu senken. Doch bislang fehlen konkrete Schritte. Wer dieses Ziel ernst nimmt, muss mehr tun: Verkehrssicherheitskampagnen, Präventionsmaßnahmen und effektive Kontrollen gehören ebenso dazu wie strengere Sanktionen bei Fehlverhalten im Straßenverkehr, findet der Automobilclub.

Tempolimit ist nicht „überflüssig“

Die frühzeitige Absage von Verkehrsminister Patrick Schnieder, ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen, bewertet der ACE kritisch. Studien zeigen: Strecken mit Tempolimit sind sicherer. Weniger starke Geschwindigkeitsdifferenzen führen zu weniger Staus, harmonischerem Verkehrsfluss, mehr Sicherheit und weniger CO2-Emissionen. Ein generelles Tempolimit wäre ein einfacher, kostengünstiger und wirksamer Beitrag zur Verkehrssicherheit, zum Erreichen der Vision Zero und zum Klimaschutz. Daher setzt sich der ACE auch weiterhin dafür ein, dass auf bundesdeutschen Autobahnen ein Tempolimit von 130 km/h eingeführt wird.

Führerschein: Fokus auf Bezahlbarkeit und Qualität

Als positive Schritt wertet der ACE die Einberufung des Stakeholder-Dialogs „Bezahlbarer Führerschein“ durch das Bundesverkehrsministerium. Damit greift Schnieder ein wichtiges Vorhaben des Koalitionsvertrages auf. Doch Dialog allein reiche nicht aus – es müssen konkrete Maßnahmen folgen, damit die Kosten für die Fahrerlaubnis nicht weiter steigen und die Ausbildung zukunftsfähig gestaltet wird.

Der ACE fordert eine Überarbeitung der Fahrausbildungsordnung sowie die Integration digitaler Lernangebote, um die Ausbildung zu modernisieren. Zugleich müssen Fahrschülerinnen und Fahrschüler besser vor unseriösen Anbietern geschützt werden, indem die Veröffentlichung von Erfolgsquoten einzelner Fahrschulen für mehr Transparenz sorgt. Außerdem brauche es wirksame Maßnahmen gegen den zunehmenden Fahrlehrermangel, um die Qualität zu sichern und Preissteigerungen zu verhindern.

Deutschlandticket braucht Zukunftssicherheit und Ausbau des ÖPNV

Das Bekenntnis zum Erhalt des Deutschlandtickets bewertet der Automobilclub als ein wichtiges Signal. Doch die unklare Zukunft des Tickets ab 2026 verunsichert die Menschen und bremst den nötigen verstärkten Umstieg auf Bus und Bahn aus. Bund und Länder müssen zügig klären, wie es weitergeht – vor allem finanziell.

Gleichzeitig gilt: Auf die Tarifrevolution muss die Angebotsrevolution folgen. In vielen ländlichen Regionen mangelt es weiterhin an attraktiven ÖPNV-Angeboten. Ohne flächendeckende, zuverlässige Verbindungen bleibt das Deutschlandticket für viele Menschen unbrauchbar.

Die Verkehrswende bleibt aus – insbesondere beim Fuß- und Radverkehr

Auch nach 100 Tagen im Amt ist kein klarer Aufbruch in Richtung Verkehrswende erkennbar. Maßnahmen zur Förderung des Bahn-, Rad- und Fußverkehrs fehlen bislang komplett oder wirken punktuell und unkoordiniert. Besonders enttäuschend sei der Stillstand beim Fußverkehr, denn statt endlich einen eigenständigen Nationalen Fußverkehrsplan aufzulegen, setzt die Bundesregierung lediglich auf das Abwarten und Beobachten der bestehenden Fußverkehrsstrategie. Ein umfassendes Gesamtkonzept für eine klimagerechte und zukunftsfähige Mobilität sei nicht in Sicht.

Im Bereich des Radverkehrs bleiben konkrete Fortschritte bisher ebenfalls aus, obwohl Minister Schnieder zu Beginn seiner Amtszeit angekündigt hatte, diesen Bereich zur „Chefsache“ zu machen. Nicht nur der ACE erwartet hier in den kommenden Monaten deutliche Impulse.

Quelle: ACE – Pressemitteilung vom 11.08.2025

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Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer

Michael Neißendorfer ist E-Mobility-Journalist und hat stets das große Ganze im Blick: Darum schreibt er nicht nur über E-Autos, sondern auch andere Arten fossilfreier Mobilität sowie über Stromnetze, erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit im Allgemeinen.

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